Jan Faktor
Georgs Sorgen um die Vergangenheit

Jan Faktor
Jan Faktor | Foto: © Tana Okunevova

Der Roman erschien auf Tschechisch fast dreißig Jahre, nachdem Jan Faktor an dieser Geschichte zu arbeiten begann. Die Übersetzung übernahm Radovan Charvát in enger Zusammenarbeit mit dem Autor, der den Text für die tschechische Ausgabe zugleich stark bearbeitete.

Georg, die Hauptfigur des Romans und das Alter Ego des Autors, wächst im Prag der 1950er bis 70er Jahre in einem Frauenhaushalt auf. In der Geschichte spielen nicht nur die politischen Gegebenheiten jener Zeit und das Schicksal Georgs jüdischer Familie, sondern auch sein stürmisches Erwachsenwerden eine große Rolle. Die Realität des Romans zeigt stark autobiografische Züge. Das Buch bietet jedoch einiges mehr als nur eine Reihe absurder Episoden. Denn dank der fantastisch anmutenden Schreibkunst des Autors und seiner Selbstironie mutieren häufig auch die Folgen der Erlebnisse seiner Verwandten aus den Konzentrationslagern zu ungewöhnlichen Grotesken. Die Generationsaussage über die Zeit der Normalisierung ist auch in ihrer Art der Verarbeitung im Rahmen der tschechischen Literatur einzigartig.
An dem Roman Georgs Sorgen um die Vergangenheit begann Jan Faktor bereits 1986 zu arbeiten, damals noch in Form einer experimentell strukturierten Prosa. In den 90er Jahren griff er den Text wieder auf; in seiner ursprünglichen Gestalt wurde er aber niemals fertiggestellt. Noch einmal nahm er die Arbeit 2003-2004 auf, diesmal auf Deutsch. Der Roman erschien schließlich 2010 und traf in Deutschland auf ein großes öffentliches und literaturkritisches Interesse. Er wurde für den Leipziger Buchpreis sowie den renommierten Deutschen Buchpreis nominiert.
Die tschechische Übersetzung erschien mit der Unterstützung des Goethe-Instituts im Verlag PLUS.

Jan Faktor

Geboren 1951 in Prag legte er 1970 sein Abitur ab. Sein Studium der EDV unterbrach er und ging in die Hohe Tatra, wo er als Hochgebirgsträger arbeitete. Nach seiner Rückkehr nach Prag wurde er Operator in einem EDV-Unternehmen und stieg dort bis zum System-Programmierer auf. Nachdem er sein EDV-Studium per Fernstudium an der Ökonomischen Hochschule beendet hatte, zog er 1978 zu seiner Frau nach Ostberlin. Dort arbeitete er kurz als Kindergärtner in einer evangelischen Einrichtung, dann bis zum Fall der Berliner Mauer als Schlosser. In dieser Zeit verfasste er hauptsächlich experimentelle Texte, zunächst noch auf Tschechisch und Deutsch, ab 1985 nur noch auf Deutsch. In der DDR veröffentlichte er in Publikationen des literarischen Untergrunds und nahm an Lesungen in Wohnungen, inoffiziellen Galerien sowie Kirchengemeinden teil. Seine Texte schrieb er in erster Linie für diese literarischen Auftritte. Er war Mitglied der Dichtergesellschaft für konkrete Poesie, dem Bielefelder Colloqium neue Poesie. Zu weiteren Mitgliedern der (1978-2003 existierenden) Gesellschaft zählten auch Josef Hiršal und Bohumila Grögerová. 1989 erschien im Ostberliner Aufbau-Verlag Faktors erste Sammlung experimenteller Texte vom Anfang der 80er Jahre.
Nach der Gründung des Neuen Forums 1989 wurde er Mitbegründer der Zeitung dieser Bewegung. Seit 1991 widmet er sich ausschließlich der Literatur, veröffentlichte drei weitere Bände und ab Mitte der 90er Jahre begann er Prosa zu schreiben. Sein erster fertiggestellter Roman wurde niemals veröffentlicht; allerdings wurde das Manuskript seines zweiten Romans Schornstein 2005 mit dem berühmten Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet. Der Roman erschien dann ein Jahr später im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch. Georgs Sorgen um die Vergangenheit erschien auf Deutsch 2010 (Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag, KiepenheuerWitsch) und traf auf positives Echo, sowohl bei den Lesern als auch auf Seiten der Literaturkritiker. Noch im selben Jahr wurde Jan Faktor für sein bisheriges Gesamtwerk mit dem Candide-Preis gewürdigt.