Foto: © Design+Help

Gibst du mir das, geb’ ich dir das

Foto: © Marta DrobnovlnnáFoto: © Ester Dobiášová
Geldfreier Raum in der Halle Malá Amerika (Kleines Amerika) in Brno (Brünn), Foto: © Ester Dobiášová

Für ein handgefertigtes Schmuckstück ein Buch mit Anekdoten, für ein völlig kaputtes Grammophon hausgemachte Zwetschgen-Buchteln oder ein Kurs für Landschaftsfotographie eingetauscht gegen einen Vortrag über das Reisen in Asien. Jeder Gegenstand, jede Fähigkeit und jede Erfahrung hat hier einen ganz eigenen Wert, den niemand in Geld messen will. In der Halle Malá Amerika (Kleines Amerika) in Brno (Brünn) haben Aktivisten eine Tauschbörse eingerichtet, die ganz ohne Geld auskommt.

„Biete kostenlose Hunde-Therapie. Meigo (schwarzer Hund mit rotem Halsband). PS: Es reicht aus mich anzusprechen, ggf. zu streicheln.“ – stand auf einem Pappschild unter der Überschrift „Dienstleistungen“ bei der Aktion Geldfreier Raum im vergangenen November. Auf Paletten und Tischen der großen Halle Malá Amerika lagen Schnitzereien, Kisten mit Schallplatten, Bücher, alter Schmuck und Kleidung, die auf einer Schnur zwischen zwei Säulen gleich neben dem Eingang hing. Die Standbetreiber erwarteten Kunden, die kein Geld, sondern Tauschangebote mitbrachten. Ich hörte, wie ein Mann eine geflochtene Tasche für ein Foto-Portrait erwarb, andere wiederum wollten mit selbstgebackenen Keksen bezahlen.

Aber auch Erfahrungen und Fähigkeiten werden hier feilgeboten. „Beim letzten Geldfreien Raum hatte ich keine Zeit zum Tauschen, deshalb habe ich einfach ein paar Dinge ausgelegt, die die Leute umsonst mitnehmen konnten“, erzählt Jana Hrušková, eine der Organisatorinnen. „Eine Frau kam zu mir. Sie wollte ein Buch haben und dafür ein vegetarisches Mittagessen für mich kochen. Diese Frau hätte ich sonst nicht kennengelernt.“

Foto: © Šluk
Food not Bombs boten neben Informationen zu ihren Aktionen auch Gulasch aus freeganischen Zutaten an. Foto: © Šluk

Geldfreier Raum in Brno

Der Geldfreie Raum ist ein Ort, an dem es nicht das Geld ist, was den Wert von Gegenständen, Dienstleistungen und Erfahrungen bestimmt. Teilnehmen kann jeder, Erzeugnisse und Dienste gratis anbieten oder gegen etwas eintauschen. Geldfreie Räume oder Zonen gibt es bereits in verschiedenen Städten in Tschechien und der Slowakei. Der Impuls, so etwas auch in Brno auf die Beine zu stellen, kam von Ivan Prouza und von Adriana Gálová, die schon am Geldfreien Raum in Piešťany in der Slowakei teilgenommen hatte. Beide waren begeistert von den hohen Besucherzahlen und der angenehmen Atmosphäre der Aktion im November.

„Jeder hat eine Menge Zeug zuhause, das er nicht mehr braucht. Für jemand anderen können die Sachen aber einen hohen Wert haben. Deshalb können Anbieter und Besucher sich direkt vor Ort auf einen Tausch oder eine Schenkung einigen. Unter anderem bietet der Geldfreie Raum eine effektive und nachhaltige Möglichkeit, die Massenproduktion zu umgehen und das damit zusammenhängende, übertriebene Kaufen und Wegschmeißen von Dingen, die entweder veraltet sind oder durch etwas Neues ersetzt wurden“, beschreibt Jana die Idee rund um das Tauschen. Sie ist außerdem Mitglied bei Food not Bombs, einer Gruppe von Aktivisten, die jeden Samstag um 16 Uhr in Brno auf dem Moravské náměstí (Mährischer Platz) kostenlos Essen verteilen. Beim Geldfreien Raum boten Food not Bombs neben Informationen zu ihren Aktionen auch Gulasch aus freeganischen Zutaten an.

Neben dem Tauschen kann man beim Geldfreien Raum auch etwas dazulernen. Im November gab es Vorträge wie zum Beispiel „Rund um die Müllcontainer“, Präsentationen aktivistischer Gruppen und Workshops, wie man Collagen, Schmuck oder Geldbeutel aus Tetrapak-Kartons herstellt, sogenannte Recy-Geldbeutel. Außerdem wurde vorgeführt, wie man vegan kocht.

Foto: © Marta Drobnovlnná
Näh-Notdienst, Foto: © Marta Drobnovlnná

Der soziale Aspekt

Auch wenn der Geldfreie Raum nur an einem Tag im Mai und im November letzten Jahres stattfand, und auf eine bestimmte Lokalität beschränkt ist, möchten die Organisatoren andere inspirieren, selbst die Initiative zu ergreifen oder geldlose Tauschgeschäfte in ihren Alltag zu integrieren. „Was in Brno möglicherweise stärker akzentuiert ist, als in anderen Städten, ist die Absicht, dass unser Geldfreier Raum über eine Subkultur hinaus wirken soll. Wir haben versucht, aktiv Menschen anzusprechen und einzuladen, die beispielsweise obdachlos sind in prekären Verhältnissen wohnen“, erklärt Jana. Sie betont jedoch, dass der Geldfreie Raum nicht in eine Art Sozialdienst übergehen soll.

„Jeder engagiert sich auf seine Weise, Jana arbeitet mit Obdachlosen, ich wiederum mit Ausländern“, fügt Mitorganisator Ivan Prouza hinzu. Ich erinnere mich an eine afrikanische Familie, die sich bei der Novemberaktion mit einem Verkäufer auf Englisch verständigte und der ganzen Aktion einen multikulturellen Touch verliehen hat. Von Ivan erfahre ich, dass die Familie auf Asyl in Tschechien hofft. „Sie wissen nicht, wie sie an Geld kommen sollen, sie bekommen nur eine minimale Unterstützung vom Staat, der ihnen gleichzeitig das Arbeiten während des ersten Antragsjahres verbietet. Das System hindert sie daran, sich zu verwirklichen“, beschreibt er ein Problem, das auch andere Ausländer betrifft, mit denen Ivan arbeitet.

In einer ähnlichen Situation befinden sich auch die Obdachlosen, denn ohne festen Wohnsitz findet man nur schwer Arbeit. Im Idealfall können diese Menschen beim Geldfreien Raum Selbstvertrauen tanken: Sie können zeigen, dass auch sie helfen und andere, die das zu schätzen wissen, bereichern können – und das, ohne dass sie warten müssen, bis sie jemand einstellt. Der Geldfreie Raum wird dadurch zu einem konkreten Ort zu einer konkreten Zeit, wo sie hingehen und sich einbringen können.

Foto: © Šluk
Foto: © Šluk

Der größere Maßstab

Der Gedanke des Tauschens ist natürlich nicht neu. Zu erwähnen wäre da LETS (Local Exchange Trading System), das auf europäischer Ebene und auch in Brno funktioniert. Auch die Internetseite nevyhazujto.cz (Etwa: Schmeiß es nicht weg!), auf der Menschen Gegenstände und Dienste gratis oder gegen Abholung einstellen, bietet eine Alternative zum Massenkonsum. Des Weiteren gibt es den Freemarket und kleinere Tauschbasare. Im Vordergrund des Geldfreien Raumes bleibt aber das Ziel, dass sich Menschen begegnen und – abseits des Arbeits- oder ökonomischen Umfelds –persönliche Kontakte knüpfen können. So wächst das Bewusstsein, dass es neben dem finanziellen noch andere Wertmaßstäbe gibt. Felix Novák, der bei der Veranstaltung hauptsächlich für die Technik zuständig ist, fügt hinzu: „Wir wissen, dass es in einem größeren Rahmen nicht so einfach umzusetzen ist. Wir wollen aber zeigen, dass alternative Wirtschaftssysteme und Wege des Tausches existieren. Wir bemühen uns also, vor allem zu inspirieren und zu zeigen, dass es auch anders geht.“

Der nächste Termin

Im Mai 2014 gab es in Brno den ersten Geldfreien Raum. Die Aktion im November 2014 war bereits die zweite derartige Veranstaltung dort. Zum nächsten Geldfreien Raum, der im Rahmen des Happenings „Kulturou proti chátrání“ gegen den Verfall ungenutzter Gebäude stattfindet, laden die Organisatoren für den 23. Mai 2015 in die Vlhká-Straße 28 in Brno.

Freeganismus ist eine politisch motivierte Lebenshaltung, deren Anhänger den eigenen Lebensunterhalt möglichst unabhängig von Konsum zu bestreiten versuchen. Medial werden Freeganer häufig auf das so genannte „Containern“ reduziert, weil sie sich von weggeworfenen Sachen oder Geschenken anderer ernähren.

Im Gegensatz zu Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, von Spenden oder „Müll“ anderer zu leben, begeben sich Freeganer mehr oder weniger bewusst in diese Situation.
Quelle: wikipedia
Ester Dobiášová
Übersetzung: Ria Ter-Akopow

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Mai 2015

    Überall auf der Welt leben Menschen für eine bessere Zukunft. Wir sammeln ihre Geschichten und zeigen, was heute schon möglich ist. jadumagazin.eu/zukunft

    Weitere Beiträge zum Thema

    Geld wird immer da sein, wir nicht
    Wir haben Menschen besucht, die wegen Schicksalsschlägen oder aus eigener Bequemlichkeit obdachlos geworden sind. Die meisten von ihnen sehen im Geld das Gute und das Böse gleichzeitig.

    Ohne Geld zur Erleuchtung
    Raphael Fellmer lebt mit seiner Familie seit drei Jahren ohne Geld. Und das ziemlich gut. Mit dem Geldstreik möchte Raphael auf Verschwendung, Umweltzerstörung und Ausbeutung aufmerksam machen.

    Swappen statt Shoppen
    Kreative, kostenlose Mode in Berlin. Man gibt seine alten Klamotten ab, nimmt neue mit und macht daraus was ganz Besonderes. So funktioniert das Kleidertausch-Event Fashion Reloaded.  

    Hol dir dein Obst doch von der Straße!
    Seit dreieinhalb Jahren kann man auf www.mundraub.org frei nutzbare Bäume und Sträucher finden, um dann kostenlos ernten zu gehen.  

    Werbung ist kein Naturgesetz
    Das Berliner „Amt für Werbefreiheit und gutes Leben“ will die Stadt von Außenwerbung befreien.

    Service für Pfandpiraten
    Mit seinem Pfandring will Paul Ketz Flaschen- und Dosensammlern ihren Job erleichtern. Was er damit auf jeden Fall erreicht, ist eine neue Diskussion über Armut in Deutschland.

    Benutzen statt Besitzen
    Die Kleidertauschbörse votocvohoz.cz (frei übersetzt: „Dreh die Klamotten um!“) will in Tschechien verantwortungsvollen Konsum etablieren.

    Themen auf jádu

    Gemischtes Doppel | V4

    Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

    Heute ist Morgen
    Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

    Im Auge des Betrachters
    … liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

    Dazugehören
    Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

    Themenarchiv
    Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...