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Das Wunder von Zips

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Bürgermeister Vladimir Ledecký und eine künstlerische Intervention in Spišský Hrhov: Láska (Liebe). Foto: © Petra Pospěchová

In einer Region, die bekannt ist für hohe Arbeitslosigkeit und Konflikte der Mehrheitsgesellschaft mit der Roma-Minderheit, ist die slowakische Gemeinde Spišský Hrhov ein Beweis, dass für Veränderungen manchmal guter Wille und Toleranz ausreichen.

Die Zipser Landschaft hat mit ihren abgerundeten Bergspitzen, die sich mit lang gestreckten Tälern abwechseln, etwas Sanftes und Weiches. Für die meisten Slowaken ist diese Region jedoch nicht nur ein Synonym für die Schönheit der Natur. In den letzten 20 Jahren sprach man über Zips meist im Kontext von Armut, Roma-Siedlungen, in denen die Lebensbedingungen an das Mittelalter erinnern und Arbeitslosigkeit, die in einigen Dörfern fast bei 100 Prozent liegt. Der Großteil der Gesellschaft in der Slowakei neigt dazu, dies als eine direkte Folge des hohen Prozentsatzes an Roma in der Region zu interpretieren. Vorurteile wie Passivität und Arbeitsverweigerung werden in diesem Kontext kolportiert.

Vladimir Ledecký, seit 1998 Bürgermeister der Gemeinde Spišský Hrhov in der Region Zips, gehört nicht zu denen, die diese Meinung vertreten. Es gelang ihm, die Lebensbedingungen in Hrhov grundlegend zu verbessern. Die Fassaden in der Ortschaft leuchten frisch gestrichen, in den Straßen herrscht ein arbeitsames Treiben, und von den Einwohnern geht ein ansteckender Enthusiasmus aus. Im Gegensatz zu den benachbarten Dörfern und Städten ist die ethnische Zugehörigkeit nicht ausschlaggebend dafür, wie die Menschen beurteilt werden. „Bei der Wahl eines Maurers für die Gemeindefirma lassen wir alle Kandidaten zeigen, was sie können und wählen den Besten aus. So haben wir eine Menge guter Roma-Handwerker. In anderen Gemeinden gibt man grundsätzlich den Nicht-Roma den Vorrang und achtet nicht auf die eigentlichen Fähigkeiten.“

In die Gesellschaft integriert

Die Gemeindefirma ist eines der Projekte, die Ledecký in Spišský Hrhov eingeführt hat. „Ich verstehe nicht, wenn sich jemand über die Arbeitslosigkeit beschwert und darauf wartet, dass der Staat den Zustand löst.“ Die Gemeindefirma beschäftigt derzeit 60 Personen und führt unter anderem Bauarbeiten durch, betreibt einen Laden mit regionalen Spezialitäten und behebt Straßenschäden.

Ein Allheilmittel gegen die Arbeitslosigkeit sei gemeinnützige Arbeit aber nicht, sagt Ledecký, auch wenn dies die slowakische Regierung propagiert. „Das kann auch negative Auswirkungen haben. Wenn jemand den Menschen nur einen Besen in die Hand gibt, um zu fegen, wird sich dauerhaft nichts ändern. Dann wird im Fernsehen gezeigt, dass die Städte immer noch schmutzig sind, und der Rassismus im Land nimmt weiter zu. Meiner Erfahrung nach funktioniert nur ein richtiger Arbeitsvertrag. Auch wenn er nur für einen oder zwei Monate ist – die Menschen werden in die Gesellschaft integriert.“

Die Tatsache, dass Roma an öffentlichen sowie privaten Reparaturen und Renovierungen im Dorf beteiligt sind, verbindet die Bewohner von Hrhov. „Zuerst treffen sie sich bei der Arbeit, dann in der Kneipe – Vorurteile werden so viel leichter abgebaut", sagt Ledecký. Man braucht nur einen Spaziergang durch Hrhov an Wochentagen zu machen und stößt sogleich an mehreren Standorten auf die Gemeindearbeiter. Zwei 60-jährige Damen gehen gerade zum Seniorenzentrum und gucken einen Mann mit Maurerutensilien voller Zuneigung an. „Auch das Gebäude, in dem das Seniorenzentrum ist, haben sie repariert. Sie sind wirklich geschickt. Es war ein komplett zerstörtes Haus. Und sehen Sie jetzt...“

Das Seniorenzentrum war nur eines von vielen Häusern im Ort, die eine Reparatur benötigten. Weitere Renovierungsarbeiten werden gerade auf der gegenüberliegenden Straßenseite fertiggestellt. Zwei Männer verputzen den Rest der Fassade, ein paar Frauen putzen die Fenster und polieren die Böden.


Wichtige Kleinigkeiten

Arbeit ist nicht das einzige, was Hrhov seinen Bürgern gibt. Hier entstanden auch ökologische Holzhäuser, die Familien mit niedrigem Einkommen aus eigener Kraft bauten. Die Materialkosten können sie nach und nach an die Gemeinde zurückzahlen. Einer von denen, die in ein neues Zuhause ziehen konnten, ist Miroslav Šarišský. „Wir selbst haben die Häuser gebaut, wir selbst reparieren sie“, sagt Šarišský. „Diese Möglichkeiten kamen erst mit dem Bürgermeister Ledecký. Er ist ein guter Mann und genießt bei allen großen Respekt.“

Ledecký hat auch in der Region einen guten Ruf. „Sie fahren nach Hrhov? Dort hat es sich unglaublich verändert. Der dortige Bürgermeister hat ein komplettes Wunder vollbracht“, erzählt mir die 40-jährige Margita aus Spišská Nová Ves im Bus.

„Wissen Sie, das ,Wunder‘ geschieht durch Kleinigkeiten. Zuerst haben wir versucht, kleine Dinge zu tun, die nicht viel kosten, aber das Leben angenehmer machen“, sagt Ledecký. Danach hat er dann Großprojekte wie die Verlegung einer Kanalisation und der Wasserleitungen in der gesamten Gemeinde initiiert. Ebenso wichtig erscheinen ihm die Erneuerung der Bänke unter der alten Linde bei der Kirche, das Amphitheater, wo kulturelle Veranstaltungen stattfinden oder das beheizte Schwimmbad. „Ich freue mich immer wieder, wenn ich im Sommer Familien sehe, die auf dem Weg ins Schwimmbad sind.“

„Liebe“ auf dem Dorfplatz

Selbst die am wenigsten charmante Ecke des Dorfplatzes, die mit einem Wellblechzaun endet, ist mit fröhlichen Malereien dekoriert, die während des Festivals Hrhovské čudá entstanden. Ein paar Meter entfernt sieht man das dreidimensionale Wort „Láska“ [Liebe]. Jeder Buchstabe ist über zwei Meter groß und mit bunten Mosaiken bedeckt. „Ich wollte im öffentlichen Raum eine positive Botschaft haben“, sagt der Bürgermeister, während er sich an den Buchstaben „L“ lehnt.

Wie ist es ihm so gut gelungen, die Roma in das gesellschaftliche Leben einzugliedern? „Wir widmen uns eigentlich nicht gezielt den Roma. Wir wollen die Lebensqualität von jedem im Dorf verbessern. Und Roma sind ein Teil von uns. Ohne, dass wir irgendwelche Bildungsprogramme organisierten, haben wir eine Reihe von Roma-Abiturienten, viele studieren an der Universität. Wir schaufeln den Roma-Kinder nicht den Weg frei, wir helfen ihnen nur, über den Tellerrand zu gucken, den sie sich selbst gesetzt haben. Und das ist genug.“

Als Ledecký Bürgermeister wurde, hatte das Dorf rund 700 Einwohner, heute sind es mehr als doppelt so viele, und weitere ziehen hin. Die offene Einstellung der Gemeindemitglieder und vor allem die funktionierende Gemeinschaft ziehen viele an. Die Tatsache, dass Hrhov den Titel „Gemeinde des Jahres“ erhielt und offiziell von der Weltbank gelobt wurde, sind aus dieser Perspektive nur kleine Details.

Petra Pospěchová
ist freie Journalistin und Foodwriterin und lebt in Prag.

Juni 2015
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