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Recht auf Boden

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Peter Volz: „Wir müssen die Dominanz des Supermarkt-Modells nicht akzeptieren. Es gibt auch andere Ernährungssysteme.“

Die europäische Landwirtschaft hat ein dramatisches Nachwuchproblem. Die Folge: Immer mehr Lebensmittel stammen aus industrieller Produktion. Warum das schlecht ist und was man dagegen tun könnte, erklärt der Peter Volz von der landwirtschaftlichen Forschungsgesellschaft Die Agronauten im Interview.

Die Agronauten sind Teil des europäischen Netzwerkes Access to land – Zugang zu Land. Warum ist euch dieses Thema so wichtig?

Die Initiative entstand, weil der Zugang zu Land gegenwärtig eines der größten Probleme der europäischen Landwirtschaft ist. Ohne Land, auf dem Kleinbauern wirtschaften können, wird es auch keine alternativen Systeme der Lebensmittelversorgung geben können.

Große landwirtschaftliche Flächen gehen verloren wegen der der Ausbreitung von Städten und dem Bau von Verkehrswegen. Seit den 1990er Jahren haben wir in Europa als Folge dieser Faktoren etwa 13 Prozent (25 Millionen Hektar) der gesamten landwirtschaftlichen Fläche verloren. Außerdem erleben wir einen fortschreitenden Prozess der Konzentration von Land – die Betriebe werden immer größer und größer und Kleinbauern verschwinden europaweit in alarmierender Geschwindigkeit. Hinzu kommt, dass viele Bauern in Europa schon alt sind, und es niemanden gibt, der ihre Betriebe übernehmen wird. Man erwartet, dass im Verlauf der kommenden zehn Jahre etwa 3,5 Millionen Bauern in Rente gehen werden, denn bereits jetzt ist etwa die Hälfte von ihnen schon 50 Jahre und älter.

Wir stehen also vor großen strukturellen Veränderungen. Weil die Übergabe eines Betriebes nicht mehr auf traditionelle Weise vollzogen wird – vom Vater auf den Sohn oder die Tochter, wie früher üblich – ist offensichtlich, dass wir einer neuen Generation von Bauern den Zugang zu Land ermöglichen müssen. Ich denke dabei vor allem an agrarökologische Bauern, also solche, die wirklich verankert sind in den lokalen Gemeinschaften und die nicht gegen die Natur arbeiten, sondern im Einklang mit ihr.

Warum brauchen wir Zugang zu Land?

Quereinsteiger haben eine gute Ausbildung und Ideen – aber kein Land und kein Geld. Deswegen muss die Gesellschaft mitmachen. Aber das ist nur der Beginn, es geht um mehr: neue Wirtschaftsformen. Wenn wir potentiellen Nachwuchslandwirten keine angemessene Lösung bieten können – etwa gemeinschaftsgetragene Eigentumsverhältnisse – dann verlieren wir das Land an den Markt. Und das bedeutet oft: Landkonzentration in den Händen großer Betriebe und industrieller Landwirtschaftsfirmen. Diese betreiben weder eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft noch sind sie mit den örtlichen Gemeinschaften verbunden. Auf diese Gefahr weisen wir hin. Natürlich ist es für eine kleine Initiative schwer gegen einen Trend zu kämpfen, hinter dem große Interessen und Lobbies stehen. Wir tun, was wir können, weil wir glauben, dass das wichtig ist. Und uns rennt die Zeit davon.

Eines der meistdisktutierten landwirtschaftlichen Themen ist die Bodenverschlechterung. Wie gravierend ist dieses Problem und was sind die Ursachen?

Bodenverschlechterung ist in der Tat ein massives Problem. Hinter den Aktivitäten, die die Agronauten unterstützen und die wir im Rahmen der Initiative Access to land entwickeln, steht eine bestimmte Auffassung des Eigentums von Boden und von Verantwortung. Die industrielle Landwirtschaft ist weniger mit den Standorten, den Gemeinschaften verknüpft und stattdessen an den globalen Markt angebunden. Die Verantwortung für den Boden ist in diesem Fall eine völlig andere als bei einer Gemeinschaft von Menschen, die den Boden besitzen oder ihn sich als Allmende mit anderen teilen. Wenn Sie sich auf dem Markt bewegen,müssen Sie stark nach dem kurzfristigen Profit abwägen, wenn sie keine gute Vermarktung haben und darunter leidet in erster Linie die Fruchtbarkeit des Bodens. Deshalb müssen wir andere Strukturen des Eigentums finden, bei denen lokale Gemeinschaften die Verantwortung übernehmen.

Welche Alternativen gibt es?

Am System einer Solidarischen Landwirtschaft partizipieren zum Beispiel in Europa mehr als eine Million Menschen und ihre Zahl wächst ständig. Und das ist nur ein Ansatz, es gibt andere, für unterschiedliche Zielgruppen. Wir machen darauf aufmerksam, dass es verschiedene Formen der Landwirtschaft gibt – nicht nur im Anbau, sondern auch wenn es um Eigentumsverhältnisse und den Vertrieb von Lebensmitteln geht. Wir müssen die Dominanz des Supermarkt-Modells nicht akzeptieren. Es gibt auch andere Ernährungssysteme, die auf räumlicher Nähe gründen, und auf Respekt gegenüber der Umwelt, und die gemeinschaftliche Lösungen suchen – teilweise auch suchen müssen, denn sie agieren gegen den Strom. Diese Initiativen haben einen hohen Gemeinwohl Faktor, sie sollten deswegen gefördert werden. Stattdessen wird mit großen Einsatz der Initiativen versucht die Hürden zu überwinden, die nicht zuletzt aus politischen und administrativen Weichenstellungen und Regelungen resultieren.

Wir haben Alternativen, die es hier schon gab, lange bevor die industrielle Landwirtschaft begann. Wir erfinden also nicht das Rad neu, Landwirtschaft gibt seit 10.000 Jahren. Aber leider verlieren wir viele Kenntnisse. Denn die werden von Generation zu Generation weitergegeben und dieses Prinzip verschwindet. In letzter Zeit beobachten wir aber ein steigendes Interesse an bäuerlichen Methoden der AgriKultur, an neuen Gedanken. Dabei gilt aber auch zu fragen was kleinbäuerliche Landwirtschaft eigentlich bedeutet. Ich würde das nicht romantisieren wollen – es gab gute und schlechte Sachen. Wir wollen von den guten Sachen lernen – zum Beispiel die Praxis von Kreisläufen, geringen Energieinputs und auch die kulturelle Dimension.

Wir sprechen hier von von einer AgriKultur, die gleichzeitig ein sozialer Prozess ist, der nicht auf einige riesige Maschinen baut und die paar Leute, die sie bedienen. Es geht eher um einen sozialen Austausch, sowohl innerhalb des Hofs als auch in der Gemeinschaft die mit dem Hof verbunden ist. Kleine Betriebe und Genossenschaften werden nicht nur verstanden als Orte der Produktion von Lebensmitteln, sondern auch als Orte der Bildung. Diese Höfe sind wie eine Art großes offenes Laboratorium von Ideen und Ansätzen. Zudem geht es um die Verwaltung von Ressourcen. Und es geht um Souveränität.

Foto: © Die Agronauten | www.agronauten.net
Treffen der Europäischen Forschungsgruppe zu solidarischer Landwirtschaft im Schwarzwald, organisiert von den Agronauten, 2015.

In welchen Bereichen sind die Agronauten konkret aktiv? Welche Positionen vertreten Sie?

Zum einen möchten wir eine Sensibilisierung in der Gesellschaft ermöglichen – das Thema Landwirtschaft und Ernährung ist zu wichtig, um es zu ignorieren. Zum anderen die forschen wir an regional- und agrarökologischen Ansätzen. Praxisnah. Wir legen den Finger in die Wunde, aber bleiben nicht da stehen. Es geht um Verbesserung von eingeschlagenen Wegen, ein Beispiel ist Regionallogistik.

Wir unterstützen unabhängige Lebensmittelsysteme von lokalen, fairen Wertschöpfungsketten, kleinteiliger Landwirtschaft, Subsistenzlandwirtschaft, Nebenerwerbslandwirtschaft, Allmendekonzepten und so weiter. Wir müssen Grundlegendes hinterfragen: zum Beispiel Chemie und Chemieindustrie in der Landwirtschaft, Konzernmonopolisierung und Privatisierung, hygienische Normen, Spekulation und Subventionen für Großbetriebe.

Wir müssen den wirklichen Wert der Lebensmittelproduktion erkennen. Produktivität bemisst sich nicht nach der Menge der produzierten Lebensmittel, sondern nach der Wirtschaftlichkeit, also dem Verhältnis dieser Menge zu den eingesetzten Ressourcen. Und dieses Verhältnis ist in der industriellen Landwirtschaft nicht gut. Sie setzt zu viel Energie ein, die zur Zerstörung der Umwelt führt. Wir brauchen einen Wandel, und dazu arbeiten wir auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene – aber immer mit lokalem Fokus.

Sie sind eng verbunden auch mit tschechischen Forschern und Aktivisten, die dem Bereich des Zugangs zu Boden widmen und dem System der Solidarischen Landwirtschaft. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und wie entwickelt sie sich?

Die Zusammenarbeit begann mit Jan Valeška von der Pro-Bio Liga in Prag. Nach einem Interview mit mir in der Zeitschrift A2, kontaktierte mich eine Forscherin der Tschechischen Landwirtschaftlichen Universität, Vratislava Janovská, und bei unseren Gesprächen wurde deutlich, dass wir viel gemeinsam haben. In Tschechien kooperieren wir vor allem mit der Organisation Pro-Bio Liga sowie mit der Universität. Die Zusammenarbeit mit der Tschechischen Republik war sehr fruchtbar, innerhalb kurzer Zeit haben wir ein Treffen des Netzwerks Access to land und Vertretern von tschechischen Bewegungen eingerichtet. Dank dieser Verbindung entstand in Tschechien eine ähnliche Plattform mit dem Namen Nadace pro půdu (Stiftung für Boden).

Das Interview führte Tomáš Uhnák.

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
August 2017
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Die Agronauten

Der gemeinnützige Verein Die Agronauten ist eine Forschungsgesellschaft für nachhaltige, regionale Agrar- und Ernährungskultur.

Der Name Agronauten leitet sich von der griechischen Sage der Argonauten ab und stellt einen Bezug her zwischen dem Themenkreis Agrarwirtschaft (agro) und dem mutigen Unterfangen der griechischen Helden und Heldinnen, das Goldene Vlies zu finden. Auch bei den Agronauten geht es um Reisen in unbekannte Sphären und das Rückkehren mit weisheitsvollen Erfahrungen und Erkenntnissen.

Quelle: www.agronauten.net

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