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Nur mal kurz die Welt retten

Foto (Ausschnitt): Molly Adams, CC BY 2.0
Foto (Ausschnitt): Molly Adams, CC BY 2.0

Auf der 23. UN-Klimakonferenz in Bonn, der sogenannten COP23, verhandelten im November zwei Wochen lang tausende Wissenschaftler, Politiker, Wirtschaftsvertreter und Aktivisten über die Umsetzung des Pariser Abkommens. jádu-Autorin Lara Schech war als Delegierte der Jugendorganisation „Jugendbündnis Zukunftsenergie“ dabei.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal mit so vielen Eindrücken und Informationen gleichzeitig konfrontiert wurde. Das fängt bei den Geheimtipps zu kostenlosem Kaffee und freien Steckdosen an und endet mit dem Wirrwarr an Abkürzungen, das für Neulinge kaum zu durchdringen ist. Zwischendurch sitzt man mal neben dem Gründer von Transparency International, spricht mit der früheren Umweltministerin von NRW oder schüttelt dem französischen Präsidenten die Hand.

Es gibt viel zu viel zu tun. Fast überall darf man mithören und mitreden – für den Einzelnen ist das alles nicht zu überblicken. Die Jugendorganisationen haben sich daher schon längst zusammen getan. Jeden Morgen treffen sie sich und diskutieren über die Verhandlungen. Man überlegt gemeinsam, wie man Jugendthemen auf die Tagesordnung bringen kann. Arbeitsgruppen erarbeiten Redebeiträge für die Sitzungen und versuchen, ihre Vorschläge in den Entwürfen der einzelnen Verhandlungsstränge unterzubringen. Wenige davon werden es später vielleicht in die offiziellen Schriftstücke schaffen, die meisten werden in einer Schublade verschwinden. Ein Versuch ist es immer wert.

Protest gegen einzelne Länder ist „illegal“

Auch wenn die Arbeitsgruppen am späten Vormittag auseinander gehen, kommt keine Langeweile auf. Hier ein Panel besuchen, dort mit Landesdelegierten quatschen, zwischendurch Teamfotos machen und andere Jugenddelegierte kennen lernen. Da gibt es Iago, der als Pfadfinder aufgewachsen ist und sich jetzt bei der der brasilianischen Jugendorganisation Engajamundo als Koordinator für Generationengerechtigkeit und Ressourcenschutz einsetzt. Oder Simon, der als Jugendvertreter der Dänischen Sozialliberalen Partei zum ersten Mal bei einer COP dabei ist. Er beschäftigt sich auf dem Klimagipfel vor allem mit Menschenrechten und der Frage, ob man nicht im Namen der Menschenrechte präventiv handeln muss, um zu verhindern, dass Menschen aufgrund des Klimawandels eben jene Rechte verlieren. Und dann gibt es Larissa, die über ein Programm der Delegation der Seychellen auf die Konferenz gekommen ist und die offiziellen Delegierten bei ihrer Arbeit unterstützt. Unterschiedliche Länder, unterschiedliche Hintergründe, unterschiedliche Motivationen – aber sie alle wollen ambitionierte Klimapolitik vorantreiben und die Stimme der Jugend vertreten. Sie hoffen auf Fortschritte und Kompromisse. Dass Emissionen tatsächlich gesenkt werden. Dass andere Länder sich von den USA nicht dazu angestoßen fühlen, ebenfalls aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszutreten.

Die Verhandlungen selbst sind oft sind zäh und langwierig. Gut, dass es auf dem Klimagipfel auch noch andere Events gibt, die den Alltagstrott durchbrechen. In den nationalen Pavillons erfährt man Paneldiskussionen und Vorträgen mehr über die Klimaschutzmaßnahmen und -ideen einzelner Länder. Auch die Nichtregierungsorganisationen haben eine Ausstellungsfläche, wo sie Aufkleber und Visitenkarten verteilen und interessierten Gästen mehr über ihre Arbeit erzählen. Und es gibt die „Actions“, also Protestaktionen, mit denen besonders die Jugenddelegierten gern auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Einfach mal hinstellen und ein Banner hochhalten, geht aber nicht. Aktionen müssen nach strikten Regeln geplant und beworben werden: Der detaillierte Antrag muss 24 Stunden vorher eingereicht werden und der Protest darf sich nicht gegen ein konkretes Land richten. Hält man sich nicht an diese und weitere Vorgaben, oder nimmt sogar an einer „illegalen Aktion“ teil, fliegt im Zweifel die ganze Gruppe von der Konferenz. Das will niemand riskieren. Entsprechend viel Arbeit und Feingefühl wird in die Vorbereitung gesteckt: Jeder Satz muss sitzen – und was zwischen den Zeilen steht auch.

Alternative Fakten haben keine Chance

Unsere Klimadelegation organisiert eine große Aktion zum Thema Kohleausstieg. Am Haupteingang machen wir auf den nur 50 Kilometer entfernten Braunkohlentagebau aufmerksam und bieten unseren Gästen aus aller Welt „regionale Souvenirs“ in Form von Kohlebrocken an. Die Supermarktverkäuferin hatte uns am Tag zuvor die letzte Packung Grillkohle aus dem Lager geholt. Wer die Briketts nicht mit nach Hause nehmen will, kann an vorbereiteten Kartons den Kohlausstieg vorführen. Die Delegierten sind von diesem Konzept begeistert und machen sich für die Fernsehteams gerne die Hände schmutzig. Am Ende landen wir sogar im ZDF.


Ein Klimagipfel macht aber nicht nur Spaß. Aus einer Zweier-WG auf eine Konferenz mit 25.000 Menschen geworfen zu werden, ist gewöhnungsbedürftig. Der Hals kämpft schnell mit der trockenen Klimaanlagenluft, die Augen sehnen sich nach Tageslicht. Die Preise in der Cafeteria übersteigen jedes Studentenbudget und man sieht regelmäßig, wie junge Delegierte das kostenlose Essen nach Diskussionsrunden plündern. Sogar eine geheime Facebookgruppe wurde dafür eingerichtet, mit Neuigkeiten rund um kostenlose Snacks.

Und logischerweise sind hier nicht alle an ambitionierter Klimapolitik interessiert. Da gibt es die Lobbyisten, die ganz offen zugeben, dass sie eine CO2-Steuer verhindern wollen und die Nuklear-Jugend, die sich für Atomenergie einsetzt und an deren Stand sich kein einziger Besucher verirren möchte. Und natürlich den "Elefanten im Raum": Während Syrien und Nicaragua dem Pariser Klimaabkommen doch noch beigetreten sind, möchte Donald Trump die USA zum einzigen Nichtmitglied weltweit erklären. Viele sind darüber entsetzt – auch im eigenen Land. Deshalb reisten aus USA in diesem Jahr sowohl eine offizielle als auch eine inoffizielle Delegation an. Bestehend aus NGOs und Gemeinden, setzte sich letztere unter dem Motto „We are still in“ tatsächlich für effektive und nachhaltige Klimapolitik ein. Die US-Regierung hingegen ersetzte eine Veranstaltung zu erneuerbaren Energien durch eine Diskussion über „saubere fossile Brennstoffe“, die prompt medienwirksam durch die Jugendorganisationen gesprengt wurde. Alternative Fakten haben keine Chance.

Die Uhr tickt

Solche Veranstaltungen motivieren und lösen Kampfgeist aus. Sie zeigen, dass im Bereich Klimaschutz immer noch lautes Engagement nötig ist – aber auch, dass hier keiner den Mund hält, wenn es drauf ankommt. Wenn dann noch weitere Erfolge hinzukommen, ist die Stimmung wieder oben. Dieses Jahr wurde vor allem gefeiert, dass bestimmte Themen in den Verhandlungen endlich überhaupt Beachtung bekommen – konkret ging es zum Beispiel um die Meere, Genderfragen und die Rechte von indigenen Völkern. Außerdem nutzte ein neues Bündnis von achtzehn Ländern die COP, um zusammen den Kohleausstieg zu verkünden.

Die richtig großen Neuigkeiten wird es aber erst nächstes Jahr im polnischen Katowice geben. Dann soll das Regelwerk des Pariser Klimaabkommens von 2015 finalisiert werden. In Bonn wurden dafür gewissermaßen nur die Vorbereitungen getroffen. Fest steht: Der Klimawandel bleibt die größte Herausforderung unserer Zeit und um wirklich dagegen anzukommen, müssen alle noch viel schneller viel mehr tun. Es bleibt also spannend – und die Uhr tickt.


Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
November 2017
Links zum Thema

Die UN-Klimakonferenz in Bonn

COP23 steht für 23. Conference of Parties. Parties bezieht sich hierbei auf die Staaten, die Anfang der 1990er Jahre der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen beigetreten sind. Seitdem treffen sie sich jedes Jahr auf den UN-Klimakonferenzen, dieses Jahr in Bonn. Deutschland war dabei jedoch nur technischer Gastgeber. Die Präsidentschaft hatte der Inselstaat Fidschi inne, der die Konferenz aus Platzgründen jedoch nicht selbst ausrichten konnte.

Das Gelände der Klimakonferenz in Bonn war in zwei Zonen eingeteilt. In der BULA Zone fanden die tatsächlichen Verhandlungen in Plenarsälen statt. In der BONN Zone gab es die nationalen Pavillons sowie Fachvorträge und Paneldiskussionen. Hier hatte man die Möglichkeit, sich mit Delegierten, Lobbyisten und Nichtregierungsorganisationen auszutauschen. Besondere Aufmerksamkeit verdient hierbei der „Talanoa Space“ – ein Raum für inklusiven und transparenten Austausch, der auf einem Dialogkonzept aus Fidschi beruht.

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