Freizügige Frauen vom Flohmarkt
Während seines halbjährigen Aufenthalts in Deutschland sammelte der Musikjournalist Pavel Klusák hunderte alter deutscher Vinyl-Schallplatten. Seine Sammlung enthüllt einen kulturellen Tunnel, durch den westliche Ideologie und Kultur die Berliner Mauer durchdrangen.
Streifzüge durch Musikgeschäfte, Flomärkte und Secondhandläden machten den Musikjournalisten Pavel Klusák zum Besitzer von Fundstücken der deutschen Mainstreammusik aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. „Als ich über die Märkte zog, bemerkte ich neben all der guten modernen Musik immer häufiger eine riesige Menge von deutschen Pop-Schallplatten vor allem aus den Siebzigern, aber auch den Sechziger und Achtziger Jahren, lange vergessene damalige Stars, das Schlagergenre, instrumentales ‚Easy Listening‘, eben Futter für die zeitgenössischen Radiostationen. Die damalige Hauptströmung war im Grunde B-Musik. Diese musikalische ‚Delikatesse‘ wurde in sexistische Plattencover gehüllt,“ erklärt Pavel Klusak. Er präsentiert seine Trophäen auf einer Ausstellung im Kabinett der Musen in Brno.
Auf den Hüllen der Ausstellungsstücke ist alles zu sehen– von geschmackloser Erotik über interessante Exploitation-Fantasien, deren Optik noch gar nicht so veraltet wirkt. Heute ist die Sammlung also eher ein Fundgrube für Fachleute der Genderstudien, Musikhistoriker und Schwärmer, denn das Hauptthema sind Frauen. „Auf fast jedem Cover gibt es eine verführerische Frau, die keine andere soziale Funktion hat als Bikinis zu tragen oder fast nackt zu sein, umringt von Männern mit klarer gesellschaftlicher Stellung. Und die Männer sind Dirigenten, Jäger, Cowboys oder auch Lastwagenfahrer,“ verdeutlicht Pavel Klusák.Überall nur Strapse, Korsette oder hohe Absätze – die Aufgabe der Frauen ist nur, die Männer zu verführen.
Die sexuelle Revolution
Während in der DDR die Darstellung von Sex im krassen Widerspruch zur sozialistischen Ideologie stand, war auf der anderen Seite der Berliner Mauer ein gewisses Maß an Pornographie erlaubt. Dank der Immunität diplomatischer Angestellter, die von einer Seite des ideologischen Spielfeldes zur anderen pendelten, sickerte Material mit erotischer Thematik durch. Dieses wurde zu einem mächtigen Werkzeug der „Zersetzung“ des sozialistsichen Gedankengutes. Diese Tendenz beobachtet auch Pavel Klusák anhand seiner Sammlung.
„Den Unterschied zwischen den westlichen und den östlichen Plattencovern der Siebziger und Achtziger Jahre erkennt man vor Allem an der Qualität des Drucks. Der ostdeutsche Musikverlag Amiga kommt öfters ‚hingerotzt‘ daher, weil der passgenaue Druck der Farben nicht immer ganz gelang. Eine Dame hat die Augen auf der Stirn und in den Augenhöhlen weiße Löcher. Eine Lynch-Atmosphäre par excellence! Ziemlich begeistert war ich aber, als ich in diesem Meer des Wahnsinns ein Plattencover entdeckt habe, auf dem eine heitere Gesellschaft auf einem aufblasbaren Boot die Treppe einer Einfamilienvilla hinabfährt. Man schaut sich so ein Werk an und fragt sich insgeheim, welchem sozialistsichen Ziel so eine Aktion dienen sollte, wenn es kein Schallplatten-Cover wäre,“ erinnert sich Pavel Klusák mit unverhohlener Begeisterung an seine Berliner Eroberungen.
Obwohl die Pornographie in Westdeutschland der Siebziger Jahre legal war, kann man anhand der erotischen Verpackung des Mainstrems erkennen, was als „normal“ wahrgenommen wurde und was ganz sicher noch Tabu war. Auf keinem der Cover sind zum Beispiel Schwule oder Lesben, die Frau sehen wir nie in einer dominanten Rolle. Die Beziehungen werden in traditioneller Form mit klar definierten Rollen dargestellt, wo der Mann die anonyme Frau mit seiner sozialen Stellung übertrumpft.
Pavel stellt seine Sammlung ausschließlich an kleinen, kultigen Orten aus, wie noch bis zum 8.Mai im Brünner Kabinett der Musen. „Im Rahmen einer größer angelegten Ausstellung könnte es so aussehen, als wollte ich all den Kitsch und Sexismus den Deutschen anhängen, was nicht der Fall ist. Die sonnigen Siebziger waren doch eine internationale Erscheinung,“erklärt der Sammler und fügt hinzu: „Die italienischen oder schweizerischen Cover sind oft viel extravaganter.“ Übrigens denkt Pavel Klusák oft an „seine“ anonymen Mädchen von den Plattenhüllen und es interessiert ihn, wie es ihnen jetzt geht und was sie machen. Träumerisch fügt er dann hinzu: „Sollte meine Sammlung irgendwann in einem künstlerischen Kontext erscheinen, würde ich gerne die Identität der Frauen herausfinden. Heute haben sie bestimmt ihr eigenes Leben, aber damals dienten sie der Kulturwirtschaft nur als Schmuck.“