Kultur

„Ich bin nicht außergewöhnlich“

Foto: Hana SvobodováFoto: Hana Svobodová
Foto: Hana Svobodová

Dass Kunst eine Art Lebenseinstellung oder Lebensphilosophie sein kann, das ist nicht ungewöhnlich. Wie gelangt aber ein Künstler zu dieser Haltung und worauf reagiert er damit? Hana Svobodová, eine 24-jährige Studentin der Fächer Visuelle Gestaltung und Kunstpädagogik, spricht über die Haltung zu ihrer eigenen Kunst.

Hana, was fasziniert dich gerade an der Fotografie?

Bei meiner Arbeit geht es eigentlich nicht nur um das Foto. Die Fotografie ist nur das Ergebnis eines Projektes, das wir mit den Begriffen Konzeptualismus oder konzeptuelle Kunst bezeichnen können. Ganz allgemein interessiert mich eigentlich das einfache menschliche Leben, das ich durch unterschiedliche Blickwinkel erforschen möchte, mittels Performances, die ich „kleine“ Performances oder „kleine“ Aktionen nenne, und mithilfe verschiedener Projekte, die auf der Zusammenarbeit der anderen Projektteilnehmer basieren. Und die Fotografie ist dann das materielle Ergebnis dieser Aktionen, also so eine Art sekundäre Darstellung, ein Artefakt, das ausgestellt werden kann.

Was würdest du als deinen Impuls bezeichnen?

Das ist eigentlich eine Idee oder eine Philosophie, die aus meinem Leben hervorgeht. Ich versuche auch mithilfe meiner Sichtweise der Welt mit Menschen zusammenzuarbeiten und ihnen damit ein bestimmtes Erlebnis zu vermitteln. Das Ergebnis ist, dass sie das, was sie als normal wahrnehmen, nun aus einem anderen Blickwinkel betrachten können und vielleicht feststellen, dass die Welt anders ist, als sie bisher geglaubt hatten. Aber so ideal funktioniert das nicht immer. Es passiert relativ häufig, dass es mir nicht gelingt, die betreffenden Leute zur Zusammenarbeit zu bewegen. Und ich will auch gar nicht sagen, dass meine Sichtweise der Welt besser als die von irgendjemand anderem wäre. Es geht nur um eine Art Diskussion.

Existiert zu jedem deiner Fotos irgendeine Geschichte?

Ja, aber ich bemühe mich immer darum, dass diese Ergebnisse irgendeine allgemeine Information beinhalten, dass sie klar, aber nicht vordergründig sind. Jeder Mensch ist einzigartig und verarbeitet die Information individuell, und genau darum geht es. Kunst kann nicht eindeutig definierbar sein, das wäre ihr Ende. Es ist schön, dass sie alles sein kann.

Benutzt du einen speziellen Fotoapparat?

Es kommt auf die konkrete Situation an, aber ich bevorzuge einen klassischen Fotoapparat mit Film. Damit erzielt man eine höhere technische Perfektion als mit gängiger Digitaltechnik. Auf gewisse Weise möchte ich ästhetisch sein und technische Perfektion erreichen, obwohl, wie ich bereits sagte, die Fotografie nur ein Sekundärprodukt und auf gewisse Weise gar nicht wichtig ist. Ich weiß, dass das irgendwie ambivalent ist, aber so empfinde ich es.

Wann und wo hattest du Ausstellungen?

Im Rahmen von Kollektivausstellungen, die von der Schule organisiert wurden. Am gelungensten war die Ausstellung unserer Diplomarbeiten in der Galerie Sýpka des Architekten Velek.

Foto: Hana Svobodová
Foto: Hana Svobodová

Womit beschäftigst du dich in deinen Performances?

In einem meiner letzten Projekte knüpfe ich beispielsweise an meine Umgebung an. Ich habe das Gefühl, dass die heutige Gesellschaft zu großen Wert auf Erfolg und Einzigartigkeit legt. Die Performances sind Demonstrationen, die diesen Anspruch oder Trend verneinen. Jeder von uns ist zwar einzigartig, aber in bestimmter Hinsicht sind wir uns alle sehr ähnlich. Bei diesen Aktionen knüpfe ich also an unterschiedliche Umgebungen an – entweder von Menschenhand gefertigte oder vollkommen natürliche. Beispielsweise habe ich einen Steg über einen Fluss gesehen, deshalb habe ich aus mir einen Steg oder ein Stück Baum gemacht, in dem eine Aushöhlung war, in die ich gekrochen bin und so zum Baum wurde. Später habe ich eher mit von Menschen geschaffenen Dingen gearbeitet. So wollte ich beispielsweise einer der Hunde des Barons Haas auf Burg Bítov sein. Ich versuchte, alles um mich herum zu sein, um damit meine eingebildete Einzigartigkeit zu verneinen.

Welche Konzeptkünstler und welche ihrer Werke gefallen dir?

Wenn ich hier ein paar Namen sagen soll, die in den Kontext der konzeptuellen Kunst gehören – obwohl es sich dabei aus meiner Sicht um einen sehr problematischen Begriff handelt –, muss ich die „kleinen“ Performances von Jiří Kovanda nennen. Zum Beispiel eine Aktion, als er auf der Straße nur seine Arme zur Seite streckte und damit irgendwie allen im Weg stand. Von den ausländischen Künstlern würde ich die älteren Arbeiten von Marina Abramović nennen – zum Beispiel die Reise mit ihrem Partner Ulay um die Chinesische Mauer, eine Art finale Geste ihres gemeinsamen Lebensweges, den sie abschließen wollten. Des Weiteren zum Beispiel die absolut geniale Aktion von Yoko Ono, Cut piece, die viele Künstler immer wieder inspiriert hat und nach wie vor inspiriert.

Sind das deine Vorbilder, inspirieren sie dich?

Mit Sicherheit beeinflusst mich deren Kunst, aber meine Vorbilder sind das nicht. Meine Vorbilder sind Menschen und Dinge außerhalb der Kunst. Das ist für mich sehr wichtig, weil ich die Kunst als einen normalen Bestandteil des Alltags wahrnehme. Deshalb möchte ich aus der Kunst nichts Grandioses machen und hoffe, dass die Wahrnehmung des Künstlers als Genie allmählich verschwindet, denn mit dieser Sichtweise bin ich nicht einverstanden. Auch wenn ich Künstler bewundere, so bewundere ich doch auch eine Menge anderer Berufe. Ich würde mir wünschen, dass die Leute mehr über Kunst nachdenken, also dass sie sich, wenn sie eine Ausstellung besuchen, von den Machern nicht einreden lassen, dass die Ausstellung gut und hochwertig ist, sondern dass sie es selbst für sich herausfinden, wie das Ausgestellte auf sie wirkt. Genauso wie es schlechte Kellner gibt, kann es auch schlechte Künstler geben.

Was bedeutet Kunst für dich?

Eine einzigartige Art der Diskussion, Kommunikation, die es ermöglicht, über die Welt und sich selbst nachzudenken. Und manchmal ist Kunst einfach nur Spaß, nichts Ernstes.

Wo wirst du das nächste Mal ausstellen?

Hier in Brno sind die Galerien sehr professionell, deshalb suchen sie vor allem bekannte junge Künstler. Es gibt Möglichkeiten in Kaffeehäusern auszustellen, aber das Niveau ist dort sehr schwankend. Und Räumlichkeiten, die irgendwo zwischen Café und Galerie liegen, gibt es hier nicht viele.

Was ist also notwendig, damit sich ein Künstler durchsetzt?

Ich denke, dass man seine Ellbogen gebrauchen muss. Man muss Kontakte knüpfen, und das ist nicht ganz so meine Stärke. Für mich sind Ausstellungen aber nicht besonders wichtig. Darüber hinaus kann ich nicht sagen, dass es unbedingt ich sein muss, die sich durchsetzen soll. Und ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob es das Wichtigste ist, sich durchzusetzen.

Foto: Hana Svobodová
Foto: Hana Svobodová
Das Interview führte Lucie Paseková
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juni 2012

    Konzeptkunst

    Die Konzeptkunst entstand in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA und war zunächst eine Reaktion auf den Formalismus der damaligen amerikanischen Kunstszene. Allgemein gesagt wird beim konzeptuellen Ansatz die Kunst dematerialisiert, wodurch sie von der physischen in die geistige, die intellektuelle Sphäre übergeht. Es geht eher um die Betrachtung der Kunst als um die Form. Dabei wird Wert auf den eigentlichen Gedanken oder das Konzept des Künstlers gelegt. Für viele Protagonisten der Konzeptkunst spielt die Fotografie eine Schlüsselrolle. Als Pioniere gelten das Ehepaar Becher oder Edward Rush. Weitere Vertreter sind beispielsweise die Fotografin Annie Leibovitz, die durch ihre Porträts von John Lennon berühmt wurde, sowie Yoko Ono.

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