Leben

Ökologische Trauer

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Hana Librová bei der Vorstellung ihres Buches „Věrní a rozumní“ („Treue und Vernünftige“)

Die Biologin und Soziologin Hana Librová hat eine ganze Reihe von umweltbewussten Studentinnen und Studenten geprägt. Ihre Botschaft: Ökologischer Kummer muss nicht in Resignation münden.

Hana Librová hat nach längerer Zeit wieder auf sich aufmerksam gemacht mit ihrem Buch Věrní a rozumní (Treue und Vernünftige). Es ist der dritte Teil einer Trilogie über ökologische Lebensweisen. Ihr Interesse für dieses Thema begann bereits in den 90er Jahren. Damals suchte sie Familien, die mit ihren Einstellungen zu Konsum und Wohlstand Ausnahmeerscheinungen waren in der tschechischen Gesellschaft nach der Samtenen Revolution. Der Beginn der 90er Jahre war in Tschechien geprägt von ungestümem Unternehmertum. Die Menschen stürzten sich nach dem Vorbild des Westens in den Konsum und nutzten ihre neu gewonnene Reisefreiheit. Diejenigen Tschechen, die Hana Librová zu Forschungszwecken begleitete, vereinte hingegen die Bereitschaft und das Bemühen ein bescheidenes Leben zu führen. Und das Ergebnis? In den 90ern gab es tatsächlich Menschen, die mit ihrem Lebensstil zeigten, dass man glücklich sein kann auch ohne den Anspruch auf ein hohes Konsumniveau.

Diese „freiwillig Genügsamen“, wie Librová ihre Probanden nennt, fahren lieber Fahrrad statt Auto, zerbrechen sich nicht den Kopf über Modetrends und haben lieber mehr Freizeit als ein höheres Einkommen. Umweltfreundlich leben nicht nur Naturschützer („Grüne“), ein niedriges Verbrauchsniveau weisen auch Menschen auf, die sich selbst nicht für Naturschützer oder Aktivisten halten und deren Tätigkeiten sehr vielfältig sind („Bunte“). Sie könnten anderen als Beispiel dienen, so Librová.

Die Professorin geht davon aus, dass schon die ökologische Tugend eines Einzelnen helfen kann, den ökologischen Fußabdruck einer reichen Gesellschaft zu reduzieren. In diesem Zusammenhang spricht sie etwa von „der Freude, das Nahe zu entdecken“. Reisen in ferne Länder, um die dortigen Naturschönheiten zu bewundern, ziehen mitunter verhängnisvolle Folgen für die Umwelt nach sich. Für Librová stellt daher bereits die gute Kenntnis der nächsten Umgebung einen ökologischen Wert dar.

Jegliches Bemühen Einzelner, die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu begrenzen, kann Librová zufolge als Form des ökologischen Aktivismus gelten. Nichtsdestotrotz hält sie es für nötig, dass ökologische Moral zu einer sozial allgemein anerkannten Verhaltensnorm wird. Der Akzeptanz umweltbewusster Verhaltensmuster durch die Mehrheitsgesellschaft stehe dabei weniger ein Mangel an relevanten Informationen im Weg. Es fehlten vielmehr die Bereitschaft und Fähigkeit diese Muster anzunehmen.

Dabei könne auch freiwillige Genügsamkeit Luxus bedeuten: „ein reiches Leben mit bescheidenen Mitteln“. In einer unversehrten Umwelt zu leben, um sich herum einen Raum zu haben, der freie Bewegung ermöglicht, ausgestattet sein mit ausreichend Freizeit und auch Gelegenheiten diese nach eigenem Belieben zu nutzen, seien Lebensumstände, die keine Selbstverständlichkeit mehr sind.

Kummer über das Schicksal alles „Lebenden“

Das Interesse Librovás für umweltfreundliche Lebensweisen ist auch nach Jahren noch ungebrochen. Darum geht es auch in ihrem Seminar am Lehrstuhl für Umweltstudien der Masaryk-Universität Brno. Zu den Kursen kommt die Professorin bewaffnet mit tückischen Fragen. Manchmal kann sie sich bissige Bemerkungen über Äußerungen ihrer Studentinnen und Studenten nicht verkneifen. Sie genießt unter diesen jedoch eine natürliche Autorität, und regt sie an zur Diskussion und kritischem Denken.

Einen großen Raum widmet Hana Librová dem „ökologischen Kummer“, den sie selbst „mein Lieblingsthema, wenn nicht sogar Geisteszustand“ nennt. Der Begriff kann sich auf den Kummer über das Aussterben von Arten oder die Zerstörung natürlicher Ökosysteme beziehen. Im Gegensatz zum Tod, der natürlich und unausweichlich ist, quält uns der ökologische Verlust wegen seiner Sinnlosigkeit. Er steht im Widerspruch zu unserer Vorstellung von der „ewigen Natur“. Noch quälender ist es sich einzugestehen, dass wir selbst Schuld tragen an diesen ökologischen Verlusten.

Librová spricht und schreibt über „ökologische Hoffnungslosigkeit“ oder „akutes Unglück der Natur“ und ihre Skepsis vertieft sich im Laufe der Jahre eher noch. Wir leben in einer Zeit der ökologischen Krise und die Tage alles „Lebenden“, also aller lebenden Organismen, sind offenbar bereits gezählt. Sie verlieren den Kampf mit der technokratischen Gesellschaft, die nach materiellem Wohlstand lechzt. Vor ihren Studenten seufzt Hana Librová über den alljährlichen Rückgang der Vögel, die im Frühling in ihrem Garten landen.

Die Tatsache, dass die ausbeuterische Beziehung der Menschen zur Natur in den westlichen Gesellschaften tief verwurzelt ist, nährt diese Skepsis. Laut Librová neigte der jüdisch-christliche Kulturkreis in der Geschichte meistens zu einem starken Anthropozentrismus und einer instrumentalisierten Auffassung von der Natur. Besonders der Protestantismus und seine Arbeitsethik, die den Menschen zu Fleiß und gleichzeitig zur Enthaltsamkeit ermahnte, war ein Geburtshelfer des modernen Kapitalismus. Dieser führte zur Anbetung eines unaufhörlichen Wachstums von Produktion und Verbrauch.

Dennoch ist das Christentum in den Augen von Hana Librová gegenwärtig auch ein Träger der Hoffnung. Sie verweist auf die Enzyklika Laudato Si von Papst Franziskus. Der Text reflektiert nicht nur den menschlichen Anteil am Verlust von Biodiversität und der Zerstörung des Ökosystems, sondern öffnet einen neuen Blickwinkel auf den Platz des Menschen in der Natur. Demnach stehe die Natur mit dem Menschen einem Geschwisterverhältnis. Dies bedeutet einen erheblichen Fortschritt gegenüber der früheren christlichen Auffassung vom Menschen als Verwalter der Natur.

Die Treue zur Natur gründet nicht nur auf Mitleid

In der gegenwärtigen Gesellschaft herrscht aber immer noch die Überzeugung von der Allmacht der Wissenschaft und Technik vor. Librová teilt den technologischen Optimismus nicht. Der Glaube an den technischen Fortschritt als Lösung der ökologischen Krise erscheint ihr kurzsichtig. Technologische Änderungen haben viele Nebenwirkungen, die wir nicht vorhersehen können, Rücksicht wird dabei vor allem auf die Bedürfnisse und Interessen des Menschen genommen. Der Anthropozentrismus äußert sich auch in Begriffen, die im Zusammenhang mit der Natur heute üblicherweise verwendet werden. Librová weigert sich etwa, den Begriff Um-Welt (Tschechisch: životní prostředí) zu verwenden, da er nahelege, die Natur sei nur das, was um den Menschen herum existiert und ihm einen Lebensraum bietet. Teil des Wertewandels, den sich Librová erhofft, ist auch das Verständnis vom inneren Wert der Natur und eine Anpassung der Verhaltensmuster an diese Tatsache. Das führt uns wieder zurück zur Lebensweise.

Im Seminar bewegt die Studentinnen und Studenten oft die Frage nach Anreizen zu einem umweltfreundlichen Lebensstil. Librová aus der Position der Soziologin interessieren tiefere, nicht auf den ersten Blick offensichtliche Motivationen zum Schutz der Natur und ökologisch vorteilhaften Aktivitäten. Sie gibt sich nicht zufrieden mit dem anerkennenden Klopfen auf die Schultern begeisterter Naturschützer, die ihr Leben der Rettung des „Lebenden“ verschrieben haben. Auf der Grundlage ihrer Forschung kommt sie zu dem Schluss, dass „Treue zur Natur nicht auf bloßem Mitgefühl gründet, und schon gar nicht auf Selbstaufgabe..., sie erfordert ein Wohlgefallen für das Pflegeobjekt.“ Naturschützer konzentrieren ihre Anstrengungen oft auf die Rettung ihrer „Lieblingslebewesen“, obwohl sie sich bewusst sind, dass andere, noch bedrohtere Arten, ihre Aufmerksamkeit genauso verdienen würden.

Das Nachdenken über ökologische Themen in tieferen Zusammenhängen ist eine Sache, die wir vom Zugang der Librovás mitnehmen können. Ihre kritischen und pessimistischen Ansichten müssen nicht jedem gefallen. Sie selbst bleibt ihnen treu, gleichzeitig aber offen, sie Entwicklungen der Gegenwart anzupassen. Das demonstriert am besten die Sicht Librovás auf das Thema ökologisch vorteilhafter Lebensweisen im Rahmen ihrer Trilogie.

Es war die Professorin selbst, die bei der Buchpräsentation von Věrní a rozumní (Treue und Vernünftige) den ersten Teil ihrer Trilogie, Pestří a zelení (Bunte und Grüne) als naiv bezeichnete. Hana Librová gehört nicht denen, die glauben, dass „es wieder gut wird“. Ihr ökologischer Kummer lässt sie aber nicht resignieren und hindert sie nicht daran, der Natur treu zu bleiben und für ihren Schutz zu kämpfen.

Kristina Klosová
Übersetzung: Patrick Hamouz

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
Juli 2017

    Hana Librová

    Hana Librová ist eine Brünner Biologin und Soziologin. Im Jahr 1999 gründete sie den Lehrstuhl für Umweltstudien an der Fakultät für soziale Studien der Masaryk-Universität Brno. Bis 2003 leitete sie den Lehrstuhl selbst. Sie widmet sich bereits seit langer Zeit den verschiedenen Aspekten unserer Lebensweise.

    Neben einer Reihe von Artikeln über Individualismus oder ökologisch orientierte Motivationen verfasste Librová auch eine Trilogie über umweltfreundliche Lebensweisen:

    • Pestří a zelení: kapitoly o dobrovolné skromnosti (Bunte und Grüne: Kapitel über freiwillige Genügsamkeit, 1994)
    • Vlažní a váhaví: kapitoly o ekologickém luxusu (Halbherzige und Zögerliche: Kapitel über ökologischen Luxus, 2003)
    • Věrní a rozumní: kapitoly o ekologické zpozdilosti (Treue und Vernünftige: Kapitel über ökologische Zurückgebliebenheit, 2016)

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