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Foto: © Sima Ebrahimi Foto: © Sima Ebrahimi
Arne Semsrott: „Das Informationsfreiheitsgesetz wird unterschätzt. Man kommt an viel mehr Informationen ran, als man glaubt.“

Dass der Staat uns überwacht: geschenkt! Der Clou – wir können ihn auch zurücküberwachen! Oder zumindest: ihm Fragen stellen; der Demokratie und dem Informationsfreiheitsgesetz sei Dank. Die Plattform FragDenStaat.de hilft dabei.

Zwischen spröden, charmebefreiten Plattenbauten, nicht weit vom Berliner Alexanderplatz entfernt, steht ein kleines Backsteinhaus versteckt, das in seinem Inneren nicht nur ein gewaltiges, wunderschönes Atrium und ein Hostel verbirgt, sondern auch die Open Knowlegde Foundation. Die hat eine Menge guter Projekte im Ärmel, darunter FragDenStaat.de. Wir trafen uns mit Arne Semsrott – dem Projektleiter.

Was ist FragDenStaat.de und was kann ich als Bürger damit machen?

FragDenStaat.de ist die Online-Plattform für Informationsfreiheit in Deutschland. Über FragDenStaat.de lässt sich sehr einfach jegliche Art von Anfrage transparent an eine Behörde stellen: Man kann nämlich alle möglichen Informationen anfragen, die beim Staat liegen. Das kann zum Beispiel ein Schriftwechsel zwischen zwei Behörden sein, aber auch Fotos oder Videos, welche die Polizei bei Demonstrationen macht. Alle gestellten Anfragen sind dann wiederum auf FragDenStaat.de einsehbar. Jede einzelne Anfrage befreit also die Information für die gesamte Öffentlichkeit.

Und wer nutzt das hauptsächlich – außer vielleicht Journalisten und Anwälte?

Journalisten, das könnte man meinen – die sind es aber nicht unbedingt, weil sie häufig nicht offenlegen wollen, wie sie an Informationen kommen. Die nutzen für ihre Recherchen eher die Infos, die schon offenliegen. Hauptnutzer sind politisch interessierte Leute. Die fragen alles Mögliche, von „In meinen Dorf wird ein Schwimmbad gebaut und ich möchte wissen, was der Dorfrat dazu beschlossen hat und wie das Budget ist“ bis hin zu „Das Ministerium XY plant dieses und jenes Gesetz. Mich interessiert, mit welchen Lobbyisten sich das Ministerium getroffen hat.“ Hier sind natürlich auch viele NGOs neugierig.

Bleiben wir mal beim Schwimmbad. Ich würde jetzt gerne wissen, wie es um die finanzielle Situation des Schwimmbads in meinem Ortsteil steht. Wie kommt ihr ins Spiel?

Du gehst auf FragDenStaat.de. Entweder weißt du schon, welche Behörde diese Information hat, vielleicht das Bezirks- oder das Ordnungsamt, oder du fragst uns beziehungsweise die Community. Dann gibst du den Namen der Behörde ein, die Mailadressen sind hinterlegt, und schreibst in einem Satz deine Anfrage. FragDenStaat.de versendet das dann für dich mit möglichen legalen Hinweisen, zum Beispiel: „Dies ist ein Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalens, nach §3 haben Sie nach drei Tagen zu antworten“. Gibt es eine Ablehnung, helfen wir auch.

Worüber muss der Staat denn eigentlich Auskunft geben und worüber nicht? Welche Bereiche sind ausgeschlossen vom Informationsfreiheitsgesetz?

Grundsätzlich sind alle Informationen zugänglich. Es sei denn, einer oder mehrere von 30 Ausnahmetatbeständen treffen zu. Das deutsche Gesetz ist im internationalen Vergleich tatsächlich relativ schlecht, in den USA gibt es zum Beispiel nur neun Ausnahmetatbestände. Die am meisten vom Staat genutzten Ausnahmetatbestände sind „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“. Das heißt, wenn der Staat mit einem Unternehmen einen Vertrag schließt, dann müssen die Passagen nicht herausgegeben werden, die Geschäftsgeheimnisse berühren. Ein anderer beliebter Grund ist der „Schutz der öffentlichen Sicherheit“, wenn der Staat beispielsweise verhindern möchte, dass spezifische Details zu Atomkraftwerken den falschen Leuten in die Hände geraten.

Ist das in Anbetracht der ganzen Private Public Partnerships zwischen Staat und Unternehmen nicht ein Riesenproblem, wenn ich da nicht alles einsehen kann, zum Beispiel bezogen auf Unternehmen wie VW oder Toll Collect?

Das ist ein Riesenproblem! Es ist eines der zentralen Probleme mit diesem Gesetz. In sehr vielen kritischen Dokumenten geht es um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Volkswagen ist ein Topbeispiel dafür. Das Verkehrsministerium hat mutmaßlich schon vor der Bekanntwerdung des VW-Skandals davon gewusst. Aber alle Dokumente, die es dazu gibt, betreffen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Volkswagen, sind also für Journalisten oder NGOs nicht einsehbar. Das führt dann zur Herausgabe von Dokumenten, wie wir sie bekommen haben, wo einfach die ganze Seite geschwärzt wurde; in diesem Fall vom Bundeswirtschaftsministerium.

GLOBAL RIGHT TO INFORMATION RATING MAP, 2015

Die Karte zeigt, welche Länder gut (grün) und welche schlecht (rot) abschneiden. Unerwartet: Mexiko hat das beste Informationsfreiheitsgesetz, Österreich das schlechteste. Grund dafür ist die österreichische Verfassung, die in Artikel 20.3 quasi eine Art Verschwiegenheitsklausel für alle staatlichen Organe beinhaltet.

Quelle: www.rti-rating.org

Amerika hast du schon erwähnt. Wo stehen wir denn nun international betrachtet in Sachen Informationsfreiheit?

Es gibt das Global Right to Information Rating, wo 111 Informationsfreiheitsgesetze auf der Welt miteinander verglichen werden. Deutschland ist auf Platz 105 von 111. Dennoch ist es ein unterschätztes Gesetz, weil man an viel mehr Informationen rankommt, als man glaubt. Nur nutzen es noch nicht allzu viele Menschen. Wir haben zum Beispiel gerade die Gesprächsvorbereitung des Innenministers zu seinem Treffen mit dem Facebook-Chef Mark Zuckerberg bekommen. Ich denke, dass viele nicht wissen, dass man das Recht hat, diese Information zu bekommen.

Das klingt spannend! Wer hat das denn angefragt, warum und was steht drin?

Diese Anfrage haben wir tatsächlich selbst gestellt. Hier haben wir genau nach allen Dokumenten zur Gesprächsvorbereitung von Thomas de Maizière gefragt und als Antwort darauf einen Vermerk des Pressereferats des Ministeriums bekommen, das den Briefverkehr zwischen verschiedenen Referaten des Ministeriums enthält. Die 20 Seiten zeigen, worauf sich der Minister vorbereitet hat. Er macht sich zum Beispiel Sorgen über zu viel Hate Speech auf Facebook. Praktisch, da meist das konkrete Gespräch nicht protokolliert wird oder nur ausgesuchte Versatzstücke an die Öffentlichkeit dringen. Das alles ist auch bald online für alle einsehbar.

Welche Behörden sind denn besonders auskunftsunwillig?

Es ist das Innenministerium, das leider auch die Verantwortung für das Gesetz hat. Das hat aber auch Ressorttradition: Das Innenministerium lässt sich besonders ungern in die Karten schauen, ebenso das Bundeskanzleramt oder der Bundestag. Das Umweltministerium ist da vergleichsweise völlig anders. Es strebt viel eher Koalitionen mit der Zivilgesellschaft an. Hier bekommt man dementsprechend recht schnell Informationen und muss in der Regel auch keine Gebühren dafür bezahlen.

Das Umweltministerium macht das ja auch schon seit 1994, die anderen Ministerien erst seit 2006. Versteht ihr euch als Vorreiter einer neuen politischen Kultur, damit die Ministerien sich so langsam öffnen wie die Austern?

Absolut! Spannend ist auch, dass die Grenze der Auskunftsfreudigkeit weniger zwischen den Ministerien, als zwischen den Generationen der Menschen verläuft, die dort arbeiten. Wir merken, dass jüngere Mitarbeiter im Innenministerium beispielsweise viel offener sind. Manchmal sind wir erfolgreicher, wenn wir ein Ministerium einfach antwittern, statt den offiziellen Weg zu gehen. Wenn das der Trend ist, stehen uns gute Zeiten bevor.

Ihr zieht aber zuweilen auch vor Gericht, wenn bestimmte Behörden überhaupt nicht auskunftswillig sind.

Wir klagen selbst oder finanzieren auch Klagen von anderen, meist vor dem Verwaltungsgericht. Das entscheidet am Ende dann oft, dass man die Informationen bekommen darf.

Ihr habt bestimmte Schwesterplattformen gegründet, wie FragDenBundestag.de oder FragDasJobcenter.de. Warum braucht es diese spezifischen Seiten?

Solche Kampagnen fahren wir in den Bereichen, wo wir das Gefühl haben, dass da besonders viel im Argen liegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Bundestag dazu verurteilt, gewisse Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes herauszugeben. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erarbeitet jedes Jahr Tausende Gutachten zu allen möglichen Themen, sei es der Finanzmarkt in China oder die Drogenpolitik in Berlin. Diese Ausarbeitungen, von denen sie nun gezwungen waren, einzelne herauszugeben, dienen als Grundlage für Gesetze. Wir haben dem Bundestag vorgeschlagen, doch einfach direkt alle Ausarbeitungen auf ihrer Online-Plattform freizugeben. Der Bundestag antwortete: „Vielen Dank, wir melden uns!“, und hat sich daraufhin nie wieder gemeldet. Zusammen mit Abgeordnetenwatch.de haben wir dann eine Datenbank mit einer Liste von 5.000 Gutachten angelegt, die von unseren Nutzern automatisch beim Bundestag angefragt werden konnten. Das führte dazu, dass der Bundestag mit Anfragen regelrecht geflutet wurde. Bedeutet: Beim Bundestag mussten sie entscheiden, ob sie Tausende von Anfragen einzeln ausdrucken, Aktenzeichen vergeben, Bearbeiter-Namen schwärzen, an den Vorgesetzten geben, Empfangsbestätigung mit der Post rausgeben – oder ob sie die Gutachten einfach online stellen. Drei Wochen später geschah genau letzteres und das gilt jetzt für alle zukünftigen Ausarbeitungen. Das ist genau unser Weg, solche Wissensschätze zu befreien.

Was war denn die skurrilste aller Anfragen, die bisher über eure Seite lief?

Meine Lieblingsanfrage ist, glaube ich, auch die berühmteste aller Anfragen: die Anfrage eines Schülers nach den Abiturfragen. Der dachte sich beim Lernen: „Halt mal! Das sind doch Informationen, die beim Staat liegen!“Also hat er vor den Prüfungen beim Ministerium die Aufgaben angefragt. Das ging dann durch die internationale Presse. Das Ministerium musste erst einmal herausfinden, wie sie das ablehnen können. Letztlich haben sie aber einen Ausnahmetatbestand gefunden: „Schutz des behördlichen Entscheidungsinteresses“. Immerhin haben sie ihm dann einen Tag nach dem Abi die Aufgaben zugeschickt. Hat ihm zwar nicht mehr geholfen, aber vielleicht den Schülern im nächsten Jahr zum Lernen.

Arne, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Alexander Sängerlaub.

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Dieser Text erschien in der zweiten Ausgabe des utopischen Politikmagazins Kater Demos zum Thema Überwachung. Wir bedanken uns für die Genehmigung zur Wiederveröffentlichung! Mehr über Kater Demos: Make journalism great again!

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