Chucky, die Mörderpuppe, in meinem Bett…

Foto: © Janika RehakFoto: © Janika Rehak
Porzellanpuppen – für Nicole der blanke Horror. Foto: © Janika Rehak

Eigentlich ist Nicole Baumann (29) aus Bremen überhaupt nicht der ängstliche Typ. Nichts bringt die junge Lehrerin so schnell aus der Fassung. Doch vor einer Sache hat die taffe Pädagogin panische Angst. Sie leidet unter Pupaphobie – Angst vor Puppen. Sie erzählt über Ursachen, Auswirkungen im Alltag und erklärt, wieso sie eine Therapie trotzdem für unnötig hält.

Nicole, du fürchtest dich also vor Puppen. Welche Arten von Puppen betrifft das genau?

Bauchrednerpuppen! Die finde ich am allerschlimmsten! Und Porzellanpuppen! Bei denen bekomme ich eine echte Gänsehaut. Kasperletheater! Geht gar nicht! Marionetten! Auch total fürchterlich! Puh, bei mir kribbelt es schon überall, wenn ich nur daran denke…!

Das Thema scheint dich ja schon jetzt richtig mitzunehmen. Dabei haben wir doch gerade erst angefangen.

Tja, da sieht man wohl, wie ausgeprägt meine Phobie ist (lacht). Also grundsätzlich gilt: je lebensechter die Puppen aussehen, desto schlimmer. Und wenn die sich dann auch noch bewegen können, so wie Bauchrednerpuppen, dann ist das richtig schrecklich für mich.

Wann ist dir diese Angst zum ersten Mal bewusst geworden? Oder gab es einen bestimmten Auslöser?

Unheimlich fand ich Puppen schon immer. Ich bin schon als Kleinkind schreiend aus dem Kasperle-Theater gelaufen, sobald der Vorhang aufging. Allerdings gab es durchaus ein Schlüsselerlebnis, als ich drei Jahre alt war: Da musste ich auf dem Jahrmarkt mit einer Marionette tanzen, die genauso groß war wie ich. Zuerst habe ich mich geweigert, wurde aber mehr oder weniger dazu genötigt. Die Leute dachten, ich wäre bloß schüchtern. Keiner hat begriffen, dass ich in dem Moment wirklich Panik hatte. Von dieser Szene habe ich heute noch Alpträume. Und als ich etwa fünf war, habe ich versehentlich einen Ausschnitt aus dem Film „Chucky, die Mörderpuppe“ gesehen. Danach hat sich die Sache dann richtig manifestiert, weil ich da natürlich alles bestätigt sah, was ich schon immer zu wissen glaubte: Puppen sind nicht nett, Puppen sind böse! Dunkelheit hat die Angst übrigens noch verstärkt. Sobald das Licht aus war, habe ich mir eingebildet, Chucky sitzt an meinem Bett und will mich umbringen.

Originaltrailer des US-amerikanischen Horrorfilms von 1988 „Child's Play“ („Chucky, die Mörderpuppe“)

Demnach hattest du als Kind also auch eine sehr rege Fantasie?

Oh ja! Problematisch wurde es zum Beispiel auch, wenn ich bei meiner Oma zu Besuch war. Die hat nämlich Puppen gesammelt. Ihre ganze Wohnung war voll davon, in jedem Zimmer saß mindestens eine. Wenn ich bei Oma übernachtet habe, dann mussten vorher alle Puppen weggeräumt und in den Keller gesperrt werden. Trotzdem hat mir das schlaflose Nächte bereitet. Denn immerhin haben Puppen auch Hände. Wer garantiert mir denn, dachte ich, dass die nicht in die Lage sind, einen Schlüssel zu benutzen? Ich weiß, das hört sich für Außenstehende ziemlich seltsam an, genau wie die Sache mit Chucky. Aber solche Szenen haben sich damals in meinem Kopf abgespielt. Und auch wenn ich heute selbst darüber lache, war das damals überhaupt nicht witzig.

Wie reagierst du denn heute, wenn du unerwartet mit einer Puppe konfrontiert wirst?

Ich sage es mal so: Als erwachsener Mensch kann man sich zusammenreißen. Als Teenager ist mir das noch schwer gefallen. Einmal habe ich in einem Anfall von Panik sogar eine Porzellanpuppe zerstört, die 200 Euro wert war. Das war ein Sammlerstück, limitierte Edition. Die Besitzerin war natürlich nicht begeistert, wie man sich sicher vorstellen kann.

Doch auch heute habe ich noch ein echtes Ekelgefühl vor Puppen. Ich kriege eine Gänsehaut und mein Magen krampft sich zusammen. Ich betrete auch keinen Raum, wenn ich weiß, dass sich eine Puppe darin befindet, jedenfalls nicht, wenn ich allein bin. Wenn andere Leute dabei sind, dann fällt mir das etwas leichter. Zum einen, weil mich das ablenkt, zum anderen, weil mir diese Phobie natürlich auch peinlich ist, und ich es vor anderen ungern zugebe.

Du gehst Puppen also so weit wie möglich aus dem Weg. Wirkt sich das problematisch auf deinen Alltag aus?

Indirekt schon. Es gibt zum Beispiel besonders im Grundschulbereich eine Menge Unterrichtsmethoden, bei denen Puppen verwendet werden. Die kann ich alle nicht anwenden. Und beim Schuleingangstest in Bremen werden grundsätzlich Puppen eingesetzt. Das werde ich auch niemals machen können und muss immer die Kollegen vorschieben.

Hast du schon mal über eine Therapie nachgedacht?

Nein, weil mich die Phobie in meinem Alltag wiederum nicht so stark einschränkt. Ich lege zwar ein gewisses Vermeidungsverhalten an den Tag, aber so häufig wird man ja auch nicht mit Puppen konfrontiert. Ich glaube also nicht, dass für mich eine Therapie jemals zwingend notwendig sein wird.

Foto: © Janika Rehak
Hexenpuppen – nicht unbedingt ein netter Anblick. Foto: © Janika Rehak

Nun ist Puppenangst ja eine eher ungewöhnliche Phobie. Wie reagiert denn dein Umfeld darauf?

Viele Menschen wissen das gar nicht, nur meine Familie, mein Partner und ein paar gute Freunde. Die waren eigentlich immer sehr verständnisvoll oder haben zumindest Rücksicht genommen. Mir ist aber auch klar, dass nicht jeder diese Phobie nachvollziehen kann. Ich selbst sehe das sogar ganz ähnlich: Realistisch betrachtet macht es auch in meinen Augen viel mehr Sinn, sich vor Spinnen oder Schlangen zu fürchten, oder meinetwegen auch vor Bakterien oder Krankheiten. Keine Puppe hat jemals einem Menschen jemals etwas zuleide getan. Ach, und wo wir gerade beim Thema Realität sind: Ja, ich weiß, Chucky gibt es nur im Film!

Und wenn du später selbst einmal eigene Kinder bekommst? Siehst du da ein Problem?

Tja, das könnte in der Tat kompliziert werden. Ich glaube, dann werde ich denen einfach so viele Kuscheltiere und anderes Zeug schenken, dass in den Regalen kein Platz mehr für Puppen ist. Und Verwandte und Bekannte müssten natürlich entsprechend instruiert werden, was den Kindern mitgebracht werden darf und was nicht.

Richtig schwierig wird es allerdings dann, wenn eines meiner Kinder irgendwann einmal auf die Idee kommt, Bauchredner werden zu wollen. Als Pädagogin finde ich es natürlich gut und richtig, die Träume von Kindern zu unterstützen. Als Puppenphobikerin dagegen könnte ich diese Pläne unmöglich gutheißen.

Das Interview führte Janika Rehak

Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2013

    Chucky, die Mörderpuppe

    ist ein US-amerikanischer Horrorfilm aus dem Jahr 1988.

    Handlung: Der kleine Andy bekommt eine Puppe geschenkt, die allerdings keineswegs so niedlich und harmlos ist, wie sie aussieht. Chucky ist nämlich vom Geist eines Serienmörders besessen. In Puppengestalt kann er ungehindert weitermorden – denn wer verdächtigt schon ein (scheinbar) lebloses Spielzeug…?  Obwohl „Chucky“ zunächst kein kommerzieller Erfolg war, hat er bei Horrorfans inzwischen Kultstatus erlangt, mittlerweile wurden vier Fortsetzungen produziert. Während Teil 1 aber noch auf den Grusel- und Schockfaktor setzte, handelt es sich bei den Fortsetzungen eher um Horrorkomödien, in denen es dennoch ziemlich blutig zugeht.

    Der erste Teil war in Deutschland bis Oktober 2011 indiziert.

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