Ich sage mir immer wieder, dass ich nichts habe
Ein 22-jähriger Student über sein Leben mit einer Panikstörung
Ondřej [Name geändert, Anm. der Redaktion] studiert im zweiten Jahr an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Prager Karlsuniversität. Er spielt Tischtennis, mag Filme, geht in die Kneipe. Er jobbt in Teilzeit bei einer Internet-Marketing-Firma. Er hat keinen großen Streß, er hatte keine schwere Kindheit, es quälen ihn keine Beziehungsprobleme. Trotzdem brach bei ihm vor etwa einem Jahr eine unangenehme psychische Krankheit aus – und das sicher nicht in Teilzeit. Die Erkrankung begann immer stärker seinen Alltag zu bestimmen.
„Die Panikstörung, die Angstattacken trafen mich aus heiterem Himmel. Ich saß gerade in einer Vorlesung, plötzlich spürte ich wie mich ein Ohnmachtsgefühl überkam. Ich hatte normal gefrühstückt, krank war ich auch nicht, daher hat mich das ziemlich erschreckt. Zudem schien mir, als würde mein Herz merkwürdig schlagen und zwischendurch aussetzen. Ich trank etwas, aber das half nicht. Deshalb lief ich aus dem Hörsaal auf den Gang und dann auf die Toilette. Ich hoffte, dass sich das beruhigen würde“, erzählt der 22-jährige Ondřej.
Der unerwartete Zustand legte sich jedoch nicht. Im Gegenteil. Ondřej glaubte jeden Moment umzukippen und das Bewusstsein zu verlieren. Also verließ er die Uni und machte sich auf den Weg nach Hause. Schon in der Metro verschlimmerte sich sein Zustand jedoch und auch aus der Straßenbahn musste er aussteigen. Zu der Angst ohnmächtig zu werden kam nämlich auch noch die Beklemmung in einem geschlossenen Raum mit vielen Menschen zu sein. „Ich habe wirklich nicht gewusst, was da los war. Ins Wohnheim bin ich zu Fuß gegangen. Mein Mitbewohner war nicht zu Hause. Jetzt klingt das fast witzig, aber damals habe ich echt gedacht, dass ich umkippe, mein Herz versagt und ich sterbe“, schildert Ondřej. Die merkwürdigen körperlichen Symptome verschwanden auch nicht, als er sich hinlegte. Schließlich rief er um vier Uhr morgens einen Krankenwagen.
„Sobald ich mich in den Krankenwagen gesetzt hatte, hörte alles wie durch ein Wunder auf. Auf einmal ging es mir wieder gut. Im Krankenhaus haben sie noch ein EKG gemacht. Alles war in Ordnung. Ich bekam zur Beruhigung Neurol [Ein angstlösendes Medikament mit kurzzeitiger Wirkung. Anm. d. Redaktion] und einige Stunden später haben sie mich wieder nach Hause geschickt“, erinnert sich Ondřej. Der Student ging davon aus, dass es sich sein Erlebnis nicht wiederholen würde. Doch einige Wochen später war es wieder so weit. „Es kam immer in Momenten, in denen ich am wenigsten damit gerechnet habe. Während einer Arbeitsbesprechung, als wir im Café saßen. Im Kino, wenn ich in der Mitte der Reihe saß. Plötzlich begann mein Herz unregelmäßig zu schlagen und ich glaubte ohnmächtig zu werden. Am meisten fürchtete ich mich davor, was wohl meine Kollegen oder Freunde sagen würden, wenn ich einfach zusammengeklappt wäre“, so der junge Mann, der ursprünglich aus der Nähe von Ostrava kommt.
Die Situationen begannen für Ondřej unerträglich zu werden, die Panikattacken beinträchtigten seinen Alltag. Im Internet verbrachte er Stunden, um herauszufinden, was er eigentlich hat. „Natürlich hatte ich Anzeichen jeder zweiten Krankheit. Nein... Jeder Krankheit! Aber eine der Varianten war eben auch die Panikstörung.“ Schließlich suchte Ondřej den Amtsarzt auf. „Ich habe mir bei ihm praktisch selbst die Diagnose Panikstörung gestellt, wofür er mich auch gleich gelobt hat. Denn das sei die Voraussetzung für eine erfolgreiche Heilung. Und angeblich sei die Störung jetzt schrecklich häufig, gut heilbar, aber die Leute würden sich nicht eingestehen, dass sie daran leiden. Sie suchen ständig nach anderen Ursachen für ihre Probleme und beschuldigen den Arzt, dass er nicht in der Lage sei, diese Ursache herauszufinden“, erzählt Ondřej.
Der Arzt verschrieb Ondřej noch einmal Neurol. Es eignet sich jedoch nicht zur längeren Einnahme, weil es stark süchtig macht. Deshalb bekam Ondřej außerdem klassische Antidepressiva und vor allem Ratschläge, wie er sich verhalten soll, wenn eine Panik aufkommt. „Wichtig ist, sich die Situation logisch zu erklären. Etwa: ‚Ich habe ein Augenflimmern, weil ich übernächtigt bin. Heute gehe früher schlafen und alles wird wieder gut. Du hast keine schlimme Krankheit!‘ Zu Beginn hat mir das tatsächlich geholfen“, erinnert sich Ondřej. Die verschriebenen Antidepressiva nahm er aber nicht. Sein Befinden besserte sich etwas, die logischen Selbstbeschwichtigungen funktionierten, und wenn es ganz schlimm wurde gab es immer noch das Neurol.
„Das war jedoch ein Fehler. Es kehrte mit voller Wucht zurück. Und noch eine unerwartete Sache stellte sich ein: Obwohl ich mir ja selbst die Panikstörung diagnostiziert hatte, begann ich bei mir andere Erkrankungen zu suchen. Krebs, Gelbsucht, Borreliose. Ständig. Das war total durchgeknallt“, sagt Ondřej. Die Attacken kamen dann, wenn etwas von ihm erwartet wurde. Selbst wenn es noch so banale Aufgaben waren. „Immer wenn ich irgendetwas leisten musste, war es schlimm. Kalter Schweiß lief mir herunter, mein Magen zog sich zusammen. Es reichte irgendein dämliches Referat, das ich vor Kommilitonen halten sollte.“ Als zu den Panikattacken noch eine allgemeine, nicht nachlassende Übelkeit und ein Ekzem kamen, begann Ondřej mit der Einnahme der Antidepressiva.
„Wie bei allen vergleichbaren Medikamenten, fangen auch die erst nach einer gewissen Zeit an zu wirken. Zu Beginn ging es mir fürchterlich. Es ist aber wichtig durchzuhalten. Ich sollte die Tabletten zwei Monate lang nehmen, aber schon nach einem Monat hab ich sie abgesetzt, weil es mir wieder gut ging“, erzählt der 22-Jährige. Trotzdem übt Ondřej auch jetzt noch Selbstkritik– laut seinem Arzt ist es nämlich notwendig die Therapie zu Ende zu führen: „Vielleicht muss ich die Antidepressiva noch einmal nehmen. Ich habe wieder ein Ekzem und ich glaube, dass auch das psychische Ursachen hat.“
Wo der Auslöser für seine Panikstörung sein könnte, kann Ondřej nicht sagen. „Ich habe darüber nachgedacht, aber ich weiß es nicht. Das muss bestimmt irgendein Erlebnis in der Vergangenheit hervorgerufen haben, irgendein großer Streß. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass ich nicht gerade gesund lebe, ich rauche ziemlich viel. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass der Grund mein Umzug nach Prag war, in eine neue Umgebung, die ich nicht kannte, auf eine Hochschule, an der ich mich nicht wirklich orientieren konnte. Ich weiß es nicht.“
Anderen Betroffenen würde Ondřej die erwähnten Antidepressiva empfehlen. „Das geht tatsächlich nicht von allein wieder weg. Man schafft das nicht allein. Ich wehre mich gegen das Stigma, dass man ‚verrückt‘ sei, wenn man Pillen für den Kopf schlucken muss. Ich hab einfach ein psychisches Problem, das sitzt in meinem Kopf, und auf diese Weise löse ich es am besten“, glaubt der Student.