Josef Bolf – der Angstmaler

Foto: © Daniel VojtěchFoto: © Daniel Vojtěch
Josef Bolf in seinem Atelier, Foto: © Daniel Vojtěch

Reden ist nicht seine Sache, die Kindheit war es auch nicht, und trotzdem kehrt er in seinen Bildern immer wieder zu ihr zurück. Es sind Bilder voller Schmerz, Einsamkeit und Angst. Seit ein paar Jahren verkaufen sie sich gut, seine Bilder, und Josef Bolf gilt als einer der ungewöhnlichsten tschechischen Maler der Gegenwart.

Die Karlín-Studios. Eine Prager Fabrikhalle aus den 20er Jahren mit einer Stahlkonstruktion, wie man sie auch aus Bahnhofshallen kennt. Eine knarzende Holztreppe führt in ein Obergeschoss, in dem sich eine Tür an die andere reiht. An einer steht auf einem kleinen Schildchen: Josef Bolf. Hier hat ein Maler sein Atelier, der 2010 zur „Tschechischen Künstlerpersönlichkeit des Jahres“ ernannt wurde.

Ein Atelier wie in Paris um 1900. Überall Pinsel und Farbe. Josef Bolf selbst könnte wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität sein. Dunkler Pullover, ein heller Hemdkragen schaut darunter hervor, hohe Stirn mit Geheimratsecken, das kurz geschnittene Haar ist für einen 42-Jährigen zu grau. Bolf lächelt zurückhaltend und serviert Tee in Gläsern, die aussehen, als wären sie für Tuschwasser bestimmt. An der hinteren Wand hängen Bilder.

Einige Gemälde der letzten Ausstellung in Berlin: Die gekachelten Räume eines Krankenhauses. Schmutzig. Menschenleere Flure. Ein abgestellter Rollstuhl älterer Bauart. Der Atombunker für die Notversorgung aus der Zeit des Kalten Krieges. Alles in Schwarz-weiß und Violett, Kratzereien in Wachsmalfarbe, hier und da verlaufende Tusche.

„Ich war ein kränkliches Kind und habe einigermaßen viel Zeit in Krankenhäusern verbracht“, erzählt er mit leiser Stimme. Er sei also in ein Umfeld zurückgekehrt, in dem er als kleiner Junge vor x-Jahren einiges erlebt habe. Worum es ihm geht, ist die Gegenüberstellung. Hier ist die Erinnerung, da ist die Realität heute. „Und dazwischen ist ein großer, ziemlich kreativer Raum, in dem man sich recht frei bewegen kann.“

Erinnern, das heißt für Josef Bolf auch Kindheit in der Prager Südstadt Anfang der 70er Jahre. Kindheit in einer endlosen Plattenbausiedlung, in der über Jahre eine Baustelle neben der anderen klafft, eine Schule aus Beton, Gasmasken auf dem Gesicht und Plastiktüten über den Händen - Schutzübungen für den atomaren Ernstfall in einem kommunistischen Land.

Sál (2010), © Josef Bolf
Eine traumatisierte, verlorene Welt voll dreckiger Sterilität: Krankenhauszimmer (2010), © Josef Bolf, Quelle: www.huntkastner.com

„Ich war das Kind, das man immer beim Nachnamen gerufen hat“

„Die haben uns das so in die Köpfe gehämmert, ihre Ideologie.“ Der Feind war wichtig. Und er war grausam. „Wenn ich darüber nachdenke, dann war da auch so eine Wut - auf die Schule, auf die Eltern. Dass sie mich da hinein gezogen haben, obwohl sie wussten, dass das alles gelogen war.“

Bolfs Figuren sind Kinder, stumpfe, zerfließende Schatten von Kindern, in Violett und Schwarz. Manche haben Tiergesichter, hantieren mit Pistolen. Wie lebende Tote stehen sie in einer Landschaft aus Beton, in einer heruntergekommenen Turnhalle, einsam in einer dunklen Unterführung. Ihre Augen und Hände bluten. Manchmal in Strömen. Verletzung überall, aber schreien ist sinnlos. Eine traumatisierte, verlorene Welt voll dreckiger Sterilität. Josef Bolf ist ein Meister der Depression, der Beklemmung, der Apokalypse. Und: Immer wieder ist es die Schulzeit, in die er dabei zurückkehrt. „Ich war eigentlich das Kind, das man immer beim Nachnamen gerufen hat.“ Er lacht seltsam, fast nach jeder Bemerkungen, die ihn persönlich betrifft.

Damals zieht Josef Bolf sich zurück. Er zeichnet. Seine Eltern – der Vater Elektriker, die Mutter Schneiderin - kaufen ihm eine zehnbändige Geschichte der Kunst. Es sind die Gemälde der Gotik und der Frührenaissance, in die der Junge immer wieder versinkt. Gerade weil er nicht religiös erzogen worden sei, habe er auch nicht ganz verstanden, was sich auf den Bildern abspielt. Die Mythologie, die ziemlich gewaltsamen Szenen, das habe ihn immer angezogen und fasziniert. „Ich denke dann die unbekannte Mythologie zu Ende, suche nach Antworten.“

Bolf sucht nach Worten, versucht sein Thema zu erklären, und es hängt so viel Ich daran, dass es Kraft kostet:

„Ich denke, der Horror...oder das Finstere... geht daraus hervor, dass das für mich einigermaßen, vielleicht für mich...ein leichter Vorwand, ein Deckmantel ist...damit ich mir nicht eingestehen muss, dass ich das nicht ganz verstehe. Und im Grunde, ja... ist dieses Finstere erschreckend. Auf der anderen Seite gibt es da Orte, in die ich nicht hineinschauen kann, die ich nicht durchschauen kann. Vielleicht...vielleicht hat das die größere Bedeutung für mich als dieses Horrorartige...das sind Gefühle, die ich nicht genau kenne, wo ich auch nicht genau weiß, warum. Vielleicht zieht mich eine Art Horror an, oder, oder, ich fühle mich zu ihm hingezogen (lacht verlegen) und, und, und dieses etwas unklare Erfassen... oder so... ist sehr wichtig. Das hat großen Einfluss auf die Arbeit.“

Zeichnen fiel ihm schon immer leichter als das Sprechen darüber. „Die ganze Zeit haben mir alle immer bestätigt, dass ich Talent habe, so lange, bis ich das wohl geglaubt habe.“ Da ist es wieder, dieses Lachen.

Herbst (2009), © Josef Bolf, Foto: Jan Freiberg, Quelle: www.huntkastner.com
Herbst (2009), © Josef Bolf, Foto: Jan Freiberg, Quelle: www.huntkastner.com

„Lange habe ich mich überhaupt nicht unter Kontrolle gehabt“

Ein Jahr nach der Wende schafft Josef Bolf die Aufnahmeprüfung an der Prager Akademie für bildende Kunst. Zum ersten Mal hat er Menschen um sich, die sich auch mit Kunst befassen. Es folgen Stipendien in Stockholm und Stuttgart. Doch als Josef Bolf 1998 seinen Abschluss macht, erlebt die Kunstszene in Tschechien ihre erste Ernüchterung nach der Samtenen Revolution. Im Grunde wie die ganze tschechische Gesellschaft. Und wie man von Kunst lebt, das hatte man ihnen an der Akademie nicht beigebracht. Bolf malt Kulissen für amerikanische Filmproduktionen in Prag. Ein Broterwerb für den stillen Bolf in einer schrillen Welt. Das laugt ihn aus. Um in seiner Welt zu bleiben, zeichnet er – wie im Wahn – jeden Abend bis zu zwanzig Porträts. Bis er nicht mehr kann. Ein ganzes Jahr flieht er in die virtuelle Welt des Computerspiels Wolfenstein.

„Ich kontrolliere mich jetzt mehr, und es liegt mir mehr daran, wie meine Arbeiten aufgenommen werden. Aber lange habe ich mich überhaupt nicht unter Kontrolle gehabt“, sagt er und lacht gedehnt und kontrolliert. „Das war anstrengend, das soziale Funktionieren und die Psyche. - Das genügt.“ Er wischt den Gedanken mit der Hand beiseite - „hier reden wir nicht weiter drüber“ - und lächelt verlegen einen Punkt hinter den Satz.

After the Fall in New York zu sehen, im Frühjahr hatte er seine erste eigene Ausstellung in der Pariser Galerie Dukan, und bis September sind seine neuesten Werke im Egon Schiele Art Centrum in Český Krumlov (Böhmisch Krumau) ausgestellt. Kunst, das ist für Josef Bolf die einzige wirkliche Freiheit, die er kennt, in der er bereit ist, sich zu öffnen. „Wenn ich nicht eine seltsame, exhibitionistische Störung hätte, die sich danach sehnt, Dinge zu teilen, die ich nicht verstehe, dann würde ich das vielleicht nicht machen.“

Aber wäre ein anderer Beruf für Josef Bolf überhaupt denkbar? Muss ich darauf antworten, fragt er höflich-gequält... „Vielleicht wäre ich Taucher geworden.“

Christian Rühmkorf

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juni 2013

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