Auch mit 64 Jahren noch Trendsetter

Berlinale-Plakat | BOROS, Agentur für Kommunikation © Internationale Filmfestspiele Berlin
Berlinale-Plakat | BOROS, Agentur für Kommunikation © Internationale Filmfestspiele Berlin

Christoph Waltz ist gerade vielbeschäftigt: Nicht genug, dass er mitten in diversen Filmprojekten steckt, in den nächsten zwei Wochen wird er auch noch 20 Filme aus 20 Ländern anschauen, die bei der Berlinale gezeigt werden – Insgesamt 400 Beiträge sind dort im Rennen. Nicht weniger als 18 Weltpremieren, drei deutsche Erstaufführungen, sechs deutsche Co-Produktionen und vier deutsche Filme sind am Start – Seit 2006 gab es nicht mehr so viele deutsche Beiträge. Diese sind damit in diesem Jahr genauso zahlreich vertreten wie chinesische oder lateinamerikanische Filme.

Der Cannes-erprobte zweifache Oscar-Gewinner Waltz ist dabei nur einer von vielen herausragenden Namen, die in der diesmal kunterbunt zusammengestellten Jury der 64. Berlinale sitzen. Neben Waltz sind so illustre Gestalten wie ein erfolgreicher Produzent vertreten, ein charmanter amerikanischer Indie-Schauspieler, eine dänische Schauspielerin mit musikalischem Talent, ein kontroverser iranischer Filmemacher, Maler und ehemaliger Berlinale-Gewinner, ein preisgekrönter chinesischer Schauspieler, ein renommierter französischer Regisseur und die einzige Frau, die 007 wirklich kennt (nein, nicht die Queen, die Rede ist von Produzentin Barbara Broccoli).

Mehr zu den Gewinnern der begehrten Silbernen und Goldenen Bären gibt’s an dieser Stelle am Ende des Festivals. Wenn der Deutschen liebster Hollywoodstar George Clooney unter lautem Gekreische über den Potsdamer Platz schreiten wird, werden die ersten Preise bereits vergeben worden sein.

Der Preis für das Lebenswerk geht an den Berlinale-Veteranen Ken Loach. Die Schauspielerin Corinna Harfouch (Was bleibt) bekommt den Paula-Preis, mit dem Künstler aus Ostdeutschland geehrt werden, die einen besonderen Beitrag zur Filmlandschaft im wiedervereinten Deutschland geleistet haben. Außerdem wurden zwei junge deutsche Filmemacher gerade mit dem „Made in Germany Förderpreis Perspektive“ ausgezeichnet: Sandra Kaudelka (Einzelkämpfer) und Sebastian Metz, dessen großartiger Dokumentarfilm Metamorphosen, ein Beitrag der Berlinale 2013, gerade auf dem „Planet in Focus Environmental Film Festival“ in Toronto gezeigt wurde. Der Förderpreis ist mit 15.000 Euro dotiert, dazu können die Preisträger mit Hilfe eines Mentors neue Projekte an den Start bringen.

Nun aber zum eigentlichen Festival. Wes Andersons starbesetzter ostdeutscher Film Grand Budapest Hotel (GB/D) ist laut Berlinale-Direktor Dieter Kosslick eine herausragende Produktion. Neben dem ebenfalls ostdeutschen Film The Monuments Men mit George Clooney, der außerhalb des Wettbewerbs läuft, ist dies der zweite Film, der sich mit dem schon fast auf unheimliche Weise aktuellen Thema Kunstraub und Beutekunst befasst. Ein weiteres Highlight ist der vielfach prämierte südkoreanische Beitrag Snowpiercer, um den sich Toronto und Locarno im letzten Jahr regelrecht gerissen haben.

Auch wenn sie nicht mehr ganz taufrisch ist, macht die Berlinale auf dem roten Teppich immer noch eine tolle Figur. Ob sich alle Trends und Voraussagen am Ende bewahrheiten werden, bleibt abzuwarten. In den vergangenen Jahren habe ich so viele Trends kommen und gehen sehen, von Video On Demand zu TV-Formaten (in diesem Jahr anscheinend kein großes Thema), US-Indie-Filmen (immer noch stark) und deutschen Autorenfilmern (die gerade pausieren oder auf Cannes warten, wie Christian Petzold und Fatih Akin), faktenbeladenen Analysen der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts oder seeeeehr langen und mehrteiligen Filmen (und zwar sehr vielen).

Der größte Trend 2014 ist wohl der konkrete Blick in Richtung Asien, der sich unter anderem mit der Präsentation vietnamesischer Science-Fiction und einem 21-jährigen chinesischen Filmemacher zeigt. Laut Kosslik sind sogar Treffen mit Regisseuren aus Nordkorea geplant. Im Mittelpunkt des Forums steht Osteuropa. Anders als im vergangenen Jahr ist diese Region, die ansonsten immer stark auf der Berlinale vertreten war, nicht am Wettbewerb beteiligt.

Die Suche nach thematischen Schwerpunkten erweist sich bei der diesjährigen Berlinale als schwierig. Am Ende geht es immer um das menschliche Dasein in all seinen Facetten: Familie und Kinder, Liebe und Sex, Religion und soziale Umstände – was sich vor allem im Bereich des Forums zeigt. Eines ist jedoch sicher: Die Berlinale gibt uns das, was wir von ihr erwarten, nämlich ein vielseitiges und schillerndes Programm. Wenn Bill Murray über den roten Teppich läuft, und eine Retrospektive japanische Beleuchtungsstile von 1915 bis 1950 zeigt, dann ist die Berlinale ganz die Berlinale.

Dass brisante politische Themen auch bei der Berlinale immer für Schlagzeilen gut sind, ist dabei fast schon Tradition. Kosslicks Antwort auf die Kontroverse um Sotschi ist die brasilianisch-berlinerische schwule Liebesgeschichte Praia do Futuro, die im Wettbewerb läuft und für viel Aufmerksamkeit sorgt. Und dann gibt’s natürlich noch den Teddy, den wohl wichtigsten LGBT-Preis, bei dem in diesem Jahr auch Andrew Murphy, der Programmdirektor des Inside-Out-Filmfestivals Toronto, in der Jury sitzt. Für politische Diskussionen dürfte auch der vielfach prämierte, in London ansässige Künstler und Regisseur Kutluğ Ataman sorgen, der in der deutsch-türkischen Ko-Produktion The Lamb (Kuzu) in die Türkei seiner Kindheit zurückkehrt. Atamans Film Lola und Bilidikid von 1999 über das Coming-Out eines Schwulen in einer türkischen Gemeinschaft in Berlin wurde bereits auf der Berlinale ausgezeichnet. Inzwischen steht Ataman unter Beschuss, weil er angeblich auf der Seite der regierenden türkischen Partei steht, die sich gegen die Protestler im Gezi-Park gewandt hat. Auch Gefängnisfilme sind stark vertreten, vielleicht in Anlehnung an den Film Cesar Must Die der Taviani-Brüder, der 2012 mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde und ebenfalls in einem Gefängnis spielt. Auch traurige Schlagzeilen macht die Berlinale derzeit, etwa „Silberner-Bär-Gewinner der Berlinale Nazif Mujic sucht Asyl in Deutschland“ und „Der bosnische Schauspieler Mujic, der zur Minderheit der Roma gehört, muss Abschiebung fürchten“ (die Berlinale hat ihm gerade einen Anwalt zur Seite gestellt).

Ganz oben auf meiner „To see“-Liste stehen mehr als zehn kanadische Filme, die wie im vergangenen Jahr meist aus Québec stammen. Darunter etwa ein neuer Film des 2013 für einen Goldenen Bären nominierten Denis Côté oder der beim Internationalen Filmfestival Thessaloniki TIFF zum ersten Mal gezeigte Film Triptych von Robert Lepage. Nachdem die peruanische Regisseurin Claudia Llosa 2009 mit The Milk Of Sorrow (mit Jennifer Connelly) das Festival gewonnen hat, ist sie nun mit ihrem spanisch-kanadisch-französischen Projekt Aloft erneut im Rennen um einen Goldenen Bären.

Knapp zwei Wochen vor dem offiziellen Start verspricht die Berlinale viele abwechslungsreiche Filme. Auf die Qualität der Beiträge darf man nun gespannt sein, und sicherlich wird es wie immer auch die eine oder andere Überraschung geben.

Demnächst an dieser Stelle mehr zu den in diesem Jahr stark vertretenen deutschen Beiträgen sowie mein erstes Porträt der Serie Berlinale People.

Jutta Brendemühl
bloggt für GermanFilm@Canada von der Berlinale.

Übersetzung aus dem Englischen von Sabine Bode
Copyright: Goethe-Institut e. V.
Februar 2014

    Jutta Brendemühl ist Programmkuratorin des Goethe-Instituts Toronto und Bloggerin bei GermanFilm@Canada. Die studierte Anglistin konnte ihre Leidenschaft zum Beruf machen: Sie organisiert Kunst- und Kulturprogramme quer durch alle Genres und mit globaler Ausrichtung. In den vergangenen 15 Jahren hat sie bereits mit Größen wie Bernardo Bertolucci, Robert Rauschenberg, Wim Wenders oder Pina Bausch zusammengearbeitet.

    Twitter @JuttaBrendemuhl

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