German Film @Berlinale 2014

Hannah Herzsprung in „Die geliebten Schwestern“ | © Senator Film
Hannah Herzsprung in „Die geliebten Schwestern“ | © Senator Film

Jutta Brendemühl drückt 107 eigenwilligen deutschen Beiträgen auf der Berlinale 2014 die Daumen. Die Vielzahl und Qualität der deutschen Produktionen findet die Bloggerin beachtlich.

Drücken wir die Daumen für 107 eigenwillige deutsche Beiträge auf der Berlinale 2014! Das hier ist nicht die Berlinale der größten deutschen Filmemacher, die man etwa in dem vom Autorenfilm beherrschten Jahrgang 2012 (Christian Petzold, Andreas Dresen, Hans-Christian Schmid, Matthias Glasner) vorfand. Es ist aber auch keine Veranstaltung mit eher dürftiger deutscher Beteiligung wie 2013, als lediglich Gold von Thomas Arslan unter mehr oder minder großem Publikumsinteresse lief. In diesem Jahr sind deutsche Beiträge von beachtlicher Zahl und Qualität dabei.

Schauen wir uns einmal an, was im Wettbewerb läuft:

Keine große Überraschung ist das Kriegsdrama Zwischen Welten (Inbetween Worlds) der Autorin, Produzentin und Regisseurin Feo Aladag. Um den Film mit Ronald Zehrfeld (Barbara) wird bereits viel Wirbel gemacht. Endlich ein Beitrag, der sich mit der deutschen Beteiligung am Afghanistan-Krieg und dem moralischen Dilemma zwischen Gewissen und militärischen Befehlen, Kultur, Religion und menschlichem Gehorsam befasst.

TV- und Filmregisseur Dominik Graf ist bereits Stammgast auf der Berlinale und hat hier einen klaren Heimvorteil. Sein Film Die geliebten Schwestern dreht sich um ein amouröses Dreiecksverhältnis des berühmten deutschen Dichters Friedrich Schiller, das dieser im Jahr 1788 erlebte. Der vielversprechende Florian Stetter (Sophie Scholl) als Schiller, Hannah Herzsprung (Vier Minuten) und Henriette Confurius als besagtes adliges Geschwisterpaar und der oben erwähnte Ronald Zehrfeld geben Berlinale-Direktor Dieter Kosslick Anlass, den Film mit den Attributen „leichtfüßig“, „beschwingt“ und „sexy“ zu bewerben. Der Director Of Photography, Michael Wiesweg, ist beim Bayerischen Filmpreis bereits für die „Beste Kinematographie“ ausgezeichnet worden.

Der hoch gehandelte Dietrich Brüggemann, dessen bezaubernden Film Renn, wenn du kannst sicher viele kennen, dreht seinen komödiantischen Vorläufern nun den Rücken zu und kündigt mit Kreuzweg einen eindringlichen Film über „aus den Fugen geratenen Katholizismus” an. Das Drehbuch zu dem Film um ein 14-jähriges Mädchen, das von seiner Religiosität fast aufgefressen wird, schrieb er gemeinsam mit seiner Schwester Anna. Dieter Kosslick bezeichnete den Film bereits als „Gegenstück zu Lars von Triers Nymphomaniac“. Wenn Kreuzweg nur halb so gut ist wie Hans-Christian Schmids packender Film Requiem aus dem Jahr 2006, können wir auf die deutschen Beiträge an dieser Stelle schon mal mit Fug und Recht stolz sein.

Die größte deutsche Überraschung (auch für die Programmplaner) ist Edward Berger, der erst jetzt zum Wettbewerb zugelassen wurde. Berger, der sich bislang allenfalls als Regisseur von TV-Krimis einen Namen gemacht hat, porträtiert in seinem Film Jack zwei Jungen, die in Berlin nach ihrer Mutter suchen. Bislang hört man nur Gutes von dem Film, der Hype steht wohl also unmittelbar bevor.

Vor zwei Jahren haben wir im Goethe-Institut Toronto den viel zu wenig gewürdigten Film Gravity von Maximilian Erlenwein gezeigt (den Bankräuberfilm, nicht das 3D-Spektakel neueren Datums, das ich neulich auf meinem Flug nach Berlin auf einem Mini-Bildschirm gesehen habe). Im Nachfolger vereint der Gewinner des Max-Ophüls-Preises ein wahres Dream-Team: Moritz Bleibtreu (World War Z) und Jürgen Vogel (Gnade) spielen die Hauptrollen im Stalker-Thriller Stereo, der im Panorama läuft, einer nicht zu unterschätzenden Sektion der Berlinale.

Auch in anderen Bereichen, allen voran natürlich Perspektive Deutsches Kino mit 14 Filmen, finden sich zuhauf deutsche Beiträge. Im Fokus liegen dabei allerdings nicht nur deutsche Themen. Wie ich bereits an anderer Stelle festgestellt habe, gibt es bei der derzeitigen Generation von Filmemachern einen Trend, sich eben nicht nur mit Deutschland zu beschäftigen. Die Autorenfilmer über 40 befassen sich zwar noch sehr gerne mit deutscher Vergangenheit und Gegenwart. Die Jungregisseure der renommierten Filmakademien stürzen sich jedoch anscheinend in andere Themen von Kuba bis Kirgisistan. Nicht verpassen will ich Mirjam Leuzes eigenproduzierte Doku Flowers of Freedom, in der kirgisische Dorfbewohner für die vielen Opfer eines Giftunfalls durch die kanadische Goldmine Kumtor kämpfen.

Die deutschen Filme im Forum sind insofern interessant, als dass sich hier ein bunter internationaler Mix zeigt. Die deutsche Regie-Debütantin Anja Marquardt präsentiert ihre in englischer Sprache gedrehte US-Produktion She’s Lost Control; der deutsche Film Los Ángeles des in München ausgebildeten US-Amerikaners Damian John Harper spielt an der US-mexikanischen Grenze. Die Zahl der Koproduktionen und der damit einhergehenden Bindestriche ist übrigens dermaßen angestiegen, dass es wohl nur eine Frage der Zeit ist, dass die Herkunftsbezeichnungen in den internationalen Filmkatalogen ganz gestrichen werden.

In der Sektion Berlinale Special wird unter anderem Volker Schlöndorff geehrt. Gezeigt wird sein neuer Film Diplomatie sowie eine restaurierte Version seines 44 Jahre alten Films Baal mit einer herausragenden Besetzung von Rainer Werner Fassbinder über Margarethe von Trotta bis Hanna Schygulla. Ebenfalls vertreten in dieser Sektion ist der deutsch-österreichische Alpinwestern Das finstere Tal von Andreas Prochaska, der beim Bayerischen Filmpreis bereits mit den Auszeichnungen „Beste Regie“ und „Bester Schauspieler“ (Tobias Moretti) geehrt wurde. Außerdem können wir hier Wim Wenders in 3D sowie Martin Scorsese bestaunen.

Die Deutschen sind wahre Meister der Filmrestaurierung. So gibt es eine hervorragende neue Version des Stummfilmklassikers Das Cabinet des Dr. Caligari in 4K-Auflösung, die von dem gefeierten New Yorker Organist John Zorn begleitet wird – mit Sicherheit eine der begehrtesten Veranstaltungen des Festivals, für die man sich rechtzeitig Tickets sichern sollte (ich selbst werde mich schon im Morgengrauen vor den Schalter stellen, falls das etwas nützt). Die deutschen Highlights des experimentellen Bereichs Forum Expanded, einer Schnittstelle für Kunst und Film, kann man an dieser Stelle gar nicht einzeln aufführen. Heinz Emigholz zeigt erstmalig einen weiteren Ausflug in die Welt der Architektur, der Videokünstler Clemens von Wedemeyer zeigt seine Installation Afterimage; und auch der Berliner Omer Fast hat einen neuen Film am Start. Und um schließlich die Hälfte der großen Namen des Neuen Deutschen Films der 1970er-Jahre in einem Satz zu nennen: Elfi Mikesch, Kamerafrau von Rosa von Praunheim und Werner Schroeter, meldet sich mit dem Film Fieber zurück. Zu sehen sind darin der Liebling von Rainer Werner Fassbinder und Werner Herzog, Eva Mattes, sowie das Berliner Ensemblemitglied Martin Wuttke.

Interessanterweise gibt es in diesem Jahr viele Zweitwerke für die Zielgruppe der Ü30- beziehungsweise Ü40-Zuschauer (zum Beispiel von Feo Aladag, Edward Berger, Maximilian Erlenwein, Sebastian Metz, Sandra Kudelka, Claudia Llosa). Wir bekommen also jetzt schon einen Vorgeschmack darauf, in welche Richtung sich diese Filmemacher gerade entwickeln. Das gehört natürlich zur Strategie, wie Dieter Kosslick der Berliner Morgenpost mitteilte: „Es würde den Wettbewerb verzerren, wenn zu viele bekannte Filme keinen Raum für kleine Perlen ließen. Wir müssen ja schließlich mit dem Wettbewerb auch schon den Grundstein für unsere Zukunft legen. In diesem Jahr gibt es drei Premieren. Nicht jeder Film im Wettbewerb braucht große Namen und hochkarätige Besetzungen.“

Ich sagte es bereits zu Beginn des Jahres, und ich kann es nur wiederholen: Ich prophezeie dem deutschen Film einen guten, wenn nicht gar goldenen Jahrgang.

Jutta Brendemühl
bloggt für GermanFilm@Canada von der Berlinale.

Übersetzung aus dem Englischen von Sabine Bode
Copyright: Goethe-Institut e. V.
Februar 2014

    Jutta Brendemühl ist Programmkuratorin des Goethe-Instituts Toronto und Bloggerin bei GermanFilm@Canada. Die studierte Anglistin konnte ihre Leidenschaft zum Beruf machen: Sie organisiert Kunst- und Kulturprogramme quer durch alle Genres und mit globaler Ausrichtung. In den vergangenen 15 Jahren hat sie bereits mit Größen wie Bernardo Bertolucci, Robert Rauschenberg, Wim Wenders oder Pina Bausch zusammengearbeitet.

    Twitter @JuttaBrendemuhl