„Es fehlt ein wenig die Abwechslung...“

Foto: Der Unfertige © 2013 Jan SoldatSputnik | Mission: Sputnik, German Cinema - LOLA@Berlinale, DEU/BEL/CZE 2013, REGIE: Markus Dietrich, Devid Striesow, Flore Li Thiemann
© MFA+ Filmdistribution
Sputnik | Mission: Sputnik, German Cinema - LOLA@Berlinale, © MFA+ Filmdistribution

Mit der Leiterin des Tschechischen Filmzentrums Markéta Šantrochová über den Zustand des tschechischen Films und ob er von den Zuschauern im Ausland überhaupt wahrgenommen wird.

Markéta, Sie leiten das Tschechische Filmzentrum schon eine ganze Weile. Worin genau besteht Ihre Arbeit?

Das Tschechische Filmzentrum kümmert sich um die Propagierung des tschechischen Films und der tschechischen Filmindustrie vor allem im Ausland, aber nicht nur dort. Wir bemühen uns, Informationen aus dem Ausland zu uns nach Tschechien zu tragen und diejenigen zu vernetzen, die auf der Suche nach Partnern sind. Oder wir beobachten die Koproduktionsmärkte, die für tschechische Produzenten und ihre Projekte interessant sein könnten. Und natürlich versuchen wir tschechische Filme auf ausländischen Festivals zu platzieren.

Auf der Berlinale laufen zwei tschechische Filme: „Zamatoví teroristi“ („Samtene Terroristen“) in der Sektion Forum und „Sputnik“ im Programm LOLA@Berlinale. Warum ausgerechnet diese beiden?

Warum andere Filme nicht dabei sind, sollten Ihnen vor allem die Mitglieder der Auswahlkommissionen der betreffenden Sektionen sagen. Wir haben es noch mit ein paar weiteren Filmen versucht, manche wurden überraschend, manche weniger überraschend nicht ins Programm genommen. Wir sind froh mit zumindest einem Film in der Sektion Forum vertreten zu sein. Mit dieser Sektion haben wir schon lange gute Beziehungen. Es hängt natürlich immer davon ab, wie die Film-Ernte im jeweiligen Jahr ausfällt und in welche Sektionen diese Filme dann passen. Ehrlich gesagt glaube ich, dass das vergangene Jahr im Hinblick auf die tschechischen Festivalbeiträge schwächer war. Und einige Filme, die wir für die Berlinale im Auge hatten, wurden nicht rechtzeitig fertig. Wir werden versuchen sie anderen Festivals anzubieten.

Können Sie sagen, um welche Filme es sich handelt, oder halten Sie diese Information noch unter Verschluss?

Momentan möchte ich das noch nicht genau sagen. Die Verhandlungen stehen erst am Anfang...

Ihre Einschätzung der aktuellen tschechischen Kinematographie haben Sie bereits angedeutet. Es wäre schön, wenn Sie das ein wenig konkretisieren könnten – wie wird der tschechische Film hier in Deutschland wahrgenommen oder ganz allgemein im Ausland – wird er überhaupt wahrgenommen?

Vor einer Weile habe ich mich hier über den Film Modrý tygr (Der blaue Tiger) unterhalten, der in Deutschland später anlief und deshalb noch in den Kinos ist. Und zu diesem Film gibt es hervorragende Reaktionen. Er wurde als einer von zweien ausgewählt, die monatlich Schulen empfohlen werden. Das ist nach langer Zeit ein Film, der ganz regulär im deutschen Vertrieb ist. Davor waren das etwa Vratné lahve (Leergut) oder Štěstí (Die Jahreszeit des Glücks), aber das sind beides schon ältere Filme, ebenso wie Občan Havel (Bürger Havel).

Und welche Filme konnten auf Festivals punkten?

Zum Beispiel Příliš mladá noc (A Night Too Young), der hier vor zwei Jahren in der Sektion Forum lief. Vergangenes Jahr hatte Můj pes Killer (My Dog Killer) einen Riesenerfolg. Er wurde zunächst auf dem Internationalen Filmfestival in Rotterdam gezeigt und hat sogar einen deutschen Vertrieb. Der Film lief auf unheimlich vielen Festivals. Dann wären da noch die tschechisch-slowakischen Koproduktionen Zázrak (Miracle) und Líbánky (Honeymoon). Das waren meiner Meinung nach im Jahr 2013 die drei bedeutendsten tschechischen Festivalfilme.



Wie unterstützen Sie Filme, die nicht zu diesem erfolgreichen Trio gehören und Ihrer Meinung nach trotzdem Aufmerksamkeit verdienen würden?

Vor etwas über einem Jahr haben wir ein Wanderfestival veranstaltet. Da lief eine Auswahl von – wenn ich mich richtig erinnere – neun Filmen. Wir konnten dafür kommunale Kinos gewinnen und unser Programm wurde in 20 Städten in ganz Deutschland gezeigt. Es ging los in Hamburg und dauerte dann bis vergangenen Juli: Czech on Tour. Das hat es in der Vergangenheit schon einmal gegeben, aber in dieser Form war das sicher die bislang größte Aktion. Es ist sehr schwierig in den internationalen Vertrieb zu kommen und ein solches Wanderfestival ist ein Weg, um das irgendwie auszugleichen. Aber natürlich ist so etwas organisatorisch und finanziell sehr aufwändig.

Wie war die Resonanz auf dieses Wanderfestival mit tschechischen Filmen?

Hier in Berlin hat sich zum Beispiel das Kino Acud angeschlossen und war ausverkauft. Die Leute saßen auf dem Boden! Das war ein schöner Erfolg. Während der Tour zeigten sich aber regionale Unterschiede. In Dresden funktioniert das einfach, da gibt es diese Verbindung. Aber dann waren wir auch in Städten, in denen wir mit einem wesentlich höheren Besuch gerechnet hätten.

Ich denke, das ist tatsächlich von regionalen Gegebenheiten abhängig. Meiner Erfahrung nach interessieren sich die Leute im Grenzgebiet für das, was bei ihren Nachbarn passiert. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kultur. Und je weiter man sich von der Grenze entfernt, desto mehr sinkt dieses allgemeine Interesse. Daher habe ich auch nach dem Zustand des tschechischen Filmes insgesamt gefragt. Mein Eindruck ist, dass es im tschechischen Film keinen roten Faden gibt, der dem ausländischen Zuschauer eine Indentifikation erleichtern würde... im Unterschied etwa zur skandinavischen Kinematographie, wo das gerade sehr gut funktioniert.

Bei uns ist das Trügerische, dass die tschechischen Filme in Tschechien so beliebt sind. Mindestens die Hälfte der Produktion ist für den heimischen Markt. Und das hängt, wie ich glaube, auch stark damit zusammen, dass sich auf lange Sicht keine dramaturgische Kultur herausbildet, die eine Aussage darüber zulässt, was der tschechische Film allgemein ist. Was soll der tschechische Film bedeuten?

Wer außer den Universitäten sollte sich diesem Problem annehmen?

Das ist eine Frage des gesamten Umfeldes... Natürlich ist das Kulturministerium in der Pflicht oder derzeit der Staatliche Fonds der Kinematographie, der nicht nur verwalten, sondern zu einem gewissen Grad auch eine Vision haben sollte: „Was wollen wir? Was brauchen wir? Worin sind wir gut?“. Es darf natürlich nicht so sein, dass sich das jemand einfach ausdenkt. Aber diese Diskussion muss überhaupt erst angestoßen werden. Und es muss eine Reflektion von außen stattfinden – denn, wenn wir uns etwas denken, muss das ja nicht bedeuten, dass die Menschen im Ausland das genauso sehen. Und auch deshalb ist es sehr wichtig, die Studenten zu unterstützen, damit sie reisen, damit sie an Festivals teilnehmen, damit sie eine Konfrontation mit dem Ausland haben. Und die Dramaturgie – das ist die Grundlage. Aus einem blöden Drehbuch kann man keinen guten Film machen, auch wenn man sich noch so anstrengt. Nichts davon sollte man unterschätzen. Es sollte ein hochwertiges Fördersystem geben, damit die Filmemacher zumindest unter relativ komfortablen Bedingungen arbeiten und sich erlauben können zum Beispiel auch mal radikal zu sein, wenn sie denn irgendeine Vision haben. Und auf der anderen Seite muss man auch den Zuschauer sensibilisieren, damit die Filme eine Resonanz haben und nicht das passiert, was wir jetzt beobachten können. Damit nicht jedes Jahr der meistbesuchte Film in den Top Ten eine Komödie ist, selbst wenn sie noch so gut gemacht ist. Und der Film, der im Ausland erfolgreich ist, in Tschechien dann nur 3000 Besucher hat. Da fehlt ein wenig die Abwechslung.

Das ist ein insgesamt eher negativer Blick, aber ich glaube zu Recht. Haben Sie das Gefühl, dass es unter den tschechischen Filmemachern jemanden gibt, der für ein breiteres als nur das tschechische Publikum dreht? Gibt es vielleicht schon solche Künstler, die diese Lücke in Zukunft füllen könnten?

Ein wenig verspreche ich mir das von Olmo Omerzu, dem Regisseur von Příliš mladá noc (A Night Too Young). Er hat gerade einen weiteren Film in Arbeit, der schon von Beginn an für verschiedene Märkte angelegt ist. Und Václav Kadrnka, der Autor von Osmdesát dopisů (Achtzig Briefe), bereitet gerade ein sehr anspruchsvolles und schönes Projekt vor. Darin setzen wir gewisse Hoffnungen. Aber von solchen Künstlern gibt es natürlich viel mehr, ich will niemanden vergessen. Ich denke, dass wir jetzt relativ viele Projekte vorbereiten, die großes Potential haben. Es scheint, als bräuchten wir irgendein Zugpferd, zum Beispiel einen Saša Gedeon, der dann nicht aufhören würde zu drehen (lacht). Aber dieser jemand schafft dann den Durchbruch im Ausland und erleichtert damit einer ganzen Generation von Filmemachern die Situation. Er erschafft eine Art Brücke, die dann auch andere überschreiten können. Das ist es, worauf wir ständig ein bisschen warten. Aber die Vorbereitung eines Filmes dauert sieben bis zehn Jahre, wir müssen eben geduldig sein.

Tomáš Fridrich
bloggt für Goethe.de/Tschechien von der Berlinale.

Copyright: Goethe-Institut Tschechien, Online-Redaktion
Februar 2014

    Tomáš Fridrich arbeitet in der Programmabteilung des Goethe-Instituts Prag. Neben der Zusammenarbeit mit tschechischen Festivals beschäftigt er sich vor allem mit der Dramaturgie und Organisation des Festivals deutschsprachiger Filme Das Filmfest. Wenn er nicht im Kino sitzt, finden sie ihn wahrscheinlich außerhalb der Stadt, meistens im Gebirge.