Houellebecq über Houellebecq

L'enlèvement de Michel Houellebecq; © Berlinale„L’ enlèvement de Michel Houellebecq“ (The Kidnapping of Michel Houellebecq), Forum, FRA 2014, Regie: Guillaume Nicloux, im Bild: Michel Houellebecq
„L’ enlèvement de Michel Houellebecq“ (The Kidnapping of Michel Houellebecq), Forum, FRA 2014, Regie: Guillaume Nicloux

„L’enlèvement de Michel Houellebecq“ (Die Entführung des Michel Houellebecq) gehört zu den großen Sensationen der Berlinale 2014. Der französische Autor präsentiert auf der Großleinwand eine ironisch-witzige Version seines außergewöhnlichen Selbst.

Die Eintrittskarte ist zu klein. Auf ihr steht lediglich Die Entführung des Michel … Nur dass ein Film mit einem solchen Titel wohl kaum einen Hund hinterm Ofen hervorgelockt hätte. In Wirklichkeit heißt der Streifen natürlich Die Entführung des Michel Houellebecq – und das ist etwas ganz anderes. Die beiden ersten Vorstellungen dieser Berlinale sind komplett ausverkauft, und fünf Minuten vor der dritten stehen noch etwa hundert Menschen in der Schlange und hoffen darauf, dass sich irgendein Sesam öffne und sie doch noch in den Genuss von Houellebecqs Leinwandauftritt bringe.

Keine Frage also, der Name tut seine Wirkung. Der Autor von Elementarteilchen und Karte und Gebiet ist ein Star, vielleicht sogar der weltberühmteste aller französischen Schriftsteller. Sein Schreibstil, aber auch seine Persönlichkeit faszinieren Presse und Publikum. Und dann ist da dieser Vorfall vom September 2011, als der Autor auf mysteriöse Weise monatelang vom Erdboden verschwand. Eine Geschichte, die trotz heißer Spekulationen nie aufgeklärt wurde.

Freefighting und Feuerzeug

Nun will Regisseur Guillaume Nicloux mit Die Entführung des Michel Houellebecq das Geheimnis lüften. Auf die Rolle des Schriftstellers gab es natürlich nur einen würdigen Anwärter: Michel Houellebecq höchstpersönlich. Die Geschichte ist so absurd, dass man sich kurz fragt, ob sie nicht ein Fünkchen Wahrheit enthält: Houellebecq wird von drei hünenhaften Bodybuildern entführt und in ein Haus in Zentralfrankreich gebracht, wo er sich zwischen tiefsinnigen Gesprächen über Literatur, einer zögerlichen Einführung ins Freefighting und verzweifelten Bitten um ein Feuerzeug langsam an seine Gefangenschaft gewöhnt. Stockholm-Syndrom oder die Erkenntnis, dass das unerwartete Ereignis eine willkommene Abwechslung in ein wertlos gewordenes Leben bringt? Im Moment seiner Befreiung erklärt Houellebecq seiner ungewöhnlichen Gastfamilie jedenfalls: „Ich wäre gerne länger geblieben. Ich komme euch mal besuchen.“

Ironie ist die beste Verteidigung

Es hieß, Guillaume Nicloux wolle mit seinem Film den „Menschen“ in Houellebecq enthüllen – ob ihm das gelungen ist, bleibt fraglich. Witzig ist der Film allerdings, und zwar sehr. Die Absurdität der Situation und die mehr als seltsamen Reaktionen des Gefangenen und seiner Entführer auf die Geiselnahme wirken lächerlich komisch. Vor allem aber prägt den Film eine latente Ironie – und die dient wie so oft dazu, den Schutzpanzer einer Figur zu stärken und ihre wahre Persönlichkeit unzugänglich zu machen. Und was an alledem ist denn nun wahr? Sehen wir da den „echten“ Houellebecq oder vielmehr eine Figur, die unermüdlich sich selbst spielt? „Vielleicht hat er seine Entführung ja selbst in Auftrag gegeben“, mutmaßt einer der Panzerknacker. Und diese Theorie ist wahrlich nicht unwahrscheinlich.
Sébastien Vannier
bloggt für Goethe.de/Frankreich von der Berlinale.

Übersetzung aus dem Französischen von Saskia Bieber
Copyright: Goethe-Institut Frankreich
Februar 2014

    Sébastien Vannier ist seit 2009 Deutschland- Korrespondent der französischen Tageszeitung Ouest-France. Nach Abschluss seines Studiums der Politikwissenschaft in Rennes, Eichstätt und Straßburg kam er 2007 nach Berlin. Sébastien ist Blogger für L’Express.fr und schreibt für das deutsch-französische Magazin ParisBerlin und für Cafebabel.com.