Berlinale-Bilanz: Goldbärenparade mit Überraschungen

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Berlin glitzert: Politische Korrektheit war in diesem Jahr nicht dominierend – zum Glück (Foto: Morten Vejlgaard Just)

Deutsche Fressbuden, dänische Nymphomaninnen, österreichische Gentlemen und ein amerikanischer Scoop – die Berlinale hat ihren Besuchern ein durchwachsenes internationales Potpourri geboten. Tonangebend waren dabei die Importe aus Fernost.

„Der Goldene Bär für den besten Film geht an ...“ Der Juryvorsitzende, Produzent James Schamus aus den USA, macht eine Kunstpause, bevor er die gespannte Erwartung im Saal löst: „Bai Ri Yan Huo.“ Na klar, denke ich. Natürlich ist der Gewinner des Goldenen Bären kein vorhersehbarer Gewinner – niemand hat mit ihm gerechnet.

Der Favorit, Richard Linklaters Boyhood, muss sich mit dem Silbernen Bären für die beste Regie begnügen, und sein amerikanischer Kollege Wes Anderson bekommt den großen Preis der Jury für den Eröffnungsfilm The Grand Budapest Hotel. Vielleicht als Dank dafür, dass er funkelnde Staratmosphäre auf einer Berlinale verbreitete, die mit 330.000 Besuchern den Publikumsrekord gebrochen hat. Alle Achtung!

Ich sprach mit ein paar britischen Journalistenkollegen, die der Meinung waren, Wes Anderson als Festivaleröffnung sei ein regelrechter Scoop gewesen. Populär amerikanisch, aber kein Mainstream. Und mit reichlich Stars im Gepäck, die den roten Teppich ablaufen und für Überschriften sorgen, die die Konkurrenten in Cannes bestimmt auch lesen. Diese werden sich im Mai mit Grace of Monaco von Olivier Dahan begnügen müssen. Wes Anderson wäre ihnen bestimmt auch lieber gewesen.

Europa erhielt – dank des Favoriten mit Heimvorteil, Kreuzweg, und dem französischen Aimer, boire et chanter des guten alten Alain Resnais – zwei Trostbären für das beste Drehbuch beziehungsweise eine neue Perspektive (was auch immer das sein soll ...). 2:2 zwischen USA und Europa.

Aber genau wie außerhalb des fiktiven Dunkels der Kinosäle ist Asien derzeit der Abräumer und auf dem Weg nach ganz vorne. Der Chinese Liao Fan wurde zum besten Schauspieler gekürt, die Japanerin Haru Kuroki zur besten Schauspielerin, der Chinese Zeng Jian bekam die Auszeichnung für die beste Kamera und dann natürlich der Goldene Bär für Bai Ri Yan Huo. Eine asiatische Machtdemonstration, die vielleicht das verschmitzte Grinsen des chinesischen Schauspielstars Tony Leung erklärt, als er als Mitglied der Jury den roten Teppich betrat.

Eine Jury, die perfekt auf die Berlinale und Berlin abgestimmt war. Globale Kosmopoliten wie der polyglotte Gentleman Christoph Waltz, Tony Leung aus dem Osten, Trine Dyrholm aus dem Norden, Barbara Broccoli aus dem Westen und Mitra Farahani aus dem Süden, die junge Greta Gerwig, der ältere Michel Gondry und nicht zuletzt als Vorsitzender der politisch korrekte Produzent James Schamus. So sind die Berlinale und Berlin – im Guten wie im Schlechten.

In den letzten Jahren hatte das Festival den Ruf, die gutmenschelnden anstatt der guten Filme zu prämieren. Deswegen befürchtete ich eine politisch korrekte Wahl, als der Direktor des Festivals, Dieter Kosslick, die Bärenshow mit den Worten eröffnete, das Wohl der Kinder sei ein Thema des Festivals. Bezogen auf dieses Thema wäre der deutsche, sozialrealistische Film Jack ein passender, aber auch etwas langweiliger Gewinner gewesen.

Mit Wahrsagen werde ich nie reich werden, denn überraschenderweise schloss der goldene Teddy Bai Ri Yan Huo in seine Arme, ein blutiger Noir-Thriller – üblicherweise weit von Gold und Bär entfernt. Vielleicht trotzdem eine bezeichnende Wahl für das diesjährige Festival, denn die Berlinale 2014 war ein filmisches Chinatown, stark flankiert von Japan und Südkorea.

Nicht zuletzt war es ein Festival mit Blut, Rache, Pistolen und Post-Finanzkrise im Programm. Ob nun blutiges Kriegsdilemma in Afghanistan wie in Zwischen Welten, katholische Rache und Sünde in Calvary, die Pistole als bester Freund des Auftragsmörders Stratos in To Mikro Psari oder das Debakel der Finanzschufte im satirischen Hit Zeit der Kannibalen – der übergreifende Ton der Filme dieses Jahres war wenn auch nicht pessimistisch, so doch noir-dunkel.

Und dann gibt es natürlich die Originale, die sich jeder Kategorie und Tendenz verweigern. Wes Anderson kreierte hübsch und vorhersehbar seine Puppenhaus-Tableaus in The Grand Budapest Hotel, und Lars von Trier – den ich aus Dänemark mitgebracht hatte – überzog die saubere Leinwand des Berlinale Palasts provokant-augenzwinkernd mit steifen Pimmeln und feuchten Muschis bei der Weltpremiere des Director’s Cut von Nymphomaniac Vol.1.

Und dann ist da natürlich noch alles andere, das vielleicht Wichtigste an einem Festival. Dieter Kosslick widmete einen Teil seiner Abschlussrede den Fressbuden der Berlinale. Dort habe ich viele neue Leute getroffen, denen das Fett vom Pulled-Pork-Sandwich aus dem Bart tropfte, und habe Filme diskutiert, während ich asiatische Nudelsuppe schlürfte. Ich habe mein Netzwerk erweitert – (zu) früh am Morgen bei einer Audi-Brezel und (zu) spät am Abend bei einem Berliner Pilsner. Gemeinsam mit einer Schar von Filmfans aus der ganzen Welt habe ich auf einem der größten Filmfeste des Jahres gelacht, geklatscht und gebuht. Ich hoffe, dass wir uns 2015 wieder sehen werden.

Morten Vejlgaard Just
bloggt für Goethe.de/Daenemark von der Berlinale.

Copyright: Goethe-Institut Dänemark, Online-Redaktion
Februar 2014
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Morten Vejlgaard Just ist Filmjournalist und Film- redakteur bei Filmz.dk und bei Den2radio. Kurz gesagt: Er ist Filmvermittler und nicht zuletzt Filmfan. Für Morten ist das persönliche Filmerlebnis am wichtigsten. Gerne darf es einen Detektiv beinhalten, der von einer schönen Frau reingelegt wird – damals, als man im Film noch rauchen durfte.

Twitter @vejlgaardjust