Manga, Animes, Cosplay

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Japanische Comics erobern den deutschen Buchmarkt

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Dana ohne und mit Cosplay-Kostüm, Foto: © privat

Eine norddeutsche Kleinstadt, nachmittags um halb drei: Ein Mädchen in silbrig glänzendem Oberteil, Stulpenärmeln und kurzem Rock spaziert durch die Fußgängerzone und zieht dabei eine Menge Aufmerksamkeit auf sich. Besonders auffällig sind die knallblauen Haare, die in langen Zöpfen bis über die Hüfte herunterhängen. Unter der Mähne mit der gewagten Farbe steckt Dana Schmidt (15). Die Schülerin ist sich der Seitenblicke bewusst, weiß, dass hinter ihrem Rücken getuschelt wird – und findet es lustig.

Dana ist nicht unterwegs zur nächsten Faschingsparty und hat auch nicht vor, ihren Friseur zu verklagen. Ganz im Gegenteil: Dana trägt ein Cosplay-Kostüm – und fühlt sich damit wie die Heldin ihrer Lieblingsmangas. Wenigstens ein ganz kleines bisschen.

Helden im Kindchenschema, Lesen von hinten nach vorne

Verwechslung ausgeschlossen: Während der klassische Marvel-Superheld [Marvel Enterprises ist ein führender US-amerikanischer Comic-Verlag und gab unter anderem die Abenteuer von Spiderman, Hulk und den X-Men heraus. Anm. d. Redaktion] zumeist mit etwas überzeichneten Männlichkeitsattributen daherkommt – breite Schultern, Sixpack und energisches Kinn – so zeichnet sich der Manga-Charakter durch eine vollkommen andere Optik aus: Glattes Gesicht, riesengroße Augen, Kindchenschema, zarter Körperbau. Dazu kommen noch phantasievolle (und in der Realität meist eher unpraktische) Outfits und verrückte Frisuren, die auch dann nicht aus der Form geraten, wenn der Held gerade einen Kampf auf Leben und Tod überstanden hat.

Niabot, CC BY-SA 3.0
Kindchenschema, Bild: Niabot, CC BY-SA 3.0

Welcher Art von Comic man den Vorzug gibt, ist wohl reine Geschmackssache. Dana hat schon im Grundschulalter beides ausprobiert. Doch während sie zu den Klassikern wie Batman oder Spiderman nie den richtigen Zugang fand, sprang der Funke bei den Mangas sofort über: „Ich finde, da stimmt einfach das Gesamtkonzept: Die Geschichte, die Atmosphäre, die Art der Zeichnungen.“ Ein bisschen gewöhnungsbedürftig war allerdings die Lesetechnik. Mangas werden nämlich, genau wie in Japan, von links nach rechts gelesen und von hinten nach vorne durchgeblättert. Was manch einem „Westler“ zunächst wie ein wildes Kuddelmuddel erscheint, bereitete Dana aber bald keine Schwierigkeiten mehr: „Nach zwei, drei Bänden habe ich daran gewöhnt“, erzählt sie, „und jetzt kann ich es mir gar nicht mehr anders vorstellen.“

Einzelband oder Serie?

Grundsätzlich ist Dana an allem interessiert, was sie an Mangas in die Finger bekommt. Doch bevor sie sich einen Band tatsächlich zulegt, wird dieser erst mal einer ausgiebigen Prüfung unterzogen: „Sprechen mich die Zeichnungen an? Ist die Geschichte interessant? Oder habe ich diese Art von Story schon dutzendfach gelesen“ Nur, wenn Dana vollkommen überzeugt ist, findet der Band den Weg in ihre Sammlung. Deshalb würde sie zum Beispiel auch nie im Internet bestellen, obwohl das für viele Manga-Fans eine gängige Bezugsquelle ist. Am liebsten liest Dana Geschichten aus dem Bereich Romance, außerdem gibt sie Einzelbänden den Vorzug vor Serien. Das ist zum Teil eine Platz- und Geldfrage, aber auch eine Sache des Spannungsbogens: Dana mag nicht darauf warten, dass eine 30-teilige Fortsetzungsgeschichte erst ab Band 27 so richtig in Schwung kommt – oder riskieren, dass es auf halber Strecke plötzlich langweilig wird.

Auch zum Preis-Leistungs-Verhältnis hat sie eine ganz klare Meinung: Mit einem Stückpreis zwischen sechs und 15 Euro pro Einzelband kostet ein Manga etwa so viel wie ein Taschenbuch. Doch während die meisten von einem Buch ein paar Tage etwas haben, hat selbst ein langsamer Leser ein Manga-Heft in einer bis zwei Stunden durch. Das stört Dana aber nicht: „Natürlich sind Mangas Luxusartikel“, gibt sie zu. „Aber wenn ich mir einen kaufe, dann denke ich nicht über den Preis nach, sondern freue mich auf den Lesespaß. Das ist mir die Sache dann einfach wert.“

Der Anime „Chihiros Reise ins Zauberland“ von Regisseur Hayao Miyazaki gewann 2002 den Goldenen Bären der Berlinale und den Oscar für den besten animierten Spielfilm.

Kein einseitiges Hobby

Untrennbar mit Mangas verbunden ist auch die Anime-Szene: Zeichentrickfilme beziehungsweise Serien, die im gleichen Stil gehalten sind und manchmal auch bestimmte Manga-Serien zum Vorbild haben. Hier trennt Dana allerdings ganz strikt. „Entweder, ich lese den Manga, oder ich schaue mir die Serie an. Aber nicht beides.“

Vor einiger Zeit hat Dana außerdem die Cosplay-Szene für sich entdeckt: Dabei verkleiden sich Manga-Fans wie ihre Vorbilder aus der Anime- oder Manga-Welt. Die Outfits kann man entweder selber machen oder beinahe originalgetreu im Internet bestellen. Zu Weihnachten hat Dana ihr erstes Kostüm geschenkt bekommen. Zunächst probierte sie es nur zu Hause an, inzwischen spaziert sie damit ab und zu sogar durch die Stadt. „Klar gucken manche Leute blöd“, sagt sie, „aber das stört mich nicht. Mir ist nur wichtig, was meine Freunde denken“, erklärt sie selbstbewusst, und fügt lachend hinzu: „Und die wissen sowieso, dass ich nicht ganz normal bin.“

Selber zeichnen? Ja, aber nur als Hobby

Viele Manga-Fans versuchen sich auch selbst am Verfassen und Zeichnen von Geschichten, träumen möglicherweise sogar von einer Karriere als professioneller „Mangaka“. Dana zeichnet selbst zwar auch ein bisschen, aber meistens nur nebenbei: Wenn sie bei den Hausaufgaben nicht weiterkommt oder in einer langweiligen Freistunde nicht weiß, was sie machen soll, kritzelt sie Szenen oder kleine Geschichten an den Rand ihrer Schulhefte. Weiter ausbauen möchte sie das Zeichnen allerdings derzeit nicht: „Ich bin da wohl eher Konsumentin“, vermutet sie.

Ihr ganz großer Traum ist es, sich in einer Buchhandlung mitten in Tokyo zu mit Comics einzudecken. „Mir ist dann auch egal, ob ich die Geschichte nur zum Teil oder vielleicht auch gar nicht verstehe. Hauptsache, ich habe dann wenigstens einen original japanischen Manga. Der bekommt dann auch einen Ehrenplatz in meiner Sammlung.“

Foto: Doc Sleeve, CC BY-SA 3.0
Gang in der Manga-Abteilung einer japanischen Buchhandlung, Foto: Doc Sleeve, CC BY-SA 3.0

Mangas als Einstieg in eine andere Kultur

Danas Japan-Pläne beschränken sich aber längst nicht nur auf eine ausgiebige Tour durch Tokyos Bücherszene. Vielmehr haben Mangas auch ihre Interessen und sogar ihre Zukunftspläne entscheidend beeinflusst: Mit dem ersten Einzelband, den sie in der Hand hielt, erwachte auch ein grundsätzliches Interesse an Japan. Die Schülerin träumt von einem Schüleraustausch im Land der aufgehenden Sonne, will später vielleicht sogar Japanologie studieren. Der erste Schritt ist schon getan: Im Japanischkurs an der Volkshochschule macht sie erste Erfahrungen mit der Sprache und eignet sich auch fleißig die Schriftzeichen an.

Gäbe es Mangas nicht, davon ist die 15jährige überzeugt, wäre sie vermutlich immer noch ziemlich orientierungslos in Sachen Berufswahl. „Wenn ich nie mit der Manga- und Anime-Szene in Kontakt gekommen wäre“, so ist Dana überzeugt, „dann hätte ich mit Japan garantiert nichts am Hut. Aber so habe ich ein konkretes Ziel, auf das ich im Moment auch sehr ernsthaft hinarbeite.“


Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2013

    Manga und Co.

    Manga ist der japanische Begriff für Comic. Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort in etwa „zwanglose Zeichnung“. Während in Japan alles Comicartige unter der Bezeichnung Manga zusammengefasst wird, ist außerhalb Japans damit entweder Comicware aus Japan gemeint oder der jeweilige Zeichenstil enthält zumindest entsprechende Elemente. In Japan machen Mangas fast 40 Prozent aller Printmedien aus, sogar Kochbücher über sind teilweise im Manga-Stil abgefasst.

    Der Anime bildet das filmische Pendant zum Manga und bezeichnet in Japan produzierte Zeichentrickfilme oder Serien. Während in Deutschland und Europa mit Zeichentrickfilmen und Comics eher Kinder oder ein jüngeres Publikum angesprochen werden sollen, gibt es in Japan Zielgruppen jeden Alters und Geschlechts. Der Geschäftsmann mit Anzug und Aktentasche, der in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit einen Manga liest, gehört in Tokyos Berufsverkehr also durchaus zum Alltagsbild. Durch eine Einteilung in verschiedene Genres gewinnt der Leser schon im Vorfeld einen Eindruck davon, was für eine Art Geschichte ihn erwartet.

    Cosplay ist ein ursprünglich in Japan beheimateter Verkleidungstrend, der sich seit den 90er Jahren aber auch in Amerika und Europa immer größerer Beliebtheit erfreut. Hierbei werden Charaktere aus Manga, Film, Anime oder Computerspielen möglichst originalgetreu nachgestellt. Inzwischen gibt es auch außerhalb Japans eigene Conventions für Cosplayer.

    Mangaka sind professionelle Zeichner, die für einen Verlag arbeiten. Die Endung ka bedeutet frei übersetzt „Schöpfer“ beziehungsweise  „Macher“. Die meisten Mangaka schreiben auch ihre Texte selbst, andere lassen sich von Autoren  beliefern. Viele angehende Zeichner müssen erst einmal die strenge Verlagshierarchie durchlaufen, bevor an eine eigene Karriere auch nur zu denken ist. Die meisten beginnen als Assistenten von Profis und die Arbeit besteht vorrangig im Gestalten von Hintergründen oder Mustern. Den Sprung vom Assistenten zum namhaften Mangaka mit eigenem Team schaffen nur die wenigsten, können sich aber sehr glücklich schätzen, wenn sie es so weit bringen: Berühmte Mangaka werden in Japan nämlich wie Stars verehrt.

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