Leben

„Das Internet ist kein rechtsfreier Raum!“

Marcus Lüpke ist ein gefragter Experte für die Problematik Cyber-Mobbing

Gerüchte in die Welt setzen, peinliche Videos oder Fotos verbreiten, Belästigung per E-Mail oder SMS: Wege, seine Mitmenschen bloßzustellen gibt es viele. Moderne Kommunikationsmittel bieten den Tätern eine Plattform in ganz neuen Dimensionen. Binnen kürzester Zeit können Inhalte einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden, teilweise sogar weltweit. Marcus Lüpke, Lehrer, Journalist und Buchautor, hat sich viel mit der Problematik auseinander gesetzt. Er berichtete jádu von seinen Erfahrungen mit dem Phänomen „Cyber-Mobbing“.

Herr Lüpke, was genau muss man unter Cyber-Mobbing verstehen?

Unter Cyber-Mobbing, auch Cyber-Bullying oder E-Mobbing, versteht man das absichtliche Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen anderer mithilfe moderner Kommunikationsmittel, meist über einen längeren Zeitraum hinweg. Cyber-Mobbing findet entweder mittels PC im Internet oder per Hand statt. Oft handelt der Täter anonym, so dass das Opfer nicht weiß, woher die Angriffe stammen. Cyber-Mobbing kann per Mail, per Messenger, per SMS, per Chat und per Kommunikation in sozialen Netzwerken erfolgen. Andere nutzen die technischen Möglichkeiten so weit aus, dass gefälschte Profile, Fotos, Videos oder Nachrichten verbreitet werden.

Nun ist Mobbing an sich ja kein neues Phänomen. Was unterscheidet Cyber-Mobbing von den bisher bekannten Formen?

Mobbing bezeichnet ja grundsätzlich das regelmäßige Beleidigen und Denunzieren von Personen. Beim Cybermobbing erreicht dies mittels technischer Unterstützung eine beängstigende Dimension, da das Publikum sehr groß sein kann, im schlimmsten Fall sogar weltweit. Weiterhin hört das Mobben nach der Schule oder nach der Arbeit nicht auf, zu Hause kann am Rechner weitergemacht werden. Und es kann anonym erfolgen, was die Verfolgung der Täter schwieriger macht.

Wer sind die Opfer? Gibt es ein „typisches“ Opferprofil?

Grundsätzlich ist erst mal niemand geschützt. Jeder kann Opfer werden. Häufig scheint es aber so zu sein, dass sich Opfer und Täter kennen. Hier liegt auch ein guter Ansatzpunkt, um einen solchen Fall zu bearbeiten und dem Opfer zu helfen. Leider plagen viele eingeschüchterte Opfer sogar Schuldgefühle, was das Erkennen der Fälle und die Problematik oft erschwert.

Und was ist mit den Tätern? Was motiviert sie? Welchen Nutzen ziehen sie aus ihren Cyber-Attacken?

Genau wie jeder zum Opfer werden kann, kann theoretisch jeder zum Täter werden. Die Gründe sind vielschichtig. Mangelndes Selbstwertgefühl, eine gering ausgeprägte Konfliktfähigkeit, ein wenig intaktes Familiengefüge. Häufig sind Täter auch selbst Opfer gewesen und wissen daher sehr genau, wie man jemanden effektiv demütigt. Grundsätzlich meine ich aber, dass es Tätern immer an sozialer Kompetenz mangelt. Wer andere respektiert und sich in andere hineinversetzen kann, der wird nicht so schnell zum Täter. Die Jugend wächst in einer technischen und von Medien geprägten Welt auf und ist im Umgang mit dieser Technik sehr versiert. Aber, und das ist der entscheidende Punkt, sie sind nicht unbedingt medienkompetent. Hier liegt meines Erachtens der Schlüssel zur Lösung, denn Medienkompetenz kann man lernen.

Was sollte man tun, wenn man selbst zum Opfer wird?

Zu allererst sollten sich die Betroffenen aus der beleidigenden Kommunikation heraushalten und nicht auf den Mobber reagieren. Das beugt erst mal einer Eskalation vor. Dann sollten sie an sich eine Person ihres Vertrauens wenden. Bei Jugendlichen können das Freunde, (Vertrauens-)Lehrer oder Schulsozialarbeiter sein. Auch im Internet gibt es Anlaufstellen für jugendliche Opfer.

Wie sieht es mit rechtlichen Schritten aus? Sollten diese eingeleitet werden? Und wenn ja, ab wann?

Es ist auf jeden Fall hilfreich, die Beleidigungen zu dokumentieren. Cybermobbing ist eine Straftat und das Internet ist kein rechtsfreier Raum, in dem jeder tun und lassen kann, was er will. Das wissen viele Menschen nur nicht! Zugleich ist nicht jede Beleidigung oder hitzige Debatte im World Wide Web gleich als Cybermobbing zu verstehen. Aus meiner Sicht macht eine Anzeige dann Sinn, wenn die Schwere des Falles passt. Die rechtliche Bewertung des Einzelfalles sollte in Zusammenarbeit mit der Polizei nicht schwer fallen.

Wie reagieren die Betreiber sozialer Netzwerke auf das Mobbing-Phänomen?

Hier ist es wichtig, sich die technischen Möglichkeiten gut anzuschauen. Facebook und ähnliche Anbieter haben dazugelernt und bieten in solchen Fällen die Möglichkeit, beleidigende Inhalte oder Fotos zu melden und sie entfernen zu lassen, in schwereren Fällen wird auch direkt gegen bestimmte Benutzer vorgegangen, und diese werden gesperrt oder deren Profile gelöscht.

Wie sieht es mit den Präventionsmöglichkeiten aus?

Meiner Meinung nach sind Medienkompetenz, Verantwortungsbewusstsein und soziale Kompetenz die entscheidenden Punkte. Es ist wichtig, bereits mit Kindern und Jugendlichen über Respekt, Wertschätzung, Empathie, Persönlichkeitsrecht und auch Datenschutz zu sprechen. Das kann man schon mit Kindern im Grundschulalter tun.

Das Interview führte Janika Rehak

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
Februar 2012

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