„Mein Zuhause nehme ich überall hin mit”

Foto: Magdalena Schluckhuber
Foto: Magdalena Schluckhuber
Sophias Zuhause: Ein Bauwagenplatz am Stadtrand von Wien, Foto: Magdalena Schluckhuber

Ohne fließend Wasser und ohne Zentralheizung. Dafür aber mit Sauna. So lebt die 24-jährige Studentin und Clownin Sophia. Ein WG-Zimmer oder eine Wohnung ohne Garten sei zu beengend und biete zu wenig Freiraum, sagt sie. Deshalb lebt Sophia in ihrem eigenen Zirkuswagen am Stadtrand von Wien.

Für ihr Zuhause braucht Sophia einen LKW-Führerschein und viel Geduld. Sie wohnt in einem 10 Tonnen schweren Zirkuswagen und darf ihn in Deutschland nur mit 25 km/h, in Österreich sogar nur mit 10km/h ziehen. Dennoch steht für die 24-Jährige fest: „Egal, wo ich hinziehe, mein Zuhause nehme ich überall hin mit.“ Dreieinhalb Tage hat der Umzug von Bremen auf einen Wagenplatz in Wien gedauert. Seit dem Sommer 2010 lebt sie nun Wagen an Wagen mit 16 Nachbarn, darunter Psychologen, Wirtschaftswissenschafter, Studenten, Sozial-Pädagogen, Kameramänner und Freund Andi.

Aufgewachsen mit dem Zirkus

Als Sophia nach dem Abitur in Mainz eine zweijährige Clownschule besuchte, ist sie in den Zirkuswagen gezogen. Der Wagen ist ein Geschenk ihrer Eltern, die seit über 20 Jahren Kinder- und Jugendzirkus in Niedersachsen machen. Sophia ist in der Manege groß geworden. Heute ist sie Clownin. Gemeinsam mit ihrem Freund ist sie das Duo „die Kichererbsen“, macht Kinder- und Jugendzirkus, Jonglage-Workshops oder besucht Kindergeburtstage und Hochzeiten. Ihr großer Wunsch war, das, was sie „schon als Kind immer gemacht“ hat, professionell auszuüben. Sie ist überzeugt, dass jeder Menschen von Clowns lernen kann. „Authentisch leben und sich nicht verstellen, nur weil es andere erwarten, können Clowns ziemlich gut. Sie gehen immer einen anderen Weg.“

Foto: privat
Sophia und ihr Freund Andi arbeiten als Clowns, Foto: privat

Holz hacken und Wasser schleppen

Sophia hat sich bewusst für diese andere Art zu wohnen und zu leben entschieden, auch wenn sie für Außenstehende oft beschwerlich wirkt. „Wenn ich heimkomme, muss ich erst Holz hacken und einheizen.“ Wasser muss sie von einem Hydranten am Wagenplatz holen. Im Winter kann es passieren, dass das Wasser mehrere Wochen einfriert. „In solchen Situationen müssen wir Wasser kaufen, manchmal hilft aber auch der Nachbar im Haus nebenan aus.“ Als belastend empfinde sie das nicht. Ihr Studium der Internationalen Entwicklung ist dadurch auch nicht in Gefahr, denn im Baum hängt ein WLAN-Router . Eine Sauna gibt es in einem Gemeinschaftswagen, in dem auch Toiletten, Duschen und eine Waschmaschine sind. „Wir verzichten nicht auf Luxus, es ist nur alles ein bisschen anders.“

Leben wie auf einem Festival

Das Grundstück, auf dem Sophia lebt, wurde von der Stadt Wien gemietet. 100 Euro Miete muss sie pro Monat zahlen, pro Meter Länge ihres Wagens 10 Euro. Der Platz wirkt wie eine Mischung aus Festivalgelände und Bauernhof, Bierflaschen stehen auf der eigens eingerichteten Wagenbar, Holzpaletten stapeln sich hinter dem Gartentor, Hühner, Hunde und Katzen laufen zwischen den Wagen hin und her. Eine Feuerstelle bildet das Zentrum, rundherum ist Wald und Natur. Der Weg zur Donau ist nicht weit. Ihre Wohnsituation sei wie auf einem Festival, meinen viele von Sophias Freunden. Mit all den positiven und negativen Facetten, die so ein Festivalleben zu bieten hat.

Foto: Magdalena Schluckhuber

„Dreck ist Freiheit”, Foto: Magdalena Schluckhuber


Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2012
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