Viel Raum für öffentlichen Raum

Foto: Urbanismus Brno
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Das Studentenprojekt Urbanismus Brno.cz setzt sich mit Architektur und öffentlichem Raum in der mährischen Großstadt auseinander.

„Ist dir nicht egal, was in Brno passiert? Gefällt dir ein bestimmtes Gebäude oder findest du ein anderes schrecklich? Bist du nicht damit einverstanden, wie die Stadt mit dem öffentlichen Raum umgeht? Sage deine Meinung auf Urbanismus Brno. Jeder kann sich einbringen. Auch du!“ So heißt es in einem Werbespot des Studentenradios R über ein Projekt, das sich mit dem öffentlichen Raum in Brno beschäftigt.

Worum geht es eigentlich? „Es ist so eine Art Multi-Blog. Jeder, der sich für das Thema Urbanismus, also Stadtplanung, interessiert, kann sich auf der Webseite registrieren und seine Kommentare und Artikel einstellen“, so Jan Blinka, ein 24-jähriger Student des Faches Internationale Beziehungen, über sein Projekt.

Foto: Urbanismus Brno

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Wie das alles anfing? Jan Blinka, Betreiber und Gründer der Webseite, verbrachte den Herbst 2010 als Erasmus-Student in Paris. Nicht dass ihn Paris in besonderer Weise inspiriert hätte, er hatte ganz einfach Sehnsucht nach Brno. „In der Zeit gab es einen regelrechten städtebaulichen Boom an Plänen und Projekten für Brno. Ich fing an, mich für die Stadt nicht nur aus städtebaulicher, sondern auch aus architektonischer Sicht zu interessieren und verfolgte auch intensiv die allgemeine Berichterstattung über Brno“, berichtet Jan über die Anfänge des Projektes. In der Zeit war er auch im Bau- und Architekturforum Skyscrapercity.com unterwegs. Den dortigen Diskussionen konnte er aber nicht viel abgewinnen. „Ich empfand die Beiträge als sehr einseitig. Den Leuten war es egal, was geplant wird. Hauptsache es wird gebaut“, sagt Jan.

„Damals habe ich festgestellt, dass es hier keine Webseite gibt, auf der Informationen zur Architektur und zu geplanten Bauprojekten gebündelt sind“, so Jan weiter. Von der ersten Idee dauerte es nicht lange bis konkrete Schritte folgten. Jan sprach einen Freund an, der ihm eine Webseite gestaltete, er selbst fing an, sie mit Inhalten zu füllen. Im März 2011 ging die Seite Urbanismus Brno online.

„Brno ist mir ans Herz gewachsen“

Jan hat zwar Kunstgeschichte studiert, aber Themen wie Stadtplanung oder Architektur haben ihn zuerst gar nicht so sehr interessiert. Das kam erst später. „Vielleicht liegt das daran, dass mir Brno seit der Zeit, die ich hier studiere, irgendwie ans Herz gewachsen ist. Also begann ich mich dafür zu interessieren, was hier so gebaut wird“, erklärt der 24-Jährige.

Foto: Urbanismus Brno

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Er wusste von Anfang an, worüber er schreiben wollte: darüber, was in Brno geplant und gebaut wird. Bald wurde ihm jedoch klar, dass Architektur und öffentlicher Raum eine unteilbare Einheit bilden, Stadtplanung also immer beides beinhaltet. „Vor allem möchte ich darüber informieren, was gebaut werden kann. Aber es geht nicht nur um das Bauwesen, sondern um den öffentlichen Raum als solchen. Und was man in diesem Bereich alles verbessern könnte. Also auch Straßenskulpturen, Street Art, Graffiti und solche Sachen“, zählt Jan Beispiele auf. Dabei befasst er sich auch mit philosophisch-sozialen Sichtweisen auf die Problematik des öffentlichen Raumes oder mit thematischen Ausstellungen zur Architektur in Brno.

Die meisten Beiträge verfasst Jan selbst. Jeden Tag versucht er einen neuen Artikel zu veröffentlichen; er schreibt ihn abends, damit die User gleich am nächsten Morgen auf frischen Lesestoff zugreifen können. Er unterstützt aber auch die Entstehung von Beiträgen anderer. „Das Ziel war es, eine Art Community-Plattform entstehen zu lassen. Das heißt, dass sich jeder registrieren und ein eigenes Profil anlegen kann, um dann eigene Beiträge zu posten. Einige machen mit, aber so richtig ist das noch nicht in Fahrt gekommen.“

Dafür haben einige Architekten begonnen, von sich aus architektonische Studien einzuschicken, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Projekt Städtische Eingriffe. „Am Anfang habe ich die Architekten kontaktiert, aber jetzt ist es so, dass einige mich mit der Bitte ansprechen, etwas veröffentlichen zu können“, sagt Jan. Gleichzeitig fügt er hinzu, dass er architektonische Studien oder Bauprojekte besonders gern veröffentlicht, weil es interessant zu beobachten ist, auf welch unterschiedliche und gleichzeitig originelle Art und Weise verschiedene Architekten sich mit einer konkreten städtebaulichen oder architektonischen Aufgabenstellung auseinandersetzen.

Der Bahnhof und das Wasser

Aktuell interessiert sich Jan sehr für den Hauptbahnhof und seine geplante Verlagerung. Die Bürgerinitiative Bahnhof im Zentrum hat jetzt ihre Studie aus der Feder dreier junger Architekten veröffentlicht. „Das Thema ist in den Medien präsent, und in Brno beschäftigt man sich damit sehr. Mich interessiert es natürlich auch und ich versuche, mir in dieser Problematik einen Überblick zu verschaffen. Bisher habe ich noch keinen klaren Standpunkt dazu, und je mehr ich mich damit beschäftige, desto komplizierter erscheint mir die ganze Angelegenheit“, gibt Jan zu.

Foto: Urbanismus Brno

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Ein weiteres großes Thema für Urbanismus Brno und für Jan selbst ist Stadt und Wasser. „Das historische Zentrum ist von den beiden Flüssen Svitava und Svratka relativ weit entfernt und außer ein paar Brunnen spielt Wasser im öffentlichen Raum keine Rolle. Es fehlt hier ein Ufer oder eine Uferpromenade, das finde ich schade“, so Jan. Und wie könnte seiner Meinung nach dieses Problem gelöst werden? „Man könnte beispielsweise den Bereich in der Nähe von Poříčí modernisieren und damit im Grunde den Fluss in die Stadt integrieren. Außerdem existiert ein interessantes Projekt zur Revitalisierung des Baches Ponávka, der die Flüsse Svitava und Svratka verbindet, aber dafür gibt es leider kein Geld“, so Jans Einschätzung.

In Brno gibt es noch weitere Projekte und Initiativen, die sich mit dem Leben in der Stadt beschäftigen. Dazu gehören zum Beispiel das 4AM Forum für Architektur und Medien, Brno hraje na city [Nicht zu übersetzendes Wortspiel, welches die Doppelbedeutung des Wortes „city“ im Tschechischen (Gefühle - City) ausnutzt.. Also einerseits etwa: „Brno spricht die Gefühle an“, andererseits: „Brno macht auf City“, Anmerkung des Übersetzers] oder SOFA, mit der Urbanismus Brno gelegentlich informell zusammenarbeitet.

Täglich besuchen Urbanismus Brno etwa 200 bis 300 Leser, rund 50 User haben sich registriert, aber nicht alle beteiligen sich mit eigenen Beiträgen. Auf Twitter hat Urbanismus Brno etwa 80 Fans, auf Facebook sind es zehnmal so viel. Bis jetzt funktioniere das Projekt so, wie es funktionieren sollte, sagt Jan. Der Gründer denkt allerdings über neue Rubriken in Verbindung mit anderen Initiativen nach. Sein Hauptanliegen ist es jedoch, mit Urbanismus Brno das Interesse und das Bewusstsein für die Architektur Brnos zu wecken.

Die Schirmherrschaft über das Projekt hat der Husa klub übernommen. Dabei handelt es sich um einen Runden Tisch, der als Diskussionsforum dient und der sich zum Ziel gesetzt hat, kreative und engagierte Menschen zu einem gemeinsamen Dialog über die Entwicklung von Brno und der gesamten Gesellschaft im Kontext der europäischen Gemeinschaft zusammenzuführen. Anna Sedláčková, ehemalige Organisatorin und Moderatorin des Husa klub sagt über Jans Aktivitäten: „Diese Webseite zur Architektur in Brno fasziniert mich mit ihrer Gelehrsamkeit – dass sie beispielsweise von einem jungen Mann gemacht wird, der ganz andere Fächer studiert. Die Beiträge sind interessant und humorvoll geschrieben; ich finde dort nicht nur neue Informationen, sondern auch Inspiration.“

Eine Plattform zur Meinungsäußerung

Das Ziel von Urbanismus Brno besteht darin, das Bewusstsein für alles zu schärfen, was mit dem Brünner öffentlichen Raum zusammenhängt. Wie der Autor selbst schreibt, soll an der Diskussion über konkrete Projekte eine breite Fachöffentlichkeit beteiligt werden – Architekten, Kunsthistoriker, engagierte Bürger, Menschen aus dem gemeinnützigen Sektor, Denkmalschützer, Architektur- und Kunstgeschichte-Studenten, aber auch Künstler, Soziologen und Philosophen, die etwas zum Thema öffentlicher Raum zu sagen haben.

Foto: Urbanismus Brno

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Der Sinn des Projektes besteht nicht nur darin zu informieren, sondern auch eine Plattform zu schaffen, wo fachspezifische Artikel und Studien präsentiert werden, persönliche Meinungen geäußert und Einladungen zu die Thematik betreffenden Aktionen veröffentlicht werden können. Urbanismus Brno ist also eine Nachrichtenseite, ein Informationsportal, ein Blog und ein Forum in einem. Gerade mit dieser pluralistischen Form ist es möglich, einem breitem Spektrum an Meinungen Raum zu geben – diese sind willkommen und werden respektiert.

Lucie Paseková
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2012
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