Lieber gemeinsam statt einsam

Foto (Ausschnitt): Roman Boed, CC BY 2.0

Über das Zusammenleben auf Zeit in einer Wohngemeinschaft in Prag


Mit Mitbewohnern ist es so eine Sache. Der eine raucht, der andere feiert ununterbrochen wilde WG-Partys und wieder ein anderer stapelt das dreckige Geschirr in der Küche. Doch trotzdem entwickeln sich im Laufe des WG-Zusammenlebens oft tiefe Freundschaften. Nicht verwunderlich, denn meistens durchleidet man monate- oder sogar jahrelang zusammen sämtliche Lebens- und Liebeskrisen – verwunderlich aber, dass auch in acht Wochen so etwas wie Freundschaft entstehen kann.

Foto: Ioan Samelis CC-BY-SA2.0

Mit Mitbewohnern ist es so eine Sache... Foto: Ioan Samelis CC-BY-SA2.0

Froh war ich, als ich meine erste Nacht in Prag nicht alleine einsam in irgendeinem Appartement verbringen musste. Stattdessen lauschte ich in meinem frisch überzogenen Bett unbekannten, aber beruhigenden Geräuschen aus dem Nachbarzimmer. Unglaublich gut schlief ich in dieser Nacht in meinem neuen Bett, obwohl am nächsten Tag mein zweimonatiges Praktikum in einer deutschen Anwaltskanzlei beginnen sollte und ich deshalb schon ein wenig nervös war.

Niko [Name von der Redaktion geändert], mein Mitbewohner für zwei Monate hatte ich über eine deutsche WG-Vermittlungsbörse kennen gelernt. Wohngemeinschaften sind in Tschechien eher dünn gesät. Während in Deutschland das WG-Leben boomt und sogar die deutsche Politikerin Andrea Ypsilanti vor einigen Jahren öffentlich machte, mit Lebensgefährte und Sohn in einer WG zu wohnen, hält sich das Angebot auf den einschlägigen Wohnungsangebotsseiten in Tschechien in Grenzen. Das gilt besonders dann, wenn man eine Bleibe nur für kurze Zeit sucht. Umso größer war mein Luftsprung als Niko mir zusagte, das Zimmer beziehen zu können.

Erwartungen hatte ich an das Zusammenleben in Prag nicht. Vielmehr stand ich dem Ganzen schlicht und einfach gleichgültig gegenüber – Niko wahrscheinlich auch, denn zwei Monate sind schnell vorüber und im schlimmsten Falle sieht man sich danach nie wieder. Natürlich war ich neugierig, wer mich in der Wohnung erwarten wird. Zwar hatten wir telefoniert, aber ein richtiges Bild von dem Menschen, mit dem ich mir den Lebensraum teilen werde, konnte ich mir noch nicht machen. Deshalb war ich dann trotzdem ein wenig nervös, als ich vor der Wohnungstüre stand und klingelte.

Erfahrungsaustausch beim ein oder anderen Bier

Die anfängliche Nervosität verflog schnell. Einen besseren Start in Prag hätte ich mir nicht vorstellen können. Niko zeigte mir noch am selben Nachmittag die nächsten Einkaufsmöglichkeiten und den besten Burger auf dem Letná, erklärte mir, dass „žabka“ Fröschchen heißt und führte mich in den Letná-Park, wo ich mich sofort in den atemberaubenden Blick über die Stadt verliebte.

Foto (Ausschnitt): Roman Boed, CC BY 2.0

Der Bllick vom Letná, Foto (Ausschnitt): Roman Boed, CC BY 2.0

Niko vermietet das zweite Zimmer in seiner Wohnung, die er sich ursprünglich mit seiner Ex-Freundin teilte, immer wieder an Durchreisende, aber auch an dauerhaft bleibende Studenten oder Arbeitende: „Wenn die Chemie stimmt, ist es toll, wenn jemand abends zu Hause ist und man sich kurz austauschen kann“, so der 30jährige Berliner, der sich nach eigener Aussage schon fast als Tscheche fühlt. Als Berufstätiger ist er damit zumindest in Deutschland längst nicht mehr der Einzige, der sich auch nach dem Studium für diese Lebensform entscheidet. Für immer will Florian dann aber trotzdem nicht in einer Wohngemeinschaft bleiben: „Früher oder später werde ich mir aber wohl trotzdem eine eigene Wohnung suchen.“

Wir verstanden uns prächtig. Jeden Abend erzählten wir uns kurz was der andere erlebt hatte – Niko mir von seinen Erlebnissen mit den Schülern, die er seit drei Jahren als Deutschlehrer unterrichtet, ich ihm von meinen neuen Erfahrungen in der tschechischen Hauptstadt. Er verstand mich gut, denn wie es der Zufall wollte, unterrichtet er auch in derselben Kanzlei, in der ich das Praktikum absolvierte. So kam es, dass wir zusammen mit Zbyněk, einem Schüler aus der Kanzlei und dessen Freundin das ein oder andere Bier tranken oder gemeinsam Konzerte besuchten.

Der beinahe schon obligatorische Streit um das Müllrausbringen oder Bad putzen blieb aus. Man kann nur mutmaßen, ob es an unseren unkomplizierten Wesen lag oder der Tatsache, dass ich nur acht Wochen geblieben bin.

Magdalena Wagner

Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2012