Heute gibt’s mal flexitarisch!

Foto: Kris Krüg, CC BY-NC-SA 2.0Lammfilets mit Kräuterkruste, Foto: Katrin Gilger, CC BY 2.0
Wo kommt das Fleisch her? Flexitarier wollen es genau wissen. Foto: Katrin Gilger, CC BY 2.0

Vegetarier werden inzwischen in fast jeder Kantine bedacht und auch die Veganer haben in der Nahrungsmittelindustrie ihre Nische gefunden. Weniger geläufig ist dafür der Begriff des Flexitariers. Der Dalai Lama ist einer. Und möglicherweise auch eine ganze Menge ernährungsbewusster Menschen, die noch gar nichts davon wissen, dass es für ihre Lebensweise einen Namen gibt.

„Ich habe versucht, den Konsum von Fleisch immer weiter zu reduzieren“, erzählt Fabian. Ausschlaggebend sei die Lektüre des Buches Tiere essen von Jonathan Safran Foer gewesen. Darin beschreibt der Autor die amerikanische Fleischindustrie in all ihren – nicht unbedingt appetitlichen – Details. „Nach diesem Buch habe ich meine Essgewohnheiten radikal verändert. Das kam von einem Tag auf den anderen“, so der 31-jährige Fabian.

Seine gleichaltrige Freundin Julia ging den umgekehrten Weg. Sie hat lange als Vegetarierin gelebt. Als nach einigen Jahren körperliche Mangelerscheinungen auftraten, insbesondere bei den Eisenwerten und Vitamin B12, kehrte sie zum Fleischkonsum zurück. „Natürlich musste ich mich wieder ein bisschen daran gewöhnen“, so Julia. „Aber manche Vegetarier entwickeln ja einen richtigen Ekel vor Fleisch. Das war bei mir zum Glück nicht der Fall. Und die Idee, ganz bewusst darauf zu achten, welches Fleisch ich esse, hat mir sehr gefallen.“

Vegetarier in Teilzeit

Fabian und Julia sind Flexitarier. Sie haben eine bewusste Einstellung gegenüber dem, was sie essen. Charakteristisch für die flexitarische Lebensweise ist dabei vor allem die Reduzierung des Konsums von Fleisch, ohne diesen aber komplett einzustellen. Manchmal werden Flexitarier daher auch als Teilzeitvegetarier bezeichnet. „Unsere Freunde behaupten manchmal, wir essen nur Fleisch von gestreichelten Tieren“ erzählt Julia und lacht. So ganz falsch ist das aber nicht. Möglichst naturbelassen soll das Fleisch sein, nicht von Tieren, deren Halter sie mit Antibiotika und Hormonen – dank Wassereinlagerungen im Gewebe – möglichst schnell auf das angestrebte Zielgewicht hochzüchten.

Und natürlich soll neben der Ernährung auch die Unterbringung der Tiere artgerecht sein und nicht nur gesetzliche Mindeststandards erfüllen. Zuletzt haben Fabian und Julia ihr Fleisch von einem Biohof aus der Region Münster bezogen. „Ideal ist es natürlich, wenn man den Hof besuchen und sich selbst ein Bild machen kann“, so Fabian. Julia hingegen wird bei diesem Gedanken ein wenig unwohl: „Wenn ich einem Kälbchen vorher in diese riesengroßem Kulleraugen schauen würde, dann könnte ich es hinterher garantiert nicht mehr essen“, glaubt sie.

Foto: © privat
Fabian und Julia sind Flexitarier. Foto: © privat

Pro Gesundheit oder contra Tierleid?

Worum geht es den Flexitariern also genau? Um ein Statement gegen Massentierhaltung? Oder doch eher um die eigene Gesundheit? „Beides“, vermuten Fabian und Julia, „aber mit individueller Gewichtung.“ Gewisse Unterschiede merken sie auch bei sich selbst: Fabians Fokus liegt ein bisschen mehr auf dem Aspekt der bewussten Ernährung, während Julia, die ehemalige Vegetarierin, eher die großen Kälbchenaugen beschäftigen.

Dass ihre Motive zumindest teilweise ethisch begründet sind, streiten beide nicht ab. Trotzdem verspüren sie keinerlei Lust, sich auf eine moralische Diskussion einzulassen oder sich gar dafür zu rechtfertigen, weil sie im Gegensatz zu Vegetariern, nicht komplett auf Fleisch verzichten. „Man sollte aus dem Essen einfach keine Ideologie machen“, findet Julia. Sie hätte generell Probleme mit extremen Haltungen, sagt sie. „Ja, wir essen Fleisch, und ja, wir achten darauf, wo es herkommt. Das war’s dann aber auch schon. Über so etwas muss man sich doch nicht streiten.“

Dass beide manchmal trotzdem behaupten, sie seien Vegetarier, hat ganz praktische Gründe. „Damit können die Leute etwas anfangen“, so Fabian. „Wenn wir erst erklären müssen, welches Fleisch wir essen und welches nicht, dann dauert das eine halbe Stunde und manchmal haben die Leute es trotzdem nicht verstanden“, fügt er hinzu und lacht.

Auswärts sind die beiden grundsätzlich vegetarisch unterwegs. Ausnahmen? Eher ungern. Vor kurzem wurde bei Freunden eine Quiche mit Schinkenstückchen serviert. Julia hat höflichkeitshalber mitgegessen. Fabian auch. Allerdings hat er die Schinkenstücke vorher aussortiert. Oft sagt er in solchen Fällen auch einfach, er sei schon satt. „Konsequenz ist mir wichtig“, so seine Begründung.

Neue Bezugsquelle gesucht

Kürzlich sind Fabian und Julia von Münster nach Hannover gezogen. Ihre alte Fleischbezugsquelle ist damit außer Reichweite. Übers Internet suchen sie nun nach einer neuen. Ein Hof im Raum Hildesheim sah im Netz zunächst vielversprechend aus, erwies sich beim Besuch aber als Enttäuschung. Der Schwerpunkt lag zu sehr auf Gemüse, und ein Gütesiegel hatte der Hof auch nicht. Bleibt also erst mal nur weitersuchen. „Das ist aber keine Katastrophe“, sind die beiden sich einig. „Wir essen ohnehin so selten Fleisch, da überleben wir ein paar weitere Wochen wohl auch noch.“

Vollkommen vegetarisch zu leben kann Fabian sich allerdings nicht vorstellen, zumindest derzeit nicht: „Dafür esse ich Fleisch einfach zu gern.“ Julia hingegen denkt ab und an darüber nach, wieder komplett auf Fleisch zu verzichten.


Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Juli 2014

    Vegetarier, Flexitarier und Fleischesser in Deutschland

    Nach einer Studie der Universitäten Göttingen und Hohenheim verdoppelte sich der Anteil der Vegetarier in den vergangenen sieben Jahren auf 3,7 Prozent. Knapp zwölf Prozent der Deutschen gehören demnach zu den sogenannten Flexitariern, die bewusst wenig Fleisch essen. Weitere zehn Prozent wollen ihren Fleischkonsum verringern. Dem stehen drei Viertel der Deutschen gegenüber, die sich keine Sorgen darum machen, wie viel Fleisch sie essen.

    Für die Untersuchung wurden knapp 1200 Konsumenten ab einem Alter von 18 Jahren per Quotenstichprobe online befragt, die nach Angaben der Autoren repräsentativ mit Blick auf die Kriterien Alter, Geschlecht, Einkommen und Wohnregion ist.

    Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung Online, 22. Juli 2013

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