Zum Abendessen bei Fremden

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Es ist zunächst etwas ungewohnt mit allen Besuchern gemeinsam an einem Tisch zu sitzen. Schließlich aber entwickelt sich ein Gespräch, und alle finden die Idee gut. Foto: © Barbora Drachovská

Gutes Essen, neue Leute kennenlernen und häusliche Atmosphäre – das ist das Rezept für ein Wohnungsrestaurant. Im Februar ist ein solches in Brno (Brünn) entstanden. Gegründet wurde es von den langjährigen Freunden Joža Skládanka und Vladimír Kokolia. Beide kochen gern, klassische Restaurants empfinden sie jedoch als zu unpersönlich. jádu-Autorin Barbora Drachovská besuchte die beiden zum Abendessen.

Gleich beim Betreten des Hauses in der Brünner Gorki-Straße umgibt uns der Geist der 20er und 30er Jahre. An der Wohnungstür heißt uns Vladimír willkommen. Die Wohnung Debut, wie Vladimír und Joža ihr Restaurant nennen, ist geräumig und hell, die Geschichte ist in jeder Ecke präsent. „Ursprünglich gab es in diesem Geschoss nur eine riesige Wohnung, später entstanden daraus zwei Wohnungen“, erklärt Vladimír. Ein großes Wohnzimmer dient als Esszimmer. Heute wurden alle Tische zu einer großen Tafel zusammengeschoben. Es ist zunächst etwas ungewohnt mit allen Besuchern gemeinsam an einem Tisch zu sitzen. Schließlich aber entwickelt sich ein Gespräch, und alle finden die Idee gut. Vladimír verschwindet zwischenzeitlich in der Küche, aus der schon der Duft von Spinat-Suppe weht.

Während der Zubereitung der einzelnen Gänge, können die Besucher in die Küche am anderen Ende der Wohnung kommen und Vladimír auf die Finger schauen. „Ich lade unsere Gäste immer ein, mich in der Küche zu besuchen, aber die meisten sind dann doch zu schüchtern“, verrät der Koch. Die Küche ist schlicht eingerichtet, die einzige Dekoration ist ein Bild mit dem Satz: „Wenn du keine Zitrone hast, nimm einfach Limetten.“ Die ironische Variation auf einen Spruch des populären Fernsehkochs Jiří Babica entspricht so gar nicht Vladimírs Kochstil. Sein Können zeigt sich schon beim ersten Kosten der Suppe, der krosse Knoblauchscheiben beigefügt sind. „Kochende Männer waren in unserer Familie immer normal, da wollte ich nicht im Abseits zu stehen“, erzählt Vladimír Kokolia. Seine größte Spezialität ist hausgemachte italienische Pasta. Die wird er auch heute servieren, genauer gesagt Pasta mit Krabben, Chili und Knoblauch. Auf dem Tisch steht Wasser und Wein. „Heute ist das Abendessen ruhiger, aber manchmal finden hier richtige kleine Partys statt“, sagt der Restaurantgründer.

Spaß am Kochen, nicht am Papierkram

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„Den Beruf des Fulltime-Kochs würde ich weder körperlich noch psychisch packen.“ Foto: © Barbora Drachovská

Solche Dinner-Events finden im Wohnungsrestaurant Debut mehrmals wöchentlich statt, je nach den zeitlichen Möglichkeiten der beiden Köche. Joža Skládanka und Vladimír Kokolia kochen aber immer getrennt. „Nur zu Anfang haben wir zusammen gekocht, da haben wir uns sozusagen den Rücken freigehalten“, erklärt Vladimír. Im Schnitt kommen acht Besucher, zehn Gäste sind das Maximum. „Früher waren es auch mal zwölf. Für uns ist aber gerade diese Nicht-Restaurant-Atmosphäre wichtig. Alle sitzen an einem Tisch und man lernt zwangsläufig neue Leute kennen“, erklärt Joža. Nach einem klassischen Restaurant sehnen sich die Jungs nicht. „Ein Restaurant hat zwei Ebenen. Entweder bist du der Chef oder du kochst. Klar, auch der Chef kann sich mal an den Herd stellen, aber ich mag einfach den ganzen Prozess. Außerdem missfällt mir die Vorstellung eines verschwitzten Kochs, der vor den Gästen versteckt wird“, sagt Vladimír. Joža pflichtet ihm bei: „Den Beruf des Fulltime-Kochs würde ich weder körperlich noch psychisch packen, und Restaurantleiter zu sein ist auch nicht gerade mein Traum; ich habe Spaß am Kochen, nicht am Papierkram.“

Neben dem Debut gibt es in Tschechien noch weitere Wohnungsrestaurants. Das bekannte mittelböhmische Restaurant Na faře (Zur Pfarrei) leitet die Journalistin Darina Křivánková, die in der namensgebenden Pfarrei auch wohnt. Eine ähnliche Einrichtung findet man in Prag 9, im Ortsteil Nová Harfa. Das dortige Balkonová restaurace (Balkonrestaurant) gründete die Foodbloggerin Petra Vondrová. In diesen beiden Restaurants essen – im Gegensatz zum Debut – die Gastgeber gemeinsam mit ihren Gästen. In Brno kümmern sich Joža und Vladimírals Gastgeberhauptsächlich um das Wohlbefinden der Gäste.

Als Dessert werden mittlerweile Früchte mit einer Mascarpone-Creme gereicht. Ein idealer süßer Abschluss eines hervorragenden Abendessens. Die beiden Betreiber planen jetzt zusätzliche Outdoor-Aktionen. „Wir wollen Picknicks oder Grillabende veranstalten, aber das werden eher einmalige Aktionen außerhalb unserer klassischen Abende sein“, erläutert Joža. Wie es mit dem Debut weitergeht, hängt vor allem vom Interesse der Gäste ab. „Es ist uns gelungen, eine relativ starke Marke zu etablieren, die weitere Entwicklung des Debuts lassen wir aber entspannt auf uns zukommen“, sagt Vladimír.

Barbora Drachovská
ist schon mehr als zehn Jahre nahezu hundertprozentige Vegetarierin, die hin und wieder Fisch oder Meeresfrüchte nascht. Sie mag es, Neues auszuprobieren, das am besten so gesund wie nur möglich ist, gelegentlich darf es aber auch etwas richtig Fettiges sein. In Brno besucht sie jede neu eröffnete Restaurant, Bistro oder Kneipe. Und in letzter Zeit findet sie sogar an dem früher verhassten Backen Gefallen.

Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
August 2014

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