Das Auge isst mit

Foto: © Šárka BabickáFoto: © Šárka Babická
Foto: © Šárka Babická

Essen fotografiert heutzutage fast jeder, was ein Blick in die sozialen Netzwerke bestätigt. Während allerdings jeder so etwas wie einen Apfel fotografieren kann, sieht die Sache etwa beim Gulasch schon ganz anders aus. Foodstylisten und Foodfotografen haben eine ganze Menge Tricks, um die fotografierte Speise tatsächlich zum Anbeißen aussehen zu lassen. Eine davon ist Šárka Babická.

Zum Fotografieren kam Šárka durch ihren Blog Cook your dream. Hier beschrieb sie ihre kulinarischen Erlebnisse aus England, wo sie seit 2008 lebt. „Ich wollte meine kulinarischen Entdeckungen mit Familie und Freunden in Tschechien teilen, deshalb begann ich mit dem Blog. Die ersten zwei Rezepte auf dem Blog waren Apple Crumble und Fleischbällchen. Die fertigen Speisen musste ich abfotografieren und zu dieser Zeit hatte ich vom Fotografieren keine Ahnung. Zunächst fotografierte mein Freund, aber nach zwei Monaten machte es ihm keinen Spaß mehr und ich musste selbst lernen, seine digitale Spiegelreflexkamera zu benutzen“, erzählt Šárka. Das tägliche Lesen von Artikeln über Fotografie zahlte sich aus, heute gehört sie zu den gefragtesten Foodfotografen und Foodstylisten.

Hühnchen mit Schuhcreme

Foto: © Šárka BabickáFrüher verwendeten Foodstylisten für ihre Arrangements viele künstliche Modelle von Essen, heute ändert sich dieser Trend. „Ich vermeide jede Form von künstlichen Ersatzprodukten. Die einzige Ausnahme ist künstliches Eis, das meistens aus Acryl oder synthetischem Gummi hergestellt ist. Wenn man nicht für die Werbung fotografiert, muss das Essen nicht makellos aussehen und dann braucht man keinen Essensersatz“, erklärt Šárka, die ursprünglich in der IT-Branche gearbeitet hat.

Früher wurden Ersatzprodukte allerdings im großen Stil verwendet. Einer der Gründe dafür ist, dass man damals noch auf Film fotografierte. „Zu den bekanntesten Surrogaten gehörte Motoröl, das den Ahornsirup auf Pfannkuchen ersetzte“, beschreibt Šárka eine Praxis des Foodstylings, die noch nicht sehr weit zurückliegt. Weißer Flüssigkleber ersetzte die Milch oder Sahne beim Fotografieren von Cornflakes. Torten wurden oft aus Schaumgummi oder Polystyrol gemacht und dann so mit Creme bestrichen, dass die ganze Torte einfach perfekt aussah. Um die Kruste auf einem Brathähnchen oder einer Pute wirklich knusprig aussehen zu lassen, beschmierte man sie mit Schuhcreme. Für frisches Äußeres von Gemüse wiederum half man mit Haarspray nach. Und damit zum Beispiel Eiscreme beim mehrstündigen Shooting nicht schmolz, stellte man sie künstlich her aus gehärteten Fetten, Puderzucker und Maissirup oder Kartoffelpüree.

Der neue Trend ist die perfekte Unvollkommenheit

Modewellen gibt es nicht nur bei Kleidung und Design, auch das Arrangieren von Essen hat seine Trends. „Schaut man sich Kochbücher aus den 80er Jahren an, findet man darin höchstwahrscheinlich unnatürlich inszenierte Tische vor, voll mit gefüllten Schüsseln und Zutaten“, sagt Šárka Babická. Aber ebenso wie in der Modewelt, wechseln sich die Trends schnell ab. Laut Šárka Babická war noch vor kurzem der rustikale hölzerne Hintergrund stark in Mode, der gut zu Großmutters Geschirr passte. Heute setzen die Foodstylisten auf eine Einfachheit, für die eher der Marmor steht. Das ganze moderne Foodstyling baut auf Natürlichkeit und Einfachheit auf.

Wer Blogs, Zeitschriften und Bücher übers Kochen verfolgt, hat sicher schon bemerkt, dass das Essen auf den Fotos so aussieht, als hätte es sich gerade eben jemand zu Hause gekocht, hier und da ist ihm Öl daneben getropft oder ein Bröckchen herunter gefallen. „Die perfekte Unvollkommenheit ist einer der populären Trends. Ein Foto soll natürlich und nicht inszeniert wirken“, erklärt Šárka die aktuelle Mode im Bereich Essensarrangements. Für den letzten Schliff der Details ist daher eine Pinzette unerlässlich, mit der man zum Beispiel kleine Tröpfchen platzieren kann oder Kräuterkrümel. Außerdem verwendet die Foodstylistin Pinsel, eine Schere, Wattestäbchen, Papierhandtücher und Zerstäuber. Dies alles gehört zur Standardausrüstung.

Foto: © Šárka Babická
Foto: © Šárka Babická

Zu Beginn der Fotosession legt die Fotografin fest, welche Requisiten sie beim Fotografieren verwenden wird. Erst dann beginnt sie, das Essen auf der konkreten Schale oder dem Teller zu arrangieren. An einem Foto von einem Teller voller Leckereien kann man gut und gerne drei Stunden arbeiten. „Für Zeitschriften und Kochbücher muss das Essen nicht so makellos aussehen wie für die Werbung. Das Einkaufen von Zutaten und Besorgen von Requisiten nicht mitgerechnet, kann die Auswahl und das Arrangieren der Requisiten fast eine Stunde dauern. Die Zubereitung des Rezepts, das Styling und Fotografieren können weitere zwei Stunden in Anspruch nehmen“, beschreibt die Foodstylistin ihre Arbeitsweise.

Beim Arrangieren von Speisen sind Foodstylist und Fotograf mit einer Reihe von Widrigkeiten konfrontiert. Problematisch ist etwa braunes Essen, das man nicht einfach durch ein paar Kräuter interessanter machen kann, weil es das Rezept eben nicht erlaubt. Das betrifft nicht nur Soßen, sondern auch Schokomuffins oder Pudding. Und mit Fleisch, das schnell vertrocknet und sein frisches Aussehen verliert, muss man ebenso wie mit Eiscreme extrem schnell arbeiten. „Sehr gerne mag ich das Arrangieren von Salaten und Gerichten mit frischem Obst und Kräutern“, fügt Šárka Babická hinzu, die in erster Linie kommerzielle Aufträge für verschiedene Lebensmittelhersteller fotografiert. Zumeist sind das Fotos für Webseiten oder Zeitschriften und Zeitungen. Fast jeden Tag macht sie mindestens ein Foto. „Einen Großteil der Fotos mache ich mit dem Smartphone, denn mein liebstes soziales Netzwerk ist Instagram. Ich fotografiere zum Beispiel auch mein Mittagessen und Dinge um mich herum. Essen zu fotografieren, das ist gerade sehr beliebt, aber wie bei jedem Trend kann schnell wieder etwas Anderes kommen“, sagt die dunkelhaarige junge Frau. Aber während man es für ein soziales Netzwerk nur knipsen und hochladen muss, arbeiten in der Praxis bis zu fünfzehn Leute zusammen an der Fotografie einer Speise – außer dem Foodstylisten und Fotografen noch Assistenten, Dekorationsstylisten und ein Art Director.

Essen zu fotografieren ist wie ein Haus zu bauen

Foto: © Šárka BabickáEssen arrangieren und fotografieren ist also nicht einfach, aber auch das kann man lernen. Šárka erklärt Bloggern, Amateuren und Fotografen in speziellen Kursen, wie man das Tageslicht ausnutzt, wie man mit Requisiten arbeitet und warum der Winkel, aus dem man fotografiert, und die Komposition wichtig sind. Während eines Seminars vergisst sie nie, den wichtigsten aller Tricks zu erwähnen – ein großes Fenster. „Es genügt, den Tisch an ein Fenster zu stellen, idealerweise in Richtung Norden oder Nordosten, wo es keine direkte Sonneneinstrahlung gibt, sondern weiches gestreutes Licht“, verrät Šárka. Dieses Licht ist für Essensfotografie ideal, weil es schöne weiche Schatten zeichnet.

Beim Fotografieren von Essen ist es vor allem nötig, daran zu denken, was der Fotograf mit diesem Foto sagen will. „Fotografiert man die Zutaten für einen Kuchen oder einen Salat, dann muss auf den ersten Blick alles klar erkennbar sein“, erläutert die Lektorin für Foodstyling. So sollte die Fotografie einen zentralen Punkt aufweisen, der den wichtigsten Ort darstellt, zu dem der Betrachter seinen Blick zuerst richten soll, erst danach kann man weitere Elemente hinzufügen, die Atmosphäre und Erzählung vervollständigen helfen.

Außerdem ist es wichtig, das Essen so zuzubereiten, dass es auf dem Foto möglichst gut aussieht, was zumeist etwas ganz anderes ist, als Essen für den Konsum zuzubereiten. „Jedes Rezept besteht im Prinzip aus seinen Zutaten, das endgültige Gericht wird nach und nach auf dieser Grundlage ‚aufgebaut‘ fast wie ein Haus.“ Dabei muss man auch die Theorie der Farben und Strukturen sowie Form und Größe der einzelnen Zutaten sowie des ganzen Gerichts bedenken, damit alles zusammen ein harmonisches Ganzes bildet.

Barbora Drachovská
ist schon mehr als zehn Jahre nahezu hundertprozentige Vegetarierin, die hin und wieder Fisch oder Meeresfrüchte nascht. Sie mag es, Neues auszuprobieren, das am besten so gesund wie nur möglich ist, gelegentlich darf es aber auch etwas richtig Fettiges sein. In Brno besucht sie jede neu eröffnete Restaurant, Bistro oder Kneipe. Und in letzter Zeit findet sie sogar an dem früher verhassten Backen Gefallen.

Übersetzung: Lena Dorn

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
August 2014

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