Ein Neuling begehrt auf

Foto: Damien Smith. CC BY-SA 2.0Foto (Ausschnitt): Damien Smith. CC BY-SA 2.0
Vor dem Parlament in Zagreb wehen die Fahnen Kroatiens und der EU. Foto (Ausschnitt): Damien Smith. CC BY-SA 2.0

Kroatien ist als bis dato letzter Staat der EU beigetreten. Was hat die EU-Mitgliedschaft dem Land gebracht?

Trotz der großartigen offiziellen Feierlichkeiten im vergangenen Jahr stehen die Menschen allem, was mit der Europäischen Union zu tun hat, skeptisch gegenüber. „Am Beitrittsreferendum konnte man ein gewisses Misstrauen der Kroaten gegenüber der EU erkennen. Und die Atmosphäre in Kroatien vor dem Beitritt ähnelte der in der Tschechischen Republik,“ erläutert der Honorarkonsul der Kroatischen Republik, Ivo Nešpor.

Als 2012 das Referendum in Kroatien abgehalten wurde, gingen nur 44 Prozent der Wähler zu den Urnen. 66 Prozent von ihnen stimmten damals für den Beitritt. Zum Vergleich: In Tschechien gaben beim Referendum insgesamt 55 Prozent der Wähler ihre Stimme ab, davon stimmten 77 Prozent für den Beitritt. Genau wie Tschechien trat auch Kroatien dem „europäischen Klub“ bei und ist seit dem 1.Juli 2013 rechtmäßiges Mitglied. Trotzdem ist die dortige EU-Skepsis weiterhin spürbar, denn die europäischen Vorschriften und Einrichtungen bescheren dem Land in Form eines Hörnchens eine Reihe von Unsicherheiten.

Tourismus auf dem ersten Platz

Kroatien ist nicht mal ein ganzes Jahr Mitglied der Europäischen Union, was hat sich im Land seitdem am stärksten verändert? Einem Land, das vor allem vom Tourismus lebt, ist die Öffnung der Grenzen am wichtigsten. „Es gibt keine Grenzkontrollen mehr, so dass eine Reise nach Kroatien nicht nur für Touristen bequemer ist. Sie können außerdem ihre Lebensmittel und Alkohol mitbringen,“ beschreibt Ivo Nešpor.

Im Jahr 2011 besuchten Kroatien mehr als 11 Millionen Touristen. Die meisten Besucher an der Adria sind Deutsche, Slovenen, Italiener, Österreicher und nicht zuletzt auch auch Tschechen. In Zukunft will das Land seinen Besuchern den Aufenthalt durch die Einführung des Euro noch mehr erleichtern. „Langfristig plant Kroatien die Annahme der europäischen Währung,“ bestätigt der Konsul. Die Erfüllung aller Bedingungen, die für einen Währungswechsel nötig sind, wird jedoch noch viel Zeit in Anspruch nehmen.

Foto (Ausschnitt): Rising Damp, CC BY 2.0
Ein Kleinfischer vor der kroatischen Adriaküste, Foto (Ausschnitt): Rising Damp, CC BY 2.0

Das Ende der kleinen Fischer

Der Beitritt zur Europäische Union war auch für kroatische Firmen von Vorteil, die sich auf den Export spezialisiert haben. In tschechischen Geschäften zum Beispiel tauchte von Juli 2013 an immer mehr Fisch aus Kroatien auf, sowohl frisch als auch in Konserven. Der Export von Sardinen hat Tradition und macht einen Anteil von mehr als 60 Prozent aller in der Adria gefangenen Fische aus. „Die kroatischen Fische sind von hoher Qualität,“ sagt Nešpor. Dank des EU-Beitritts können die Kroaten nicht nur nach Tschechien, sondern auch in weitere Mitgliedsstaaten exportieren. Zwar eröffnen sich dadurch neue unternehmerische Möglichkeiten, aber von deren positivem Effekt profitieren eher größere Firmen. Kleine Fischer müssen wahrscheinlich sehr bald um ihr Überleben kämpfen, weil ihnen der Beitritt in die Europäische Union viele Nachteile gebracht hat.

Eine von zwei vereinbarten Ausnahmen erlaubt Kroatien zwar den Fischfang unter Verwendung von Netzen, die in anderen Mitgliedsstaaten verboten sind. Dennoch sind neue Regelungen entstanden, die so manchen kleinen Fischer komplett ruinieren könnten. In Kroatien arbeiten insgesamt 14.000 Menschen im Fischfang, die Mehrheit betreibt natürlich die sogenannte Kleinfischerei. „Ein beträchtlicher Teil der Bewohner der adriatischen Region lebt vom Fischfang. Die Europäische Union jedoch unterstützt die Kleinfischerei nicht. Die Regelungen und Beschränkungen sind auf Staaten zugeschnitten, die den Fischfang im großen Stil betreiben“, erlärt Nešpor. Die Einschränkungen im Fischfang und die Einführung weiterer Vorschriften sind also nur für große Staaten mit einer riesigen Fischfangindustrie von Vorteil, für Kroatien weniger. Der Grundpfeiler des kroatischen Fischfangs sind nämlich kleine Fischerboote, die nicht länger als zwölf Meter sind und in unmittelbarer Nähe zum Ufer fischen, was die EU in Zukunft einschränken will.

Offizielle Feiern in Zagreb zum kroatischen EU-Beitritt am 1. Juli 2013

Desinteresse an der Europawahl

Im Europäischen Parlament hat Kroatien heute insgesamt zwölf Vertreter, die nicht nur für die kroatischen Interessen aus dem Gebiet der Fischerei kämpfen. Das Interesse der Bevölkerung an der Europawahl ist dennoch gering. „Wie auch bei der Mehrheit der neuen Mitgliedsstaaten ist die Beteiligung an der Wahl für das Europäische Parlament traditionell sehr niedrig,“ ergänzt Ivo Nešpor. Die Kroaten haben ihre Vertreter zuletzt kurz vor dem Beitritt zur Europäischen Union gewählt. Damals, im April 2013, lag die Wahlbeteiligung bei knapp 21 Prozent. Schon nach einem Jahr gehen die Kroaten wieder zu den Wahlurnen und entscheiden nicht nur über die Zukunft ihrer Fischer.

Wahlergebnisse der Europawahl 2014 in Kroatien

In Kroatien hat die rechtskonservative HDZ die Europawahlen klar gewonnen. Die HDZ holte bei einem Stimmenanteil von 41,4 Prozent sechs der elf kroatischen Mandate. Die regierenden Sozialdemokraten stellen vier Abgeordnete (29,9 Prozent). Den kroatischen Grünen reichten 9,4 Prozent zum Gewinn eines Mandates im Europäischen Parlament.

Die Wahlbeteiligung lag in Kroatien nur knapp über 25 Prozent.

Nachtrag, 27. Mai 2014

Kroatien hatin Brüssel zwei Ausnahmen ausgehandelt, für die eine Übergangsfrist gilt. Bis Ende 2017 darf das Land geringere Verbrauchssteuern auf Zigaretten erheben und die kroatischen Fischer dürfen noch bis Juni dieses Jahres Fangnetze verwenden, die in anderen Mitgliedsstaaten verboten sind.
Barbora Drachovská
Übersetzung: Hanna Sedláček

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Mai 2014

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