Erasmus als Tor zur Welt

Foto: © privatFoto: © privat
Das Erasmus-Programm. Für die Teilnehmer bedeutet es nicht nur Spaß, manch einen verändert der Auslandsaufenthalt für immer. Foto: © privat

Neue Freunde, neue Erfahrungen, neue Perspektiven. Der Journalistikstudentin Kateřina Červenková (25) aus Prag öffnete sich das Tür zur Welt, als sie zu einem Studienaufenthalt nach Portugal aufbrach. Möglich gemacht hat es das Erasmus-Programm. Fünf Monate verbrachte Kateřina an der Universidade de Algarve in dem Städtchen Faro. Ihre Erfahrungen hat sie mit uns geteilt.

Warum wolltest du ausgerechnet nach Portugal?

Weil ich seine geheimnisvolle Atmosphäre so anziehend finde. Es liegt am äußersten Rand Europas, durch das weitläufige Spanien vom Rest abgeschnitten. Man weiß nicht, was einen in diesem Land alles erwartet. Ich muss sagen, dass ich angenehm überrascht war. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist Portugal konservativer und traditioneller. Wahrscheinlich ist Portugal wegen der schon erwähnten Abgelegenheit immer noch „es selbst“. Nur Einflüsse der Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien Brasilien oder Angola haben sichtbare Spuren in der portugiesischen Eigenart hinterlassen. Im Vergleich zum benachbarten Spanien sind die Portugiesen überraschenderweise weniger temperamentvoll. Und obwohl sie auch weniger zugänglich sind, sind sie herzlich und versuchen zu helfen, so gut sie nur können.

Du hast dort dank des Erasmus-Programms studiert. Wie war diese Erfahrung für dich ?

Der Aufenthalt in Portugal war für mich eine weit bessere Erfahrung, als ich jemals erwartet hätte. Ich habe tolle Leute kennengelernt, mit denen ich bis heute befreundet bin. Für mich als Weltenbummlerin ist es ein unschätzbarer Vorteil, überall auf der Welt Freunde zu haben, die einen erwarten. Ich bin stolz darauf, dass ich es geschafft habe, mich in einem fremden Land zurechtzufinden und in ihm zu leben. Ich muss zugeben, dass ich fachlich nicht viel dazu gelernt habe. Die Hauptsache ist aber, dass ich, vor Allem in der Kneipe mit meinen brasilianischen Freunden, ein ziemlich passables Portugiesisch gelernt habe.

Foto: © privat
Die Studierenden kommen aus aller Welt, trotzdem gelingt es ihnen Freundschaften für`s Leben zu schließen. (rechts: Kateřina Červenková) Foto: © privat

Hattest du vor dem Auslandsaufenthalt Angst?

Ich bin zwar vor der Abreise schon ein paar Mal im Ausland gewesen, auch außerhalb Europas. Trotzdem hatte ich Bedenken vor dem Leben in einem fremden Land, sei es auch nur so kurz. Reisen und irgendwo richtig zu wohnen ist nämlich etwas komplett Anderes. Vor der Abfahrt war meine größte Sorge, ob ich den Kampf mit der örtlichen Bürokratie überstehen und mich an die dortige Lebensweise gewöhnen würde. Unsicher war ich auch wegen der Sprachbarriere, denn mein Englisch war nur durchschnittlich und mein Portugiesisch minimal. Am meisten Angst hatte ich aber davor, mit Allem allein zurechtzukommen, dass mir keiner helfen würde und meine Freunde nicht da sein würden.

Und sind deine Befürchtungen wahr geworden?

Portugal hat sich als sehr freundliches Land herausgestellt und ich habe mich sehr schnell dort eingelebt. Die Portugiesen können nicht wirklich durch Englischkenntnisse überzeugen. Die Sprachbarriere konnten wir trotzdem durch die Verständigung mit Händen und Füßen überwinden. Das hat mich außerdem dazu motiviert, Portugiesisch zu lernen, wofür ich jetzt sehr dankbar bin. Das Erasmus Programm ist eine tolle Möglichkeit, das Leben im Ausland auszuprobieren und die Art des Studiums hier und in anderen Ländern zu vergleichen. Noch wertvoller war für mich persönlich aber die Erfahrung in einem fremden Land den Alltag zu bewältigen und Studenten aus allen Ecken der Welt kennenzulernen.

Welche Unterschiede gibt es also zwischen dem Studium bei uns und in Portugal?

Im Vergleich zum Studium in Tschechien war es in Portugal wirklich weniger anspruchsvoll. Die Mehrheit der Dozenten konnte kein Englisch und unterrichtete nur auf Portugiesisch. Deshalb war ich von den meisten Unterrichtsstunden befreit und zum Bestehen der Kurse musste ich nur ein paar Seminararbeiten abgeben. Es blieb also viel Zeit um etwas mit den anderen Erasmusstudenten zu unternehmen.

Foto: © privat
So macht man in Portugal tschechische Spezialitäten. Foto: © privat

Und wie sind die portugiesischen Studenten?

Die dortigen Studenten unterscheiden sich nicht so sehr von uns. Meiner Meinung nach haben sie aber durch den Unterrichtsstil einen kleineren Horizont, sie sind bescheidener und nicht so ambitioniert. Die meisten von ihnen arbeiten nicht neben dem Studium. Das überrascht insofern, als das Studium in Portugal gebührenpflichtig ist und die Beträge nicht gerade gering sind. Oft muss sogar die ganze Familie das Studium finanzieren.

Erinnerst du Dich an eine lustige Anekdote aus der Zeit Deines Aufenthalts?

Am liebsten denke ich an das tschechische Abendessen. Im Wohnheim war es Tradition, dass jeder für die Mitbewohner ein traditionelles Abendessen aus seinem Land zubereitet. Meistens waren das kleinere Veranstaltungen. Als ich aber an der Reihe war, habe ich es nicht geschafft, die Anzahl der Mitesser zu beschränken. Ich habe fast alle ausländischen Studenten eingeladen und dann haben sich am Ende 70 Leute zum Abendessen angekündigt. Ich habe also alle anderen Tschechinnen zusammengerufen und mit acht Leuten auf drei Herden knapp 14 Stunden am Stück drei Gänge zusammengebraut- Kartoffelknödel mit Sauerkraut und Schweinefleisch, Kartoffelpuffer und kleine Pfannkuchen mit Marmelade. Und wir haben es geschafft, den letzten Kartoffelpuffer fünf Minuten bevor die Gäste kamen fertig zu braten. Es hat allen hervorragend geschmeckt, auch wenn es zum Essen nur das portugiesische Bier gab.

Der einzige Haken an dem tschechischen Abend war, dass die Polizei ihn ausnahmsweise nicht um Mitternacht beendet hat, was ein Zeichen für eine gelungene Aktion war. Die meisten Abende beendeten nämlich die Polizisten. Einmal kamen sogar die Feuerwehrleute, als auf dem Dach bei den Brasilianern im Grill das Feuer etwas größer war als nötig. Der tschechische Abend hatte den Vorteil, dass unser Wohnheim direkt an eine Polizeistation grenzte, und man sagt ja „man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht“.

Das Interview führte Alžběta Šemrová
Übersetzung: Hanna Sedláček

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Mai 2014
Links zum Thema

Erasmus+

Das europäische Hochschulprogramm Erasmus+ hat zum Ziel, die Mobilität von Studenten der unterschiedlichsten Fachrichtungen und Länder zu fördern. Deswegen wurden die bisherigen Programme wie Comenius, Erasmus, Grundtvig, Leonardo da Vinci, Jugend in Aktion und auch das internationale Hochschulprogramm Erasmus Mundus, Tempus, Alfa, Edulink und das Programm Jean Monnet ersetzt und zusammengelegt. Das neue Programm richtet sich auch an Sportler und bietet eine Garantie für ein Darlehen für ein Hochschulstudium im Ausland. Die Studenten verlassen für ein oder zwei Semester ihre Heimat-Universität und studieren dasselbe oder ein ähnliches Fach an einer ausländsichen Universität.

Es ist erforderlich, sich lange im Voraus anzumelden. Über genaue Termine gibt die heimische Fakultät Auskunft. Für Interessenten gibt es dort auch genaue Informationen über Formalitäten wie die Einreichung eines Lebenslaufes oder den Verlauf des Gesprächs, in dem die Studenten ihre Gründe für den Auflandsaufenthalt darlegen müssen.

Themen auf jádu

Gemischtes Doppel | V4

Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

Heute ist Morgen
Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

Im Auge des Betrachters
… liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

Dazugehören
Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

Themenarchiv
Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...