„Sprüche allein ändern nichts“

Foto: © Ines HerrmannFoto (Ausschnitt): tonal decay,  CC BY 2.0
Dresden Nazifrei: Blockade im Februar 2010, Foto (Ausschnitt): tonal decay, CC BY 2.0

Alljährlich am 13. Februar demonstrieren in Dresden Neonazis. Es ist der Jahrestag der Bombardierung 1945. Das Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“ organisiert seit 2009 unter anderem Gegendemonstrationen. Was es bedeutet, sich für ein antifaschistisches Dresden zu engagieren, erklärt ein Mitglied von „Dresden Nazifrei“, das aus Vorsicht lieber anonym bleiben möchte.

Was hat dich dazu bewogen, dich antifaschistisch und für Dresden Nazifrei zu engagieren?

Ich bin damals zunächst auf die Good-Night-White-Pride-Kampagne gestoßen. Sie richtet sich gegen die Unterwanderung des Hardcore Punk durch Neonazis. Das ließ mich nicht los und ich wollte mich weiter politisch engagieren. Im Erzgebirge gab es damals aber nur die Partei Die Linke. Doch mit Jugendarbeit hatten die nicht viel am Hut. Deshalb startete ich einen Aufruf in der Kreiszeitung, eine Linksjugend [‘solid] Erzgebirge [Die Linksjugend [’solid] ist ein deutscher Jugendverband. Er ist eine anerkannte, parteinahe Jugendorganisation der Partei Die Linke. Anm. d. Red.] zu gründen. So bin ich zum Jugendverband gekommen und habe mich erst lokal engagiert. Dann bin ich eher zufällig auf Bundesebene gewählt worden als Delegierter für Sachsen im Länderrat. Dort hat man mich auf das Bündnisvorhaben hingewiesen, weil ich für ein duales Studium gerade nach Dresden gezogen war. Es hieß, da gäbe es demnächst „was Größeres gegen den Naziaufmarsch“. 2009 gab es dann die „Dresden Calling“ Aktivierungskonferenz, aus der heraus das Bündnis entstanden ist. Das war auch der erste Schritt auf die Dresdner Bürger zu, zusammen etwas gegen die Naziaufmärsche zu tun. Ziel von Dresden Nazifrei ist, dass die Nazis nicht mehr laufen können und sie demoralisiert werden, bis sie irgendwann keinen Bock mehr haben, nach Dresden anzureisen. Schon immer hat daher die Blockade einen großen Stellenwert im Konzept.

Aber Blockaden bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone, oder?

Das Bundesverfassungsgericht räumt hierzu schon ein gewisses Demonstrationsrecht ein. Was aber, wenn man sich zufällig genau dort niederlässt und seinen Protest kundtut, wo gerade eine andere Demonstration lang will? Das ist juristisch noch nicht geklärt. Es sind aber auch schon gerichtliche Verfahren eingestellt worden zum Beispiel gegen prominente Abgeordnete[, die an Blockaden teilgenommen hatten. Ergänzung d. Red.]. Ich denke auch, dass die sächsische Staatsanwaltschaft da versucht, Politik zu machen und antifaschistisches Engagement zu kriminalisieren. 2010 hat die Polizei versucht den Blockadepunkt am Bischofsplatz mit Knüppeln und Tränengas zu räumen und 2011 wollte die Polizei gleich ab morgens die Anreise von Antifaschisten verhindern, damit die Nazis in Ruhe laufen können.

Auch die Internetseite des Bündnisses ist mehrmals offline gegangen.

Ja, die de-Domäne wurde abgeschaltet [Kurz vor der ersten Aktion des Bündnisses sperrte das sächsische Landeskriminalamt die Domäne, Anm. d. Red. ], weil wir angeblich zu Straftaten aufrufen würden. Dabei gab es ja bei der Gründung einen klaren Aktionskonsens. Seit 2010 sind wir unter www.dresden-nazifrei.com zu erreichen.

Ich greife mal dein Stichwort „Kriminalisieren“ auf – wird hier vielleicht dem „Nazifrei“ eine ähnliche Absicht unterstellt, wie dem „Ausländerfrei“ der Nazis?

Rassismus gibt es in der Mitte der Gesellschaft. Und wenn die Nazis dazu auffordern, hat das relativ wenig gemeinsam mit jemandem, der sagt, es soll Solidarität und Frieden geben – und jeder soll dort wohnen, wo er will und nicht diskriminiert werden. „Nazifrei“ – das bedeutet nur, wir nehmen den Nazis den öffentlichen Raum für ihre menschenverachtende Propaganda und ihren Geschichtsrevisionismus.

Dagegen zu sein, ist immer erst einmal einfach. Was denkst du, wie Neonazis zu ihren Überzeugungen gelangen?

Es ist gut möglich, dass sie damit aufgewachsen sind und es aus der Familie „aufgeschnappt“ haben. Das kann am Modell gelernt, abgeguckt aber auch indoktriniert sein. Vielleicht ist auch eine lokale Nazigruppe vor Ort aktiv und macht dadurch anschlussfähig. Gerade, wenn es sonst nicht so viele kulturelle Angebote gibt. In bestimmten Teilen Sachsens wie im Erzgebirge kommen solche Auffassungen wie „Ausländer nehmen Arbeitsplätze weg“ ja auch tatsächlich vor. Und das, obwohl dort vergleichsweise wenig Ausländer leben. Das lässt sich psychologisch allerdings leicht erklären: nur dort, wo Ausländer auch als „fremd“ wahrgenommen werden, tritt Rassismus auf. In Großstädten ist Vielfalt mehr oder weniger Alltag und daher nicht mehr so „fremd“.

Foto: © Ines Herrmann
Wie bekannt und beliebt schätzt du das Bündnis Dresden Nazifrei ein? Foto: © Ines Herrmann

Immer wieder steht wegen der Verfassungswidrigkeit der nationalsozialistischen Forderungen auch zur Debatte, ob man die NPD verbietet.

Warum sollte man sie verbieten? Alles, was man sehen kann, kann man angreifen. Eine Terrorzelle, Kameradschaften, faschistische Untergrundorganisationen oder lose rechtsradikale Netzwerke kann man nicht so einfach angreifen oder Informationen davon bekommen. Bei der NPD weiß man ja wenigstens noch die Namen und die Gesichter.

Hat dieses Links gegen Rechts nicht langsam ausgedient? Gibt es noch andere Kommunikationsformen?

Das ist nicht Aufgabe eines antifaschistischen Bündnisses. Unsere Aufgabe ist es, den Naziaufmarsch am 13. Februar zu verhindern. Oder soll ich sagen: „Hey liebe Nazis, lauft doch mal hier lang! Wollen wir einen Kaffee trinken und diskutieren?“ Da sehe ich vor allem die Gesellschaft selbst in der Verantwortung, alltäglich gegen Faschismus und Rassismus vorzugehen und die menschenverachtenden Dinge auch zu skandalisieren. Das ist wichtig. Jeder einzelne in der Gesellschaft kann Rassismus ächten und sagen: wir wollen eine tolerante, weltoffene Gesellschaft, die den Menschen nicht nach Herkunft, sexueller Orientierung, Hautfarbe et cetera beurteilt, diskriminiert oder Rechte abspricht.

Was denkst du, wie lange wir noch davon sprechen, bevor Worte wie „sexuelle Orientierung“ und „Hautfarbe“ nicht mehr genannt werden müssen?

Es geht wirklich darum, dass sich jeder Mensch individuell fragt: wie verhalte ich mich im Alltag? Und wieso habe ich denn ein mulmiges Gefühl oder eine undefinierbare Angst gegen die Menschen, die die Dönerbude von nebenan führen? Ich habe auch diese Sprüche satt: „Unsere Stadt ist bunt.“ „Diese Stadt hat Nazis satt.“ Das muss einfach auch mal gelebt werden. Von den Sprüchen allein wird sich in der Realität nichts ändern.

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Wie groß ist der Konsens im Bündnis? Foto: © Ines Herrmann

Das Interview führte Ines Herrmann

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
November 2013
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