Mit dem Kinderwagen zur Solidarität

Firma DanielaAlexandra Kíňová (rechts) mit den Kinderwagen für ihre Fünflinge, Foto: © Firma Daniela

Alexandra Kíňová (rechts) mit den Kinderwagen für ihre Fünflinge, Foto: © Firma Daniela

Für ein Zeichen der Solidarität erntete ein Kinderwagenverkäufer neben allgemeiner Anerkennung auch eine ganze Reihe rassistischer Bemerkungen und Drohungen. Dabei spielte es keine Rolle, dass frisch geborenen Fünflingen geholfen wurde. Der Grund für die hasserfüllten Reaktionen: es waren Roma.

Alexandra Kiňová ist 23 Jahre alt. Mit ihrem Freund plante sie nach der Geburt ihres Sohnes Antonio noch ein weiteres Kind. Schließlich erfuhren die werdenden Eltern, dass Alexandra gleich fünf Kinder erwartet. Die Chancen dafür stehen normalerweise bei eins zu 48 Millionen. Die Geburt von Fünflingen ist ein seltenes Ereignis, das das auch bei Medien und Öffentlichkeit Interesse auslöst. Es ist sogar so selten, dass es einen eigenen Wikipedia-Eintrag gibt, in dem die meisten der im 20. Jahrhundert zur Welt gekommenen Fünflinge aufgelistet sind. In der Internet-Enzyklopädie erwähnt zu werden war aber wahrscheinlich das Letzte, worüber Alexandra und Antonín nachdachten, als sie ein Baby planten.

Mütter von Fünflingen haben von Gesetzes wegen einen Anspruch auf höhere staatliche Hilfsleistungen in Form einer Pflegeschwester, die Geburtsbeihilfe gibt es nur für das erste Kind. Als in den Medien die Nachricht über das „Prager Wunder“ (wie es die ausländische Presse nannte) auftauchte, fanden sich viele Menschen, die den Eltern ihre Hilfe anboten. Die „Böhmisch-Mährische Assoziation der Zwillinge und Mehrlinge“ richtete ein Konto ein, auf dem einige zehntausend Kronen zusammenkamen; einige Unternehmen boten weitere materielle Hilfe an.

Dazu gehörte auch die Firma von Daniela Caltová in Kolín. Sie verkauft Kinderwagen. Die Firma ließ einen speziellen Kinderwagen für Fünflinge bauen und schenkte ihn der Familie. Das könnte man als einen wohltätigen Akt bezeichnen, der Anerkennung verdient. Gleichzeitig ist es der Moment, an dem die ganze Geschichte einen Verlauf nahm, der dem Renommee Tschechiens nicht gerade zuträglich war. Die Internet-Diskussionen quollen nämlich über vor rassistischen, romafeindlichen Kommentaren.

Neid und Rassismus

Die Facebook-Seite der Kinderwagenfirma wurde mit Beschimpfungen und Drohungen bombardiert. Die von Xenophobie und Neid geprägten Kommentare hat Daniela Caltová zum größten Teil bereits gelöscht, dennoch stößt man noch auf jene „Empfehlung“ des Users Vašek Atari Chytil. Ein anderer User zitierte nämlich einen vier Jahre alten Artikel über Vierlinge und fragte in empörtem Ton, ob die Firma auch dieser Familie geholfen habe. User Chytil riet ihm daraufhin, sich „mal sonnen zu gehen, um Farbe zu bekommen“. Daniela Caltová betont, dass es niemand gewagt hatte ihr und ihren Mitarbeitern direkt etwas in die Augen zu sagen. „Sie verstecken sich lieber hinter ihren Monitoren. Gleichzeitig bekamen wir aus der ganzen Welt zahlreiche zustimmende Reaktionen.“

Caltová bestätigt, dass die meisten Negativreaktionen in einer ersten Welle nach Bekanntgabe der Information zusammenkamen. Als sich das Unternehmen für das Kinderwagen-Geschenk entschied, spielte die Hautfarbe überhaupt keine Rolle. Es ging um einen ganz einfachen Akt der Solidarität und natürlich auch um die Firmenpolitik, bei der Geschenke an Mehrlinge auch als eine Art Werbung für das Unternehmen fungieren.

Sich freuen, nicht neidisch sein

Wie Daniela Caltová in einer offiziellen Erklärung auf der Internetseite ihres Unternehmens schreibt, gingen die meisten Kommentare in die Richtung „Ich bin auch schwanger, warum bekomme ich kein Kinderwagen umsonst?“ Deshalb erklärt sie, nach welchen Regeln die Firma in solchen Fällen vorgeht: Vierlinge bekommen einen Zwillings-Kinderwagen umsonst, für die beiden anderen Kinder müssen die Eltern noch einen kaufen. Im Falle von Fünflingen bekommt man aber für alle Kinder einen Kinderwagen geschenkt. Für Sechslinge dürfen sich die Eltern überspitzt gesagt, wünschen was immer sie wollen.

In diesem Text, in dem das Unternehmen auf die gehässigen Kommentare und Drohungen reagiert, wundert sich die Eigentümerin, wie es kommt, dass ein einziger Kinderwagen die Menschen so in Rage bringen kann. „Es tut mir Leid, wie viel Hass und Neid in Ihnen ist, anstatt sich zu Hause zu freuen, wenn auch vielleicht nur über ein Kind. Ich denke, dass sich niemand vorstellen kann, was diese Familie erwartet. Und es ist egal, welche Hautfarbe sie hat. Das Medieninteresse wird in ein paar Tagen nachlassen, und dann werden sie das ganze Leben lang alles alleine bewältigen müssen.“

Auch der ehemalige Oberbürgermeister von Liberec, Jan Korytář, hat der Familie seine Solidarität ausgesprochen. Auch er bekam deshalb zahlreiche negative Reaktionen. Sogar die Facebook-Seite seiner politischen Bewegung wurde gehackt. Es dauerte einige Tage, bis das wieder behoben war. Korytář warnt vor dem wachsenden Trend dieser Hassausbrüche: „Die Roma werden dadurch zu Prügelknaben, bei denen ein Teil der Gesellschaft seinen Frust ablädt, und das geht meiner Meinung nach in eine ganz falsche Richtung. Für Korruption und einen schlecht funktionierenden Staat können die Roma nichts.“

Daniela Caltová mit der Mutter Alexandra Kiňová. Foto: © Firma Daniela

Daniela Caltová mit der Mutter Alexandra Kiňová. Foto: © Firma Daniela

Hilfe bleibt bestehen

Trotz des Stresses, den sie sich damit angetan hat, würde Daniela Caltová in einem zukünftigen ähnlichen Fall genauso handeln. Dennoch hat es sie schockiert, welche gewaltigen negativen Energien Menschen wegen eines Kinderwagens entwickeln können, der im Vergleich zu der Menge Geld, die die Familie in den nächsten Jahren für Kleidung und Essen wird ausgeben müssen, ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Die hasserfüllten Angriffe haben sie aber nicht von weiterer Hilfe abgehalten. Im Gegenteil, einmal im Monat trifft sie sich mit der Familie, und sie sprechen sich gegenseitig Mut zu.

Sie denkt jedes Mal daran, wenn sie sie besucht: „Ich staune darüber, wie diese fünf kleinen Wesen die ersten Wochen und Monate erleben. Fünf kleine Zwerge in fünf nebeneinander stehenden Bettchen zu sehen, ist ein großartiger Anblick, aber gleichzeitig schaudert es mich bei dem Gedanken, wie viel Arbeit und Sorgen die ganze Familie dauerhaft erwartet.“ Schließlich können die Hetzer und Autoren der Hass-Drohungen einen kleinen Sieg „feiern“. Ein großer Teil des Geldes, das für die Unterstützung der Fünflinge gesammelt wurde, wird in Fenster-Schutzvorrichtungen investiert, damit die Familie vor möglichen Molotowcocktail-Angriffen durch Neonazis geschützt ist – und es nicht zu einer Tragödie wie vor vier Jahren in Vítkov kommt. Das damals zweijährige Roma-Mädchen Natálka wurde bei einem Anschlag lebensgefährlich verletzt. 80 Prozent ihrer Haut verbrannten.

Klára Bulantová
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
November 2013

    Weitere Beiträge zum Thema

    Ein Aufstieg gegen alle Wahrscheinlichkeit
    Die Geschichte von Nizaqete Bislimi klingt wie ein Hollywoodfilm: Vom mittellosen Flüchtlingskind zur Anwältin für Ausländer- und Asylrecht – nachzulesen in der Biographie Durch die Wand.

    Die Aufarbeitung der Geschichte ist schmerzhaft
    Geschichte interessierte ihn schon von klein auf. Im Lauf der Zeit wand er sich dem 20. Jahrhundert zu, und „Problemen, die immer noch aktuell sind.“ Als Kurator des Museums für Roma-Kultur in Brno engagiert sich Michal Schuster seit 2005 für ein besseres Verständnis zwischen den Roma und der Mehrheitsgesellschaft.

    Lety. Schweinefarm oder Gedenkstätte?
    Wo einst in Lety ein KZ für Roma stand, befindet sich heute eine Schweinefarm. Die Kosten für den Umzug des Betriebes beziffern die Besitzer auf bis zu 37 Millionen Euro.

    Nicht im Abseits bleiben
    Die Leiterin des Museums für Roma-Kultur im Interview über Rechtsextremismus und die aktuelle Situation der Roma in Tschechien.

    Das Geschäft mit der Armut
    Josefov hat ein Wohnungsproblem – zu viele Wohnungen für Menschen, die man nicht will. Dabei sind sie ein Riesengeschäft. Unternehmer haben das „soziale“ Wohnen entdeckt.

    Wehret den Anfängen!
    Die Initiative „Ne Rasismu“ („Nein zu Rassismus“) möchte die Tschechen mobilisieren, die mit Anti-Roma-Hetze und rechtsextremen Tendenzen nicht einverstanden sind.

    Tschechischer Rassismus im Netz
    Rassistische Witze (meistens über Roma) sind leider oft ein Garant für viele Facebook-Likes. Die rassistische Kloake wird vor allem von erfundenen Falschmeldungen bedient.  

    Mit dem Kinderwagen zur Solidarität
    Für ein Zeichen der Solidarität erntete ein Kinderwagenverkäufer rassistische Bemerkungen und Drohungen. Dabei spielte es keine Rolle, dass frisch geborenen Fünflingen geholfen wurde. Der Grund für die hasserfüllten Reaktionen: es waren Roma.

    Mit Geschichten gegen Vorurteile
    Der dreiteilige Dokucomic O přibjehi setzt den Stereotypen über Roma die spannenden Erfahrungen von Keva, Albina und Ferko entgegen – drei Roma, deren Leben unterschiedlicher nicht sein könnten.

    Themen auf jádu

    Gemischtes Doppel | V4

    Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

    Heute ist Morgen
    Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

    Im Auge des Betrachters
    … liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

    Dazugehören
    Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

    Themenarchiv
    Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...