Nazis blockieren

Blokujeme„Verbinden wir uns!“ fordert das Bündnis Blokujeme auf. Foto: © Blokujeme.
„Verbinden wir uns!“ fordert das Bündnis Blokujeme auf. Foto: © Blokujeme.

„Bitte, geht alle in eure Häuser und Wohnungen, damit die euch hier nicht sehen“, ruft ein Mann mit Megafon in den Straßen von Krupka einigen Roma zu. Ringsherum stehen Gruppen von Menschen, deren Blicke hin und her gehen; jeder will den Überblick behalten, was der andere macht. Ganz in der Nähe bereiten sich Rechtsradikale auf einen Marsch gegen „nicht Anpassungsfähige“ vor. Ganz bewusst haben sie sich diesen Feiertag ausgesucht, den 28. September, den Tag der tschechischen Staatlichkeit. Die Menschen in den Straßen weichen ihnen aber nicht aus. Heute wird nämlich blockiert.

Blokujeme („Wir blockieren“) ist ein Zusammenschluss mehrerer Organisationen und Einzelpersonen. Sie verbindet der gemeinsame Wunsch, der um sich greifenden Anti-Roma-Stimmung in der tschechischen Gesellschaft Einhalt zu gebieten. Entstanden ist die Gruppierung im vergangenen Sommer, als die Welle von Anti-Roma-Demos in einigen tschechischen Städten ihren Höhepunkt erreichte. Blokujeme vereint etablierte Initiativen wie Konexe und Romea. Eine offizielle Leitung hat die Organisation aber nicht. Alles basiert auf der Arbeit von Freiwilligen, einige bekanntere Persönlichkeiten sind auch mit von der Partie.

Eine dieser Persönlichkeiten ist Jozef Miker, seinerzeit Kandidat für das Abgeordnetenhaus der Strana rovných příležitostí (Partei der Chancengleichheit – auf einer gemeinsamen Liste mit den tschechischen Grünen). 40 Jahre lang arbeitete er als Bergmann, jetzt versucht er, die Roma zu motivieren, selbst etwas für ein besseres Image und eine bessere Stellung innerhalb der tschechischen Gesellschaft zu kämpfen.

Kunst als Waffe

In Krupka ist er mittlerweile so etwas wie der sichere Anker für die örtlichen Jugendlichen geworden. Sie besuchen ihn, führen Diskussion, suchen bei ihm Rat. „Sobald sie aber mit Drogen zu tun haben oder etwas klauen, ist es vorbei“, erläutert Jozef Miker seine Regeln. Und es funktioniert.

Auch mit Musik und Tanz kann man blockieren. Foto: © Blokujeme.
Auch mit Musik und Tanz kann man blockieren. Foto: © Blokujeme.

„Wenn ich Jožka nicht kennen würde, würde ich wohl nur rumhängen, vielleicht den Drogen verfallen. Er gibt uns Hoffnung, zieht uns aus dem Sumpf“, sagt in einem Video der Rapper Pavel „Nisty“ Nistor von De La Negra, einer Künstlergruppe, die während der Blockaden auftritt. Kunst ist ein Bestandteil der friedlichen Protestkundgebungen gegen die Märsche der Neonazis. Die wiederum rotten sich als „Böhmische Löwen“ oder unter Führung der Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit zusammen, ziehen durch die Straßen, brüllen rassistische Parolen und versuchen, Angst zu verbreiten.

Friedlich gegen Glatzen

Die Mitglieder der beiden radikalen Gruppen sowie der Inhalt und das Niveau ihrer Gedanken sind austauschbar. Auf ihren offiziellen Internetseiten operieren sie mit Begriffen wie „nicht anpassungsfähige Bürger“, wobei klar ist, welche Bevölkerungsgruppe sie meinen. Sollte das einer der Leser dennoch nicht begreifen, so wird mit dem Bild einer Roma-Familie nachgeholfen. Sobald man jedoch auf der Straße marschiert, wird das diplomatische Vokabular gegen aggressive Parolen eingetauscht, von denen es so manchem eiskalt den Rücken hinunterläuft.

22. Juni 2013, Duchcov (Dux). Blokujeme versuchen, Anhängern der rechtsradikalen Arbeiterpartei den Weg zu versperren. Diese treffen in Gruppen ein, alle im bekannten Outfit. Die Männer sind schwarz gekleidet, tragen hohe Stiefel, haben einen ähnlichen Haarschnitt. Hier und da sieht man tschechische Fahnen. Man sieht auch Frauen, auch sie rufen Parolen wie „Lasst uns auf sie los“ oder „Tschechien soll weiß sein“. Der Vorsitzende der Arbeiterpartei, Tomáš Vandas, fordert dann alle auf, man dürfe nicht „vor den Parasiten und Arbeitsscheuen einknicken“, was für zustimmenden Jubel und Geschrei sorgt. Dieser Tag war einer der Höhepunkte der Sommer-Unruhen. Die Protestierenden warfen Steine auf Polizisten, diese antworteten mit Wasserwerfern. Es ist die Gewalt der Gegenseite, die Blokujeme dazu motiviert, genau das Gegenteil zu tun – friedlich, aber stets entschlossen gegen Intoleranz vorzugehen.

Ein Dokument über einen Rentner, der gegen Nazis in Krupka in Nordböhmen kämpft.

Die Plattform wurde gegründet, um sich protestierenden Rechtsextremisten in den Weg zu stellen. Über diese rein reaktiven Kampagnen hinaus ist allerdings geplant, auch öffentliche Diskussionen an Hochschulen zu organisieren. Laut Filip Vidimský möchte Blokujeme den Roma bei ihrer Emanzipation helfen. „Einstweilen wäre es schon ganz gut, wenn Roma ausreichend Selbstbewusstsein erlangen und anfangen würden, sich mehr zu engagieren“, erläutert er die kurzfristigeren Ziele. Roma-Initiativen gebe es in Tschechien zwar, sie seien aber nicht stark genug, meint er. Da der Zusammenschluss Blokujeme ethnisch gemischt ist, kann er sowohl in Richtung Roma-Gemeinschaft als auch Mehrheitsgesellschaft Brücken bauen.

Obwohl die zusammengeschlossenen Organisationen und Mitglieder über viel Erfahrung verfügen, hat Blokujeme Probleme: Es fehlt an finanziellen Mitteln, und auch in den Medien ist man zu wenig präsent. Vorerst stammen die Investitionen aus eigenen Rücklagen; das gilt sowohl für die Finanzen als auch für die Zeit. Auf dem öffentlich einsehbaren Kontoauszug kann man sehen, dass die höchste Spende (und auch die einzige, die mehr als 400 Euro betrug), nicht aus Tschechien, sondern aus Deutschland stammt.

Dennoch – dass es gelungen ist, für die Gegendemo auch ortsansässige „weiße“ Tschechen zu gewinnen, betrachten die Organisatoren als Erfolg. „Als sich dann aber weitere Einwohner den Neonazis anschlossen, waren wir in der Unterzahl, allerdings bestand unser Hauptziel nie darin, die Gegenseite zahlenmäßig zu übertrumpfen. Es ist gelungen, den Stressfaktor der hiesigen Roma zu senken, und wir haben ihnen gezeigt, dass sie nicht alleine sind“, benennt Filip Vidimský die bisher erreichten Ziele.

Eine Reportage über einen Nazimarsch in Duchcov in Nordböhmen.

Gleichzeitig ist es aber nicht gelungen, auch in den Medien präsent zu sein, um zu zeigen, dass nicht alle „Weißen“ gegen „Schwarze“ sind und dass man gemeinsam an einem Ort ohne Probleme zusammenleben kann. Je mehr es gelingt, Vertrauen und Verständnis zwischen diesen beiden Gruppen aufzubauen, umso schwieriger wird es für alle möglichen Extremisten, denen es darum geht, Stimmung gegen Roma zu machen.

Klára Bulantová
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
November 2013
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