Verschwundene Schiffe statt versetzter Berge

Foto: © Sebastian Bartoschek

Wie Verschwörungsglaube der Orientierung dient

Foto: NOAA's National Ocean Service, CC BY-SA 2.0
Die bekannteste Legende ist die vom Bermuda-Dreieck, jenem Seegebiet im Atlantik, wo angeblich überzufällig oft Schiffe und Flugzeuge auf ungeklärte Weise verschwinden. Foto: NOAA's National Ocean Service, CC BY-SA 2.0

Wer sich mit Verschwörungstheorien auseinandersetzt, der kann bei Adam und Eva anfangen – und das ist gar nicht redensartlich gemeint: Eine der ältesten dieser Geschichten, jene von den angeblich das Weltgeschehen kontrollierenden Illuminaten, setzt beim ersten biblischen Menschenpaar an. Erzählungen von möglichen Verschwörungen gibt es seit Jahrtausenden. Und sie erreichen seit jeher Menschen, die fest daran glauben. Warum eigentlich?

Für Sebastian Bartoschek ist Verschwörungsglaube ein Alltagsphänomen, das „stabil in der Mitte der Gesellschaft“ verankert ist. Der Psychologe hat in seiner Promotion zwei Teilbereiche von Verschwörungstheorien untersucht: die Bekanntheit verschiedener Theorien und inwieweit Menschen diesen Theorien zustimmen. Die bekannteste unter 1800 Befragten ist die vom Bermuda-Dreieck, jenem Seegebiet im Atlantik, wo überzufällig oft Schiffe und Flugzeuge auf ungeklärte Weise verschwänden. Die größte Zustimmung erhielt die „Irak-Öl-Theorie“: Danach seien die USA 2003 allein wegen des Ölvorkommens in den Irak einmarschiert.

Strukturen finden, wo keine sind

Foto: © Sebastian Bartoschek Obwohl gerade letztgenannte Theorie auch in deutschen Medien häufig Eingang fand, bewertet Bartoschek ihre journalistische Arbeit in Bezug auf Verschwörungstheorien positiv: „In Deutschland gehen die Medien sehr kritisch damit um – anders als im angelsächsischen Bereich. Dort wird häufig lieber mit Fragezeichen gearbeitet, statt alles als kompletten Blödsinn zu verkaufen.“ Wenn Radio, Presse und Fernsehen in Deutschland also kaum Anteil an der erfolgreichen Verbreitung von Verschwörungstheorien haben, wie ist ihr häufiges Auftreten dann zu erklären?

Bartoschek versucht es so: „Verschwörungsglaube ist eine besondere Form des Findens von Strukturen, nämlich da, wo keine ist“, sagt der Psychologe, Der Mensch braucht Einordnungen und Erklärungen, um Ereignisse zu verstehen und zu verarbeiten. Etwa so, wie er andere Menschen zu seiner eigenen Sicherheit und Orientierung in Schubladen steckt, führen irrationale Überzeugungsmuster dazu, an eine Ermordung von Lady Di zu glauben, an Alien-Landungen oder daran, dass Elvis 1977 nicht gestorben, sondern einfach nur untergetaucht ist. Verschwörungstheorien vereinfachen, sie verwandeln komplexe Zusammenhänge in übersichtliche Deutungsmodelle.

Auch deshalb werden Verschwörungstheorien häufig abgewertet – zu Unrecht, wie Bartoschek findet. Seiner Meinung nach ist die Beschäftigung mit ihnen an sich schon etwas Gutes: „Die Menschen fangen an, nachzudenken und nachzufragen.“ Somit führten sie bei vielen zu einer Erweiterung des Blickfeldes, „nur bei Wenigen kommt es dann wieder zur Verengung“. Diese Personen klammern sich total an die Erklärung einer Theorie und blenden rationale Gegenargumente aus.

Ein Spiegelbild der Gesellschaft

Der Tod prominenter Persönlichkeiten ist nach Bartoscheks Beobachtungen ein zeitloses Phänomen in Bezug auf Verschwörungstheorien. Ein aktuelles Beispiel ist Whitney Houston, um deren Tod sich viele Gerüchte ranken, zum Beispiel, dass sie nicht gestorben, sondern ermordet worden sei. Selbst die gerichtsmedizinischen Untersuchungen, wonach die Sängerin in der Badewanne ertrunken ist, vermochten die Mord-These nicht zu stoppen. Aus einem einfach Grund: „Viele Menschen können sich keinen trivialen Schlusspunkt vorstellen“, sagt der Forscher. Im Falle Houstons mit dem Resultat, dass trotz ihrer bekannten Alkohol- und Drogensucht selbst Journalisten seriöser Medien wie CNN nach ihrem plötzlichen Tod vor laufender Kamera fragten: „Wer hat sie ausrutschen lassen, sie geschubst oder sie sogar unter Wasser gedrückt?“

Foto (Ausschnitt): Egghead06, CC BY 3.0

„Wer hat sie ausrutschen lassen, sie geschubst oder sie sogar unter Wasser gedrückt?“ Foto (Ausschnitt): Egghead06, CC BY 3.0

Für Bartoschek sind Verschwörungstheorien ein Spiegelbild der Gesellschaft. So hat sich seit Beginn der Finanzkrise eine Vielzahl von Geschichten rund um Verschwörungen im Wirtschaftssektor entwickelt habe. Beschleunigt wird ihre Verbreitung durch das Internet, da man dort leicht auf Gleichgesinnte trifft. In der Fachsprache der Psychologen heißt das dann „Selbstisolation bei virtueller Gruppenfindung“.

Mithilfe seiner Studie hat Bartoschek herausgefunden, welche Personen besonders „anfällig“ für Verschwörungstheorien sind: eher jüngere Menschen mit extremistischen Ansichten, einem geringen Bildungsstand sowie einem Hang zur Gläubigkeit, unabhängig von einer Kirchenzugehörigkeit. Außerdem: Männer kennen zwar mehr Theorien, doch Frauen glauben eher an sie. Und wie steht es um den Wissenschaftler selbst? Seine liebste Theorie: Robert F. Kennedy sei 1968 nicht nur von einem, sondern von mehreren Attentätern ermordet worden. Das glaubt auch Bartoschek.

Matthias Mischo

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juni 2012

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