Urban spirits – jenseits der säkularen Stadt

Das Kultur- und Forschungsprojekt Global Prayers untersucht den Boom des Religiösen in den Metropolen der Welt.

Zwei coole junge Männer in karierten Hemden, ein Mädchen, eine Gitarre auf einer improvisierten Bühne – soweit nichts Besonderes. Doch es sind dann doch etwas andere Liebeslieder, die der kleine Chor da vorträgt: „Deine Liebe ist stärker als der Tod“, singen die drei voller Inbrunst „Jesus, ich kann ohne dich nicht sein“. Der Applaus fällt in der Ausstellungshalle des Haus der Kulturen der Welt (HKW) eher spärlich aus. Die Band der Every-Nation-Kirche war von den Künstlerinnen Dorothea Nold und Magdalena Kallenberger zu dem „Global Prayers“-Kongress Ende Februar 2012 eingeladen worden. Normalerweise zelebriert Every Nation seine Gottesdienste in Wohnungen im Prenzlauer Berg oder Friedrichshain. Erst seit zwei Jahren wirbt die in den 1990er-Jahren gegründete globale Kirche, die schon in 60 Länder expandiert ist, auch in Berlin für die Kontaktaufnahme mit dem heiligen Geist. Die Stadt galt lange als eine der glaubensfernsten Metropolen der Welt – und ist gerade deshalb eine Herausforderung für moderne Missionare.

Wiedererstarken der Religionen

Dorothea Nold und Magdalena Kallenberger: „Raumtausch“, Videostill

Einen Sommer lang hatten sich Kallenberger und Nold hier nach dem Wirken des neuen urbanen Christentums umgeschaut. Abseits der öffentlichen Erregung um islamische Parallelgesellschaften, haben sich Dutzende evangelikaler Freikirchen, meist in jugendkulturellem Outfit, in den Milieus der Kreativen Klasse eingenistet. Sie bauen keine neuen Tempel, sondern nutzen existierende Orte städtischen Lebens – einen Club, ein Café oder auch ein Kino. Mit nur minimalen Eingriffen ins Dekor, ein Aufsteller vor der Tür oder ein goldenes Kreuz an der Wand, wird aus einem Szenetreff für ein paar Stunden ein Andachtsraum. „Wir sollen vermeiden, dass das Andere, das Sakrale, soweit vom normalen Leben wegrückt“, sagt einer der Pastoren des Berlinprojekts, das zweimal wöchentlich im Berliner Programmkino Babylon Gottesdienste abhält.

Lagos, Redemption Camp, Foto: Magdalena Kallenberger, Dorothea Nold

Das kleine Berlin ist nur eine Station des internationalen Forschungsprojekts „Global Prayers – Redemption and Liberation in the City“. Untersucht wird die weltweite Expansion eines „neugeborenen“ Christentums besonders in den Megastädten des globalen Südens. In Lagos bauen Megachurches gigantische Gebetshallen, in Rio de Janeiro konvertieren alte Kinos oder Fabrikhallen zu Tempeln der Pfingstkirchen. Doch auch Islam und Hinduismus nehmen in Megametropolen wie Djakarta, Istanbul, London oder Mumbai immer neue Gestalten an. Jede dieser untersuchten Städte ist wiederum Knotenpunkt in einem transnationalen Netz: Diaspora und Arbeitsmigration ist ohne die Kirchen, die so etwas wie Zugehörigkeit in der Fremde schaffen, kaum denkbar. Allein in Berlin soll es heute rund 70 afrikanische Kirchgemeinden geben.

Neue hybride Religiositäten

Lagos, Redemption Camp, Foto: Sabine Bitter / Helmut Weber

Kernthese des Projekts, das vom Berliner Stadtforschungsbüro metroZones initiiert wurde, ist, dass Stadt und Religion sich gegenseitig durchdringen: dass also nicht nur religiöse Akteure den urbanen Raum sakralisieren, sondern auch das Städtische neue hybride Religiösitäten hervorbringe – zudem oft geprägt durch globalisierte Pop- und Jugendkultur, wie bei den christlichen Hiphoppern aus Lagos oder dem Jesus-Funk aus den Favelas.

Ziel ist zunächst das Heranzoomen der Phänomene, fern von Dämonisierung und Exotisierung. „Das erinnert mich an unsere Kirchentage“, meinte eine Besucherin des HKW beim Anblick der nigerianischen Gebetstempel mit den Tausenden von Monoblocs, deren serielle Ikea-Ästhetik das Künstlerduo Bitter/Weber hervorgehoben hat. Solche ästhetischen Querkopplungen ergeben sich nur, wenn nicht nur Landes- sondern auch Fächergrenzen überschritten werden: So arbeiten in dem internationalen Netzwerk Ethnografinnen und Videokünstler, Kulturwissenschaftler und Fotografinnen. Dabei werden neue Formate und Methoden erprobt, Workshops und Roundtables, das Buch Urban Prayers, die Ausstellung The Urban Cultures of Global Prayers und zuletzt das „Kongress-Festival“ im HKW.

Die Grenzen zwischen Säkularem und Sakralem

Dorothea Nold und Magdalena Kallenberger: „Raumtausch“, Videostill. Foto: Jens Wenkel

Erste Ergebnisse dieses transdisziplinären Work in Progress fördern vor allem Ambivalenzen zutage. Religiöse Zugehörigkeit, soviel ist klar, wird heute nicht mehr zwangsläufig durch Tradition oder familiäre Bande bestimmt, sondern ist Produkt einer Konsumentscheidung in einem breitgefächerten religiösen Markt. Doch ob hier eher Lifestyle und Alltagsbewältigung, spirituelle Sinnsuche oder ethische Werte den Ausschlag geben, ist nicht eindeutig zu beantworten. Auch was Religiosität mit Recht auf die Stadt zu tun haben könnte, ist umstritten. Nezar AlSayyad aus Kairo warnt vor der „fundamentalistischen Stadt“, in der neue Dresscodes und Körperpolitiken kosmopolitisches Leben ersticken. Andere Autoren wie Abdumaliq Simone betonen hingegen eher das Recht auf religiöse und kulturelle Differenz, die erst das „Wunder“ der urbanen Koexistenz von Verschiedenen begründe.

Als leibhaftigen Beleg dafür, dass das Religiöse nicht notwendig fester Tempel bedarf, sondern vor allem von Community lebe, hatten Nold und Kallenberger die globalen Christen zum „Raumtausch“ ins Haus der Kulturen der Welt geladen. Diese wiederum hatten, um das Eis zu brechen, den skeptischen Kongressbesuchern ein Buffet mit Nudelsalat, Keksen und Gummibären vor die Bühne gestellt. Doch das Fremdeln blieb. Ganz so fließend, wie von vielen Forschern festgestellt – oder befürchtet – sind die Grenzen zwischen Säkularem und Sakralem dann doch noch nicht geworden. Eine Ausstellungshalle jedenfalls lässt sich nicht ohne Weiteres evangelisieren.

Urban Prayers wurde unter anderem vom Goethe-Institut koproduziert.
Anne Huffschmid
lebt als Kulturwissenschaftlerin und Autorin in Berlin.
Sie forscht, lehrt und publiziert zu Diskursanalyse und Visualität, Stadt und Erinnerungskulturen, mit Schwerpunkt Lateinamerika. Sie ist Gründungsmitglied des Projektbüros metroZones.

Copyright: Goethe-Institut e. V., Internet-Redaktion
April 2012

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