Auf der Suche nach dem Sinn
Vielen Menschen wird die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion praktisch in die Wiege gelegt. Einstellung und Kulturkreis der Eltern spielen dabei oft eine tragende Rolle. Manche verbleiben ein Leben lang in ein- und derselben Religion, andere entdecken den Atheismus für sich und in Deutschland treten viele aus steuerlichen Gründen zwar aus der Kirche aus, bleiben dem Glauben aber dennoch treu.
Christian (29), Soziologie-Student aus Hamburg, wählte einen etwas komplizierteren Weg: Für ihn bedeutet Religion nicht zwingend die Zugehörigkeit zu einer Konfession. Er hat auf der Suche nach einem tieferen Sinn viele Religionen erforscht. Heute bezeichnet er sich gern als „panentheistischer (Ur)christ mit hermetischer Philosophie“ und ist außerdem Mitglied bei den Freimaurern und den Rosenkreuzern.
Christian, du scheinst ein recht kritischer Betrachter von Religion zu sein. Wie genau sah dein Werdegang aus?
Ich bin evangelisch getauft und nach wie vor Mitglied dieser Kirche, obwohl sich mein Weltbild über die bloße Doktrin und Kirchenlehre hinaus entwickelt hat. Die ursprüngliche, urchristliche Idee begeistert mich immer noch, auch wenn die Kirche als Institution sich meiner Meinung nach davon weit entfernt hat. Religion bedeutet für mich die Suche nach dem Sinn und ich trenne eigentlich nicht zwischen Spiritualität und Religion. Ich möchte aber über das bloße Wiederkauen kirchlicher Dogmen hinausgehen und eigene Antworten finden. Meine Eltern haben mich da sehr offen erzogen. Vor allem mein Vater nahm sich viel Zeit, gemeinsam mit mir zu philosophieren. Mit 13 oder 14 las ich mich dann bei Kant ein und hab die Bücher meiner Eltern zu „okkulteren“ oder „spirituellen“ Themen durchstöbert.
Das Ergebnis ist ein „panentheistischer (Ur-)Christ mit hermetischer Philosophie“. Was genau muss man sich darunter vorstellen?
Wenn ich das sage, werde ich erst mal mit großen Augen angesehen, mit der unausgesprochenen Hoffnung, ich würde das entweder näher ausführen, oder die Klappe halten. (lacht) Aber dröseln wir das mal auf: Panentheismus ist eine Gottesdefinition. Demnach ist Gott kein Mann mit Rauschebart, sondern das allumfassende Bewusstsein allen Seins: Alles, was existiert, ist -vereinfacht gesagt- ein Teil Gottes. Allerdings ist Gott mehr als nur die Summe alles Materiellen. Beim Urchristentum wird es schon schwieriger: Die Kirche hat viele ursprüngliche Aspekte gestrichen, zum Beispiel ein weibliches göttliches Prinzip oder Reinkarnation. Das zu rekonstruieren ist nicht einfach. Aber das Christentum der Kirche ist lange nicht mehr das Christentum Jesu. Und Hermetik ist die Lehre und Philosophie, die der Freimaurerei zugrunde lag und den Rosenkreuzern noch immer zugrunde liegt.
Freimaurer sind für viele geheimnisumwittert und manchen auch nicht ganz geheuer. Kurz gesagt: Die meisten Menschen wissen kaum etwas über sie. Was macht ihr Weltbild und ihr Denken aus?
Das heutige, reformierte Freimaurertum hat nur noch wenig mit der ursprünglichen Lehre zu tun. Einzig die mystische Symbolik besteht weiter. Der Glaube an eine „Höhere Macht“ ist Beitrittsvoraussetzung. Ansonsten stehen Religion und Politik bei den Zusammenkünften aber gar nicht zur Debatte. Die Motive orientieren sich eher an den Tugenden und daran, dem Leben dadurch Sinn zu geben, dass man nach Höherem strebt, für sich selbst und Andere. Streng genommen bedeutet Freimaurerei für jedes Ordensmitglied etwas anderes.
Freimaurerei ist für viele Nichtmitglieder mit geheimen Ritualen und Erkennungszeichen verbunden. Was ist dran am Klischee?
Die Rituale existieren noch, aber ihre Bedeutung ist mehr oder weniger verschwunden. Es gibt auch gewisse Zeichen innerhalb der Rituale, aber keinen geheimen Handschlag oder so etwas. Die einzige Chance, wie sich Freimaurer auf der Straße erkennen könnten ist, wenn sie beide derselben Loge angehören und sich dementsprechend persönlich kennen. So geheimnisvoll ist das alles gar nicht.
Viele Freimaurerorden sind immer noch reine Männerdomäne, oder?
Das stimmt, aber nur zum Teil. Inzwischen gibt es durchaus auch gemischte und reine Frauenorden. Trotzdem ist die Dominanz der Männer eines der Dinge, die mich an den Freimaurern am meisten enttäuschen: Es widerspricht nicht nur meinem persönlichen Weltbild, sondern nach meinem Dafürhalten auch dem Grundgedanken der Freimaurerei hinsichtlich Idealismus und Toleranz.
Du bist ja zusätzlich Rosenkreuzer. Wieso hast du auch denen angeschlossen?
Zum einen weil sich vieles mit dem deckte, was ich auf meiner eigenen Suche nach Antworten gefunden hatte, zum anderen weil die Freimaurer oft sehr weltlich orientiert sind. Das Rosenkreuzertum hingegen symbolisiert für mich die Suche und gibt zugleich Antworten. Es erlaubt einem, Dinge und Ideen zu erforschen, die in einer zunehmend seelisch verarmten Welt nicht mehr viele beschäftigen.
Copyright: Goethe-Institut Prag
Juni 2012