„Die Kirche ist jung“

privat
Nachdenkender St. Michael auf dem Ökumenischen Tag 2010 in München, Foto (Ausschnitt): digital cat CC BY 2.0

Die Kirche ist jung. Zumindest wenn man sich an die Amtseinführung von Papst Benedikt XVI. vor hundertausenden applaudierenden Pilgern erinnert, scheint der Satz wahr zu sein: Die Kirche ist jung. Besucht man jedoch den Gottesdienst am Sonntagmorgen, sieht es um den jugendlichen Kirchgängernachwuchs schlecht bestellt aus.

Die Kirche braucht jugendlichen Input, das ist klar. Doch worin liegt für junge Menschen der Reiz der katholischen Kirche? Was kann sie dem potentiellen Nachwuchs noch bieten? Welche Reformen sind Jugendlichen wichtig? Das wollten wir in der bayerischen Großstadt Regensburg herausfinden, wo das Konterfei des Papstes allgegenwärtig ist: auf Postkarten, Kalendern und sonstigen Souvenirs. An der Universität Regensburg war der Papst - damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Joseph Ratzinger – nämlich jahrelang Theologieprofessor.

FeliFeli: Das Festhalten an Werten und Traditionen in einer schnelllebigen Welt, sei für junge Christen der Grund sich an der katholischen Kirche zu orientieren, meint der 27-jährige Jurastudent Feli. Insgesamt sei es für Jugendliche aber schwer, der Lehre der katholischen Kirche zu folgen. „Gerade die stark verkrusteten Strukturen wirken wohl für junge Menschen eher abschreckend.“ Positiv finde er aber die ökumenischen internationalen Kirchentage. „Papst Johannes Paul II hat viel für die Völkerverständigung und die Jugend getan. Davon kann auch der jetzige Papst Benedikt noch zehren. Außerdem sind Menschen einfach so strukturiert, dass sie gerne einer moralischen Führungsperson folgen“, erklärt er die Massenaufläufe bei Papstauftritten. „Ich würde die katholische Kirche moderner und stylischer gestalten ohne alle Traditionen abzuschaffen.“

MiriamMiriam: „Ich denke der Reiz der katholischen Kirche liegt darin, eine Gruppe zu sein, die etwas verbindet“, meint Miriam, eine Regensburger Lehramtsstudentin. Gottesdienste, die jugendlich gestaltet sind, gefallen ihr: „Die Musik ist besser, die Texte jünger und die Atmosphäre einfach entspannter.“ Gerade durch das Treffen mit gleichaltrigen Jugendliche könnten sich auch heute junge Menschen mit der katholischen Kirche identifizieren. „Aufheben würde ich aber die Unterschiede innerhalb der Glaubensrichtungen, denn Gott bleibt Gott“ Auch kritisiert sie die hierarchische Struktur der katholischen Kirche: „Ich würde mehrere Instanzen einbauen und den Papst nicht als einzig großen Chef präsentieren. Es wäre auch gut, wenn es jüngere Leute gäbe, die das ‚Sagen’ haben.“ Daneben wünscht sich Miriam eine breitere Aufklärung über den Glauben: „Zum Beispiel wäre es wünschenswert, wenn der Glauben nicht einfach als konservativ und altmodisch abgestempelt wird.“

SonjaSonja: Die Faszination an der katholischen Kirche sieht Sonja in der Erfahrung gemeinsam den Glauben zu leben. „Es ist beispielsweise toll gemeinsam Gottesdienst vorzubereiten und mitzugestalten.“ Die Kirche biete die Möglichkeit einer Gemeinschaft beizutreten, in der man nie alleine sei. „Ich würde den katholischen Priestern das Heiraten erlauben“, betont die 27-jährige, die viele Jahre in der katholischen Landjugend aktiv war. Auch streng konservative Strömungen wie die Pius-Brüder kritisiert sie: „Das kann ich einfach nicht gut heißen.“ Die Begeisterung für den Papst kann Sonja nachvollziehen: „Der Papst ist eine große Persönlichkeit und wenn man ihn sieht oder gesehen hat, fühlt man sich einfach stärker im Glauben und mit Gott verbunden.“

TheresaTheresa: Die 20jährige Theresa glaubt, das Wertesystem der katholischen Kirche könne gerade Jugendliche in Sinnkrisen auffangen. „Es ist Aufgabe jedes Einzelnen, sich über die Werte der Gesellschaft Gedanken zu machen.“ Theresa, die gerade einen freiwilligen einjährigen Dienst in Zusammenarbeit mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend in Tansania leistet, fordert, einen stärker individuellen Glauben zu entwickeln. „Eine persönliche Form des Glaubens ermöglicht es gerade auch jungen Menschen sich mit der Kirche zu identifizieren.“ Außerdem würde Theresa das Zölibat aufheben und Frauen den Zugang zum Priesterberuf ermöglichen. „Die gesellschaftliche Entwicklung des letzten Jahrhunderts hat die persönliche Freiheit und Individualität des Menschen in den Mittelpunkt gerückt und daran muss sich die Kirche anpassen.“

JohannesJohannes: „Kirche ist ja nicht nur der Gottesdienst, sondern geschieht auch in der Gesellschaft, wenn sich Menschen treffen und zusammen ein Bier trinken oder Eis essen“, so der 20jährige Johannes, der viele Jahre in der Kirche als Ministrant diente. „Glaube ist für mich weit mehr als lediglich der Besuch im Gottesdienst“ Traurig findet Johannes, dass sich viele Jugendliche nicht mehr trauen zu ihrem Glauben zu stehen. „Meiner Meinung nach aber ist es schlimmer zu sagen, dass man an nichts glaubt, denn wo liegt dann der Sinn des Lebens?“ Man müsse nicht alle Aspekten der Kirche kennen oder akzeptieren, aber mit dem Grundgedanken sollte man schon konform sein, findet Johannes. „Die Kirche braucht Personen, die aufgeschlossen für Veränderungen sind, sonst wird sie immer ihrer Zeit hinterherhinken und schließlich untergehen“, glaubt Johannes, der deshalb ein Höchstalter von 70 Jahren für den Papst einführen würde.

AnjaAnja: Für Anja, Studentin der Medienwissenschaften, ist es schwer nachzuvollziehen, wie junge und weltoffene Menschen sich mit den konservativen Einstellungen der Kirche identifizieren sollen. „Ich könnte mir vorstellen, dass die katholische Kirche aber ein Gefühl von Gemeinschaft gibt, das in Gruppen wie dem Kirchenchor oder anderen Engagements begründet liegt.“ Auch die Begeisterung für den Papst versteht die 23-jährige nicht: „In meinen Augen sind nur ältere Menschen wirklich und ernsthaft am Papst interessiert.“ Dringenden Reformbedarf sieht Anja in den Regelungen, die das Zölibat betreffen. „Ich würde Ordensleuten und Priestern erlauben zu heiraten und eine Familie zu gründen. Das würde vielleicht auch so manchen Missbrauch verhindern.“

KatharinaKatharina: Die 27-jährige Katharina ist der Ansicht, dass der Glaube Halt und Kraft geben kann: „Gerade in schweren Situationen ist der Glaube für viele Menschen eine Stütze. Die katholische Kirche muss sich aber den Veränderungen der Gesellschaft anpassen und sich von den traditionellen Werten lösen, die nicht mehr zeitgemäß sind.“ Zwar hat sie zu Themen wie Homosexualität und Sterbehilfe eine andere Meinung als der Papst. Sie findet Benedikt XVI. aber als Person interessant: „Es ist beeindruckend, dass er so viele Sprachen spricht und diese dazu noch als 85-jähriger praktizieren kann. Auch dass er sich für den Glauben aktiv einsetzt und deshalb mit anderen Menschen das Gespräch sucht, ist bemerkenswert.“

Frater Johannes BoscoFrater Johannes Bosco: Frater Johannes, der im Kloster Speinshart im Orden der Prämonstratenser wohnt und in Regensburg Theologie studiert, will seinen Glauben authentisch leben und sich nicht verstellen, um anderen Menschen seine Überzeugung näher zu bringen. Wichtig ist für den 27jährigen Frater, den Jugendlichen nicht mit Lehrmeinungen gegenüber zu treten, sondern offen mit ihnen über den Glauben zu sprechen: „Wir Ordensleute genießen es, mit jungen Menschen zu feiern, ein Bier zu trinken oder mit ins Kino zu fahren.“ Er will die Jugendlichen nicht mit speziellen Angeboten in die Kirche locken: „Vielmehr wollen wir mit Offenheit überzeugen, dass die Kirche nicht alt und verstaubt ist. Ich denke, wenn gerade die junge Generation der Ordensleute und Priester dies so vorlebt, kann die Kirche trotz manch konservativer Einstellung auf ihre Jugendlichen hoffen und vertrauen.“


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Juni 2012

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