„Ohne Humor kannst du dir gleich in den Kopf schießen“

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„Das Leben ist scheiße,“ sagt der Facebook-Aktivist Jaroslav Cerman (24). Den Spaß will er sich davon nicht verderben lassen: „Tschechien ist so witzig, dass man dort fast nicht leben kann.“ Foto: © privat
Jaroslav Cerman, Foto: © privat

Der 24-jährige Spaßvogel Jaroslav Cerman steht in Verbindung zur ursprünglich satirischen und mittlerweile politischen Gruppierung Žít Brno. Cerman erfreut sich im tschechischen Internet wachsender Beliebtheit – vor allem auf Facebook.

Auf Facebook postet Jaroslav Cerman etwa lustige Geschichten aus der Kindheit oder sabotiert Gruppen wie zum Beispiel die Freunde Russlands in der Tschechischen Republik, hinter der Jurist und frühere Politiker Jiří Vyvadil steht. Dieser hatte Jaroslav Cerman im März 2015 aus Naivität zum Administrator der Facebook-Gruppe Neprojdou (etwa: Sie fahren nicht durch) gemacht, die den Protest gegen die Fahrt eines US-amerikanischen Militärkonvois durch das Gebiet Tschechiens koordinieren sollte. Jaroslav stiftete Verwirrung durch das Posten von Witzen und spöttischen Beiträgen, was in der Folge zur Zersetzung der Gruppe führte.

Sämtliche Aktivitäten Jaroslavs zeichnen sich durch Schwarzen Humor, Satire und Selbstironie aus. Sein Ziel ist es auf ein Problem hinzuweisen und es gnadenlos ins Lächerliche zu ziehen.

Jaroslav, erinnerst du dich an das Jahr, in dem du dein Facebook-Profil angelegt hast? Welchen Eindruck machte das Netzwerk damals auf dich?

Ich glaube das war 2008, vielleicht auch schon 2007. Mir kam das vor wie totaler Quatsch, denn damals waren gerade andere Dinge angesagt, wie zum Beispiel ICQ, StudiVZ und so. Aber dann meldeten sich weitere Leute aus meinem Umfeld bei Facebook an, und es begann Spaß zu machen. Nach etwa einem Jahr stellte ich fest, dass dort auch andere Dinge geteilt wurden, als wer was zu Mittag hatte, und das waren in erster Linie Witze. Erst um das Jahr 2012, als ich auf der Uni war, entdeckte ich ein Netzwerk von Menschen, die mehr oder weniger öffentlich bekannt und witzig sind. Also begannen wir alle Witze zu schreiben über das Leben und über Dinge, die uns passiert sind. Der Humor nahm die Form von Kommentaren zum gesellschaftlichen Geschehen an.

Quelle: Screenshot des Facebook-Profils von Jaroslav Cerman
„Die Ankündigung von Tomáš Klus [Tschechischer Sänger und Schauspieler] mit dem Singen aufzuhören, ist wie, als das Ende des Zweiten Weltkriegs bekannt gegeben wurde. Alle waren erleichtert, aber der Schaden war schon angerichtet, und die Wunden werden niemals vollständig verheilen.“ Quelle: Screenshot des Facebook-Profils von Jaroslav Cerman

Wie hat sich über die Jahre hinweg die Form deiner Facebook-Beiträge geändert?

Stark. Früher habe ich einen sehr, sehr, sehr schwarzen Humr verwendet. Wir haben zum Beispiel die Seite Vereinigung der gefühlslosen, zynischen und bösen Individuen gegründet. Das hatte keinen höheren Sinn, wir haben uns einfach über abscheuliche und grausame Dinge lustig gemacht. Bloß ist das zu wenig. Erstens ist das nicht besonders interessant, und zweitens tritt man damit manchen sehr zu nahe. Je älter man wird, desto weniger witzig kommen einem manche Dinge vor. Die Grenze wa für mich erreicht, als ich bemerkte, dass jemand ein Video geteilt hatte, in dem irgendwelche Leute einen einen Hund anzünden, und das dann witzig fanden. Nein, das ist nicht witzig! Wenn es in einem bestimmten Kontext gezeigt wird, oder ein Kommentar dazu steht, dann kann der witzig sein, aber Gewalt an sich ist nicht witzig. Wir haben dann aufgehört damit, denn wir wollten nicht in einen Topf geworfen werden mit Leuten, für die Gewalt oder Rassismus ein Spaß ist. Der Humor ist also allmählich sanfter geworden. Er ist immer noch scharf, aber der Zugang ist nicht mehr so explizit. Viel besser als „Haha, da brennt einer“ ist es, im Rahmen einer Gesellschaftskritik auf das Problem hinzuweisen.

Quelle: Screenshot des Facebook-Profils von Jaroslav Cerman
Übersetzung, Quelle: Screenshot des Facebook-Profils von Jaroslav Cerman

Wenn du von deinen Aktivitäten auf Facebook eine Sache herausheben solltest, auf die du stolz bist, welche wäre das?

Das wäre der Vyvadil. Wenn man irgendeinen Deppen auf witzige Weise eine Abreibung verpasst und den Leuten das gefällt, dann ist man stolz auf sich. Besonders wenn diese Deppen höher stehen als man selbst. Herr Vyvadil war Senator und Richter, und ich bin dagegen ein Scheißdreck. Aber gerade weil ich so ein kleines unbedeutendes Nichts bin und es trotzdem schaffe, ihm auf diese einen mitzugeben, ist dieses Gefühl des Stolzes schon da. Ansonsten bin ich aber nicht unbedingt stolz auf diese Aktivitäten. Jeder, der will, kann das auch. Für mich ist die Hauptsache, dass mir das Spaß macht.

Spürst du eine Verantwortung, wenn dir so viele Leute auf Facebook folgen?

Klar. Zum Beipiel, wenn ich Dinge teile, die man falsch auslegen könnte. Ich will, dass meine Fans wissen, was ich denke. Ein paarmal kam das schon vor. In einer Phase, in der ich eine Arrt Schwarzen Humor verbreitet habe, stieg die Zahl meiner Fans. Als ich dann irgendwann geäußert habe, dass ich für die Aufnahme von Flüchtlingen bin, schrieben sie mir, dass ich sie enttäuscht hätte, weil ich ein Vaterlandsverräter sei. Darauf kann man nur antworten „Nehmt den Kopf aus dem Arsch!“. Deshalb poste ich auch nicht nur witzige Beiträge, sondern auch ernste. Ich halte es für wichtig, unter den Menschen, die mich abonniert haben, irgendwelche Gedanken zu verbreiten, denn wenn sie dir schon lange folgen, dann könnte deine Meinung für sie wichtiger sein als die von irgendjemandem auf der Straße.

Du bist bekannt dafür, dass du auf Facebook oft gesperrt wirst. Wie oft ist das schon passiert?

Dieses Jahr glaube ich fünfmal. Immer, wenn jemand etwas meldet und irgendein Facebookmitarbeiter das dann als Verstoß beurteilt. Ehrlich gesagt, kann ich ihnen das nicht verdenken, denn sie kennen den Kontext nicht. Danach heißt es dann für mich einen Monat lang Tschüsschen. Das hat damit zu tun, dass Facebook autoatisch alles sperrt, wo ein Hakenkreuz zu sehen ist. Sie sehen das nur und Ende, Sperrung. Das greifen sehr hart durch. In Parodien oder Satire auf Facebook gehört kein Hakenkreuz. Ein typischer Fall war es, als der tschechische Präsident Miloš Zeman das relativ witzige Wort „Superholocaust“ verwendet hatte und mich damit sehr zum Lachen gebracht hat. Ich habe dann ein Bild aus einer japanischen Serie genommen, auf dem ein riesiger Roboter mit aufgemaltem Hakenkreuz in einer Stadt steht und eine Motorsäge mit Hakenkreuzen drauf hält. Darunter stand dann „SUPERHOLOCAUST“. Ich habe mich gefragt, ob Zeman sich den Begriff etwa so vorstellt. Dann wurde ich unverzüglich gesperrt, denn das wurde als Nazi-Propaganda interpretiert. Ein andermal habe ich Tomio Okamura Hakenkreuze statt der Augen gemalt. Ich hielt das für etwas, das sein wahres Gesicht zeigt, aber auch das legte Facebook als Nazi-Propaganda aus. Tatsächlich ist die Zahl der Hakenkreuze zurückgegangen, seit Facebook so vorgeht, und damit auch die Zahl von pseudonazistischen Bildern. Ich finde das gut, denn das gehört da nicht hin. Es ist nur gut, wenn uns da jemand zähmt.

Foto: © privat
„Ich bin kein Rassist, aber...“ Foto: © privat

Was bedeutet für dich im Leben Humor?

Die Tatsache, dass Humor existiert, ist eigentlich der einzige Grund, sich nicht in den Kopf zu schießen. Humor ist ein Instrument, um mit einer Situation fertig zu werden, die nicht gut ist. Niemand, der auch ein bißchen mit offenen Augen durch die Welt läuft, kann behaupten, dass alles tipptopp wäre. Die Menschen wollen keinen Streß, deshalb ignorieren sie alles. Sie glauben, Streß sei nicht normal, dabei ist er total normal, üblich und eine menschliche und tierische Angelegenheit. Wenn du ein Eichhörnchen beobachtest, stellt du fest, dass das ein einziges Nervenbündel ist. Ständig schaut es sich um, ob ihm niemand in den Hintern beißt. Es ist ständig verschrocken: Die Nuss – verdammt! – wohin damit bloß? Eine Neurose auf vier Pfoten. Und beim Menschen ist das ganz ähnlich: Überall lauert der Krebs, er lebt nur 70 Jahre und hat vielleicht schon zwei Drittel davon hinter sich, irgendwo auf der Welt ist Krieg, die soziale Schere geht immer weiter auseinander, der Präsident ist ein Idiot. Das sind alles Sachen, wegen denen es völlig normal ist, im Streß zu sein.

Ich bin ja noch nicht so alt, aber ich weiß, dass alles total im Arsch sein wird, wenn ich mal dreißig bin. Und die einzige Möglichkeit, wie man sich gegen die Pistole am Kopf wehren kann, ist sich einen Spaß aus allem zu machen. Das Leben ist scheiße, das ist wahr, darauf können sich alle einigen. Aber nur manche schaffen es, daraus einen Witz zu machen, darüber zu lachen. Denn das Leben ist ein Spaß – nicht wie Zuckerwatte und Karussell, aber die Art von Spaß, wie wenn man sich in eine Wanne voll Chilipaprikas setzt.

Was kommt dir an der heutigen Welt am komischsten vor?

Mir kommt es komisch vor, wie Dinge, die uns egal sein sollten, das plötzlich nicht mehr sind. Und Dinge, vor denen wir uns in die Hose machen müssten, lassen uns völlig kalt. Ein typisches Beispiel: In Tschechien kommt das Rauchverbot in Gaststätten und alle sagen: „Oh je, das wir schmerzhaft, das wird schmerzhaft! Wie sollen wir das bloß machen?!“ Und dann ist da noch das Problem, dass etwa zehn Prozent der Leute schwere Alkoholiker sind. Wir sind alle ständig blau. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt man sich schon um zehn Uhr morgens die Kante. Alle saufen hier schon mit vierzehn, aber das ist dann kein Problem. Irgendwer sieht die Kids dann, wie sie sturzbesoffen von irgendwelchem harten Alkohol im Park kotzen und sagt sich: „Ach, das ist halt unsere liebe tschechische Art.“

Oder es kommt die Meldung, dass Tschechien für Ausländer das am wenigsten attraktive Land ist, und alle sagen: „Jawohl! Das ist gut!“ Das ist, wie wenn dir jemand sagt, dass du so ekelhaft bist, dass niemand mit dir ficken will, und du reagierst darauf mit: „Klasse! Ist doch super! Da habe ich mehr Zeit zu Hause rumzuhängen, am Computer zu zocken und mir einen runterzuholen.“ Das sind wir. Ich weiß vielleicht nicht, was in der Welt witzig ist, aber was an Tschechien witzig ist, weiß ich ziemlich genau. Das ist manchmal fast so witzig, dass man hier nicht leben kann.

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Die Schauspielerin Jiřina Bohdalová mit Sprechblase: „Nur die Toten haben Ruhe.“ Foto: © privat

Wie würdest du den Humor des Umfeldes von Žít Brno charakterisieren?

Zwei Wörter: Ironie und Satire. Aus der Position des Schwächeren, die Stärkeren verhöhnen. Auf die Fehler hinweisen, die es hier gibt. Wenn zum Beispiel Roman Onderka kommt und fragt, wie es einem so in Brno gefällt, dann sagt Žít Brno: „Einwandfrei! Spitze! Fantastisch!“ Und alle wissen, was damit gemeint ist.

Wie schätzt du die Zukunft dieses Ansatzes in der Politik ein?

Ich weiß nicht, ob der Humor selbst Wahlen beeinflussen kann, aber er nötigt die Menschen dazu, sich mit den Thematiken auseinanderzusetzen. Denn wenn etwas witzig ist, beginnt man darüber nachzudenken. Mal schauen, ob sich das in Zukunft bewährt. Vielleicht gelangt das auf eine höhere Ebene, und eines Tages wird eine ähnlich ironische Partei wie Žít Brno die Parlamentswahlen gewinnen. Vielleicht wird das Jakub Horák sein mit seiner politischen Partei Nevím (Ich weiß nicht). Es ist einfach ein Kontrast zu der Angewohnheit von Politikern, sich schrecklich ernst zu nehmen. Man kann das in allen Parlamentsparteien beobachten: eine krankhafte Sehnsucht, für relevant gehalten zu werden. Jeder weiß aber, dass das arme Socken sind, die sich, kaum haben sie eine Wahl gewonnen, als superwichtig darstellen. Das ist peinlich. In unserem Land gibt es sehr viele Peinlichkeiten. Es ist auch schon peinlich, sich in den Kopf zu schießen.

Wie siehst du deine eigene Zukunft?

Total schwarz. Irgendwann hat mir mal jemand gesagt, es ist besser nicht an die Zukunft zu denken, und genau das tue ich. Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, sich irgendwo zu sehen. Entweder werde ich tot sein, dann ist mir sowieso egal. Oder ich lebe, und dann ist es mir auch egal. Es ist einfach egal.

Facebook-Post von Jaroslav Cerman, 23. März

Es war ein anstrengendes Wochenende. Es gelang mir den selbsternannten Kommandanten der prorussischen Kräfte Jiří Vyvadil zu überzeugen, mich zu seinem Stellvertreter zu machen. Zweimal. Das ist ein Zeugnis seines Urteilsvermögens, seiner Fähigkeiten und seines Scharfsinns.

Und wir haben noch gedacht, dass Caligula verrückt war, als er sein Pferd zum Senator ernannt hatte.

Wenn das das Beste ist, was Putin zu bieten hat, sind wir in Sicherheit.

Danke an alle, die mitgemacht und geholfen haben. Ihr wart einfach großartig. Ich glaube, etwas Vergleichbares hat Facebook noch nicht erlebt, das ganze Wochenende war ein Riesenvergnügen und ich hoffe, ihr hattet auch Spaß.

Antwort von Jiří Vyvadil

Jaroslav, es ist Krieg und Chef kann nur einer sein. Sie und Ihr Kollege sind Stellvertreter des Kommandanten. Der Kommandant bin ich. Heute morgen haben sie aber eigenmächtig entschieden. Die Dinge laufen gut. Die Mitgliederzahlen der von mir gegründeten Gruppen springen nach oben. Eine Regel ist aber klar. Vor uns liegt eine Zusammenarbeit von, sagen wir zehn Tagen. Danach endet sie. Die Regel in den von mir gegründeten Gruppen ist – und ich bitte Sie, das im Sinne der Einheitlichkeit der Führung zu Kenntnis zu nehmen – dass nur der Kommandant die geschalteten Beiträge einstellt. Ihr Text gefällt mir... aber es darf kein Chaos entstehen. Die Führung habe ich.
Tomio Okamura ist ein tschechischer Unternehmer und rechtspopulistischer Politiker japanischer Abstammung. In der Vergangenheit tat er sich unter anderem mit rassistischen Äußerungen gegenüber Roma hervor. Ebenso agitiert Okamura gegen Muslime.
Der tschechische sozialdemokratische Politiker Roman Onderka war von November 2006 bis November 2014 Oberbürgermeister von Brno (Brünn) und in dieser Funktion eine der Hauptzielscheiben für die Satire von Žít Brno.
Das Interview führte Libor Kamenský.
Übersetzung: Patrick Hamouz

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Oktober 2015

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