Witzbold, Störenfried, Lehrerschreck

Foto: Jose Kevo, CC BY-SA 2.0Foto (Ausschnitt): Jose Kevo, CC BY-SA 2.0
Klassenclowns? Foto (Ausschnitt): Jose Kevo, CC BY-SA 2.0

Angehende Starkomiker oder Heranwachsende mit Aufmerksamkeitsdefizit? Eine junge Lehrerin über die Schülerspezies Klassenclown.

Die Schüler der 5. Klasse sitzen bereits auf ihren Plätzen, ihre Physiklehrerin Laura Brinkmann hat bereits die Zettel ausgeteilt und möchte gerade mit dem Unterricht beginnen. Da kommt der 11-jährige Marco betont langsam hereingelatscht. „Tut mir leid“, entschuldigt er sich. „Hab erst verschlafen, dann meinen Kopf im Bett vergessen und dann war auch noch der Antrieb von meinem Düsenjet kaputt.“ Einige Schüler lachen über den platten Witz, andere verdrehen genervt die Augen, während die Lehrerin seufzend die Verspätung ins Klassenbuch einträgt. Und Marco hat, was er will: Aufmerksamkeit.

Marco ist ein typischer Klassenclown. Doch was genau steckt eigentlich dahinter? Sind Klassenclowns wirklich lustig? Bloße Störenfriede? Verkappte Rebellen? Oder ist manch einer von ihnen gar ein begnadeter Comedian, der auf einer Bühne viel Geld verdienen könnte? Laura Brinkmann (33) kennt sich mit dem Phänomen gut aus: Sie arbeitet als Lehrerin in einer weiterführenden Schule im Norden Niedersachsens und hat sie schon eine Menge jugendlicher Clowns unterrichtet.

Laura, wie würdest du einen typischen Klassenclown definieren?

Das Wichtigste gleich vorab: Klassenclown ist nicht gleich Klassenclown. Das Verhalten kann sehr unterschiedlich ausfallen. Der eine macht ständig – vermeintlich – witzige Kommentare, ein anderer ist mehr der hyperaktive Typ, äfft Mitschüler und Lehrer nach oder lässt ständig Dinge auf den Boden fallen. Allen gemeinsam ist aber ein irgendwie auffälliges Verhalten. Und diese Verhaltensweisen bauen sie aus, wenn sie positive Verstärkung erfahren.

Welche Motivation steht dahinter?

Auch das kann sehr unterschiedlich sein. Manche dieser sogenannten Clowns haben tatsächlich ein Talent für Humor und dafür, sich gekonnt in Szene zu setzen. Manche wollen von irgendetwas anderem ablenken, zum Beispiel einem Gefühl von Unsicherheit oder Überforderung oder sie testen ihre Grenzen aus. Eine Veränderung der häuslichen Situation, zum Beispiel kann die Geburt eines Geschwisterkindes ein Grund sein. Es ist allerdings ein falscher Rückschluss, dass ein Schüler sich die Rolle als Klassenclown bewusst aussucht. Das Ganze ist ein gruppendynamisches Phänomen. Das ist wie im Theater oder im Zirkus: Ohne ein Publikum funktioniert ein Clown nicht. Und nicht jeder Klassenclown benimmt sich absichtlich auffällig. Manchmal ist es auch ein besonders schusseliger Schüler, der ständig etwas vergisst oder dem oft Dinge aus der Hand fallen. Bekommt er dadurch Aufmerksamkeit, macht er es irgendwann vielleicht tatsächlich mit Absicht. Und man darf nicht vergessen, dass es manchmal auch die Lehrer sind, die einem Schüler einen solchen Stempel aufdrücken. Eine Aussage wie „Na, du bist ja heute mal wieder ein ziemlicher Clown, was?“ kann schnell zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.

Dieser Lehrer greift beherzt gegen den Klassenclown durch.

Sind Klassenclowns denn wirklich lustig?

Strenggenommen geht es Klassenclowns ja nur scheinbar darum, lustig zu sein, in Wirklichkeit geht es um Beachtung. Da ist es letztendlich sogar egal, ob sie positive oder negative Aufmerksamkeit erhalten. Klassenclowns können sowohl die Stars innerhalb der Klassengemeinschaft als auch Außenseiter sein, so oder so haben sie einen Sonderstatus inne. Natürlich gibt es den Typ, der öfter mal einen geistreichen Spruch loslässt, über den dann auch der Lehrer lacht. Auch der vergesslich-schusselige Typ gehört zu der angenehmen Sorte. Problematisch wird es, wenn hinter der vermeintlichen Witzigkeit Aggressivität steckt und die Witze auf Kosten anderer gehen. Damit macht sich ein Schüler natürlich unbeliebt und erzeugt schlechte Stimmung. Anstrengend wird es auch, wenn die Sache übertrieben wird: Am Anfang ist es noch lustig, aber irgendwann penetrant und lästig und die Mitschüler sind nur noch genervt.

Wie geht man denn als Lehrer mit Klassenclowns um?

Jürgen Plass [Leiter der Erziehungsratgeberstelle Fulda] hat mal geschrieben: „Klassenclowns können mit ihrem Sinn für Humor auch eine Bereicherung für den Unterricht sein. Aber es ist wichtig, dass die Kinder ihre Grenzen kennen.“ Ich finde, das trifft die Sache sehr gut. Wenn ich den Eindruck habe, dass ein Schüler die Sache übertreibt, beobachte ich zunächst und tausche mich mit Kollegen aus. Hilfreich ist auch, Klassensprecher hinzuzuziehen, um zu schauen, wie die Mitschüler die Sache beurteilen. Bei Regelverstößen, zum Beispiel wenn die angeblich lustigen Sprüche respektlos oder beleidigend werden, muss direkt eingeschritten werden. Ansonsten gibt es Vier-Augen Gespräche mit dem Schüler, gegebenenfalls werden auch Eltern hinzugezogen. Einige Eltern erkennen ihre Kinder in der Beschreibung eines Klassenclowns allerdings auch gar nicht wieder. Das ist dann wieder die Sache mit der Gruppendynamik: Manch einer, der in der Klasse den Clown spielt, ist zu Hause ganz ruhig und unauffällig.

Was wird denn nach der Schule aus den Klassenclowns? Gehen sie weiterhin als Spaßvogel durchs Leben? Oder sind sie eher froh, diese Rolle los zu sein? Wird aus manch einem Klassenclown vielleicht der nächste Star der Stand-Up-Comedy?

Pauschal kann man das natürlich nicht sagen. Ich wüsste auch nicht, dass es dazu akademische Studien gäbe. Wonach sollte man da gehen, welche Kriterien sollte man ansetzen? Immerhin reden wir hier von Jugendlichen, die noch mitten im Reifungsprozess stecken. Ich persönlich denke, dass das Ende der Schulzeit auch immer einen Neuanfang markiert und die Schüler alle möglichen Entwicklungen nehmen können. Spaßvögel werden total ernst, und stille, schüchterne Typen entdecken plötzlich ihren Sinn für Humor und gehen aus sich heraus. Und wie bereits erwähnt, ist die Rolle als Clown ja auch nur in einer bestimmten Gruppenkonstellation, in einem bestimmten sozialen Gefüge, möglich. Löst sich die Gruppe auf, existiert diese Rolle vielleicht auch nicht mehr. Aber wer weiß? Leute wie Mario Barth füllen ja mittlerweile ganze Stadien. Vielleicht hat der seine komödiantischen Fähigkeiten ja auch zuerst in der Rolle als Klassenclown erprobt?

Das Interview führte Janika Rehak.

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Oktober 2015

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