Entdecke das Tier in dir

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Die beliebtesten Arten von Fursons, der tierischen Alter Egos der Furries, sind hund- oder katzenartige Raubtiere. Foto: © Sid | www.cesfur.org

In der modernen Gesellschaft existiert wahrlich kein Mangel an verschiedensten Subkulturen. Außer den bereits etablierten Hipstern, Punks oder Hip-Hoppern und so weiter gibt es aber auch Communities, die aus recht nachvollziehbaren Gründen in der Gesellschaft noch weitgehend unbekannt sind. Ein Beispiel sind die sogenannten Furries. So bezeichnen sich die Fans anthropomorpher Tiergestalten – also Tiere mit menschlichen Eigenschaften beziehungsweise Menschen, die sich als Tiere verkleiden.

Die Entstehung des furry fandom reicht in die 1970er Jahre in den USA zurück. Den größten Boom erlebte diese Bewegung zur Jahrtausendwende. Damals begann sich die Community in der ganzen Welt zu verbreiten – so auch in der Tschechischen Republik. Es ging aber nicht nur darum, regelmäßig König der Löwen oder Um die Welt mit Willy Fog zu schauen oder seine bunte Kuscheltiersammlung zu erweitern. Es fanden immer mehr Conventions (die sogenannten Cons) statt, regelmäßige Veranstaltungen, auf denen sich die Mitglieder der Community treffen konnten, um sich ihren Lieblingsaktivitäten zu widmen und so ihre Kultur zu festigen. Die Teilnehmerzahl wuchs beständig. Fans kamen entweder weil ihnen die Furry-Kunst gefiel, weil sie auf der Suche nach Gleichgesinnten waren oder einfach nur, um der Realität zu entfliehen. In der Tschechischen Republik und der Slowakei sind Veranstaltungen dieser Art etwa ČeSFur, Zodiacon, MiniFurr oder die im Winter stattfindende SnowFur.

Fursons – die tierischen Alter Egos der Furries

Furries, so nennen sie sich selbst, haben jeweils ihre tierischen Alter Egos, die sogenannten Fursons. Sie haben die Gestalt eines Tieres, das dem Träger besonders nahe steht und gleichzeitig bestimmte seiner Eigenschaften übernimmt. Da es diese Figuren in der Realität nicht gibt, können die Furries sie nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten. Wenn ein Furry im Alltag schüchtern ist, kann er sich als sein Alter Ego unter dem Namen Zrzek (etwa: Rotschopf) mutiger und selbstbewusster geben. Mithilfe seines Alter Egos kommuniziert er dann im Internet und oder auf den Cons mit den anderen Furries. Sie sprechen sich mit ihren Tiernamen an und verhalten sich auch so, wie es für das jeweilige Tier typisch ist. Die beliebtesten Arten von Fursons sind hund- oder katzenähnliche Raubtiere. Was die Tierarten betrifft, gibt es allerdings keine Einschränkungen. Beliebt sind auch mystische Gestalten wie Drachen oder Greife. Es ist aber auch niemandem verboten, als Karpfen oder Spinne aufzutreten.


Die Fursons sind das, was die Furries von Larps oder anderen Rollenspielern unterscheidet, denn viele Furries geben sich nicht nur als diese fiktive Figur aus, sondern sie verstehen sie als Teil ihrer Persönlichkeit. Das langjährige Mitglied und der Organisator tschechischer Furry Cons mit dem Spitznamen Altair beschreibt seine Furson wie folgt: „Meine Furson ist ein anthropomorphes Friesenpferd. Ich betrachte es als meine Projektion im Cybersprace. Ich bemühe mich, sie bis auf Ausnahmen für jedwede Kommunikation im Internet zu verwenden. Zum Beispiel begrüße ich jemanden mit einem Geschrei, oder wenn jemand so etwas schreibt wie: ‚Hey, bist du da?‘ dann antworte ich ihm über einen IRC mit einer Aktion, die dann ungefähr wie folgt aussieht: ‚*Altair wendet sein linkes Ohr in deine Richtung‘. Denn das würde ein Pferd normalerweise machen, wenn es ein interessantes Geräusch hört.“

Es geht vor allem um Toleranz und das Knüpfen von Freundschaften

Weil die Furries ein enges Verhältnis zu ihrem tierischen Ich haben, stehen innerhalb der Community auch die Kunst und andere kreative Tätigkeiten hoch im Kurs. Denn das ist die einzige Möglichkeit, wie sie ihren Alter Egos in der dinglichen Welt eine Gestalt geben können. „Wenn dein zweites Ich ein Drache mit einem wunderschönen Hintergrund ist, wie anders willst du es der Welt zeigen, als ein Porträt von ihm malen zu lassen?“ fragt Martin, ein ehemaliges aktives Mitglied der Community, und zeigt mir die Portraits seiner Furson: ein blauer Wolf. Das Wesen auf dem handgemalten Bild teilt einige gemeinsame Züge mit seinem wirklichen Ich, etwa den Gesichtsausdruck und den Kleidungsstil. „Menschen, die zeichnen und Kostüme entwerfen können, werden von Furries sehr respektiert, auch wenn dies nicht unbedingt den wirklichen Fähigkeiten der Künstler entsprechen muss. Auch ein recht durchschnittlicher Künstler kann ein Star in der Furry Community werden, wenn er bereit ist, zu einem vorgegebenen Thema zu zeichnen“, fügt Altair hinzu. Das künstlerische Schaffen der Furries ist so vielseitig, dass sich allmählich auch spezielle Subgenres entwickelten. Ein Genre, das es zu unrühmlicher Beliebtheit gebracht hat, ist die gezeichnete Furry-Pornographie. Diese wird unter dem Begriff „yiff“ zusammengefasst, abgeleitet angeblich von dem Ton, den Polarfüchse bei der Paarung von sich geben.

Foto: © Karakina Fox | www.cesfur.org
Die Betonung der gegenseitigen Nähe bedingt auch die gelegentliche Zuschreibung einer gewissen sexuellen Gelassenheit und Offenheit in Furry-Communities. Foto: © Karakina Fox | www.cesfur.org

Unter den Furries heißen die Kostüme, von denen Altair spricht, Fursuits. Sie sind wegen ihrer Extravaganz oft das Erste, was Uneingeweihte beeindruckt, obwohl sie nur von einer Minderheit der Furry-Community getragen werden. Auf der ČeSFuR-Con im vergangenen Jahr war bei 200 Teilnehmern gerade mal ein Drittel in Fursuits verkleidet. Diese Kostüme sind eine weitere Form, wie die Furries ihre Alter Egos vorstellen können. Und obwohl unter ihnen Wölfe, Löwen, Drachen oder andere in der Natur gefährliche Tiere vertreten sind, wirken die Kostüme nie unheimlich, sondern eher infantil und fröhlich. Das kommt auch daher, dass es in der Community vor allem um Toleranz und das Knüpfen von neuen Freundschaften geht. Die Betonung der gegenseitigen Nähe bedingt auch die gelegentliche Zuschreibung einer gewissen sexuellen Gelassenheit und Offenheit in Furry-Communities – unter den amerikanischen Furries bekennt sich mehr als die Hälfte zur Bisexualität.

Steckt vielleicht in jedem von uns ein Furry?

Trotz all ihrer markanten Erscheinungen, bleibt die Identität der Furries der Sicht eines normalen Beobachters verborgen. Im Alltag unterscheiden sich Furries in ihrem Verhalten oder Aussehen nicht von der Mehrheit der Bevölkerung und geben ihrem inneren Tiger oder Fuchs keinen Raum. Auf der Straße tragen sie keine Fursuits, sie benutzen nicht ihre Tiernamen und bellen oder wiehern auch nicht in der Öffentlichkeit. „Sie sind ganz normale Menschen. Oft sind sie in der IT-Branche tätig oder einfach nur junge Leute, die im Büro arbeiten. Einige von ihnen tragen vielleicht mal ein T-Shirt mit einem den Mond anheulenden Wolf oder mit gemalten Tieren, aber auch darin unterscheiden sie sich heutzutage kaum von anderen“, kommentiert Martin die Furry-Identität. Allerdings haben Furries auch im Alltag ein positives Verhältnis zu Tieren und zur Natur, was bei einigen auch die Form des Aktivismus annimmt. „Es gibt Furries, die sich wirklich sehr für die Natur und für ‚ihr‘ Tier interessieren und sich auf unterschiedlichste Weise für den Umweltschutz einsetzen. Ich kenne beispielsweise ‚Wölfe‘, die bei einem Projekt zur Wolfsbeobachtung der Umweltschutzorganisation DUHA mitmachen. Sie erkunden das Vorkommen der Raubtiere in unseren Breiten und beschäftigen sich mit ihrem Schutz“, so Altair.

Furries sind eine Subkultur, die nur zu bestimmten Gelegenheiten sichtbar wird – auf regelmäßigen Veranstaltungen, aber vor allem im Internet und im Cyberspace. Sie stellen ihre Werke vor, betreiben Online-Rollenspiele und treffen sich einige Male im Jahr auf den Cons. Dort wird dann gegrillt, Karaoke gesungen, Sport getrieben. Auch Kunstshows und Modenschauen mit Fursuits sowie Tanzwettbewerbe werden veranstaltet. Im Unterschied zu den Furry-Communities im Westen, die eher im urbanen Umfeld aktiv sind und ihre Cons in Hallen abhalten, haben die Furries in der Tschechischen Republik und in der Slowakei ein engeres Verhältnis zur Natur. Hier finden die Cons in ländlichen Unterkünften statt, in der Nähe von Wäldern und Bergen, etwa auf der Böhmisch-Mährischen Höhe oder in der Mittelgebirgslandschaft des sogenannten Böhmischen Paradieses (Český ráj). „Das ist eigentlich ziemlich interessant. Man könnte sagen, dass die Furries bei uns mit ihrem direkten Kontakt zur Natur der ‚tierischen‘ Idee viel näher sind, als zum Beispiel in den USA, wo sie eine viel größere Mitgliederbasis haben“, beschreibt Martin die Besonderheiten der tschechischen Furry-Community, und hat dabei den Blick stets auf seinen Plüschhusky gerichtet.

Mögen die Gedanken und Interessen der Furries vielen auch noch so obskur oder abgedreht scheinen, stellt sich aber doch die Frage, ob hinter all den Fursuits, Tigerporträts und tierischen Alter Egos nicht etwas steckt, was der Menscheit bereits seit Jahrtausenden nahe steht. Das Interesse an anthropomorphen Tiergestalten und ihrer Projektion in der Kunst und der Persönlichkeit ist so alt wie die Zivilisation selbst – wie die Kulturen der alten Ägypter, der Indianer und der Azteken beweisen. Steckt nicht vielleicht in jedem von uns ein Stück Furry?

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Libor Kamenský
Übersetzung: Bianca Lipanská

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
Januar 2016
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