Virtualisierung des öffentlichen Raums: Vom Handy zum Peilsender

Screenshotausschnitt der Smartphone-App von FacebookScreenshotausschnitt der Smartphone-App von FacebookWährend in Deutschland noch über das Bespitzelungspotenzial von Google Street View gestritten wurde, hat Facebook Anfang Oktober 2010 mit seinem Lokalisierungsdienst Places weitgehend unbeachtet von Datenschützern auch hierzulande einen sehr viel brisanteren Service freigeschaltet, der dem Netzwerkbetreiber künftig theoretisch das Erstellen lückenloser Bewegungsprofile seiner Mitglieder erlaubt.

Das Prinzip der von den US-Geolocation-Services Gowalla und Foursquare adaptierten Applikation für Smartphones ist ebenso einfach wie bestechend: Facebook-Mitglieder werden über ihre mobilen Webbrowser auf interessante Plätze und Angebote in der Umgebung – Kneipen, Geschäfte, Kultur – aufmerksam gemacht und können sich obendrein nach dem Einchecken anzeigen lassen, welche Freunde sich gerade in der Nähe aufhalten.

Was sich auf den ersten Blick so praktisch und harmlos ausnimmt, birgt bei genauerem Besehen so manche Tücke. Und damit sind nicht nur Pannen wie die bei der Einführung in den USA gemeint, wo eine Software-Voreinstellung allen Freunden das gegenseitige Taggen und damit auch eine ungewollte Enttarnung des Aufenthaltsortes der andern erlaubte. Auch die Aussicht, nach Ablauf der üblichen spielerischen Erprobungsphase derartiger Innovationen überall, wo man vorbeiläuft, mit Werbung oder Rabattangeboten bombardiert zu werden, erscheint nicht sonderlich verlockend.

Frage der Finanzierung

Handy-Ortung auf dem iphoneAm problematischsten erweisen sich jedoch die datenschutzrechtlichen Aspekte des Dienstes. Dies liegt Peter Ruppel vom Institut für Informatik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München zufolge in der Natur der Sache: „Aus Sicht eines Plattformanbieters ist es nun einmal interessant, möglichst viel über den Nutzer zu wissen. Gar nicht unbedingt, um ihn auszuspionieren, sondern um zielgruppengerecht Werbung zu schalten, von der der Anbieter schließlich leben muss, wenn er seine Dienste kostenlos anbietet.“

Umgekehrt habe ja schließlich auch der Nutzer ein Interesse an möglichst passenden Empfehlungen. Datenschutz ist für Ruppel daher letztlich eine Frage der Finanzierung. „Das beste Beispiel ist der Spam, mit dem wir tagtäglich zugemüllt werden. Ursache sind die zu geringen Kosten für die einzelne E-Mail, die faktisch bei null liegen. Durch die Erhebung minimaler Beiträge würden sich viele Datenschutzprobleme von selbst erledigen.“

Der Wissenschaftler, der sich am Lehrstuhl für Mobile und Verteilte Systeme von Claudia Linnhoff-Poppien seit Jahren mit der Anonymisierung ortsabhängiger Community-Dienste beschäftigt, ist generell froh, dass sich endlich mehr Problembewusstsein in der Bevölkerung Bahn bricht. Auch wenn sich die Kontroverse kurioserweise ausgerechnet an Google Street View entzündet hat, das mit seinen vergleichsweise harmlosen urbanen Panoramaansichten wie ein gigantischer virtueller Postkartenatlas anmutet.

Nebenkriegsschauplatz Street View

Screenshotausschnitt der Smartphone-App von meinestadt.deAls vor fünf Jahren Google Earth startete, konnten sich die Wenigsten der Faszination entziehen, am Bildschirm wie mit einem Raumschiff an beinahe jeden x-beliebigen Ort auf dem Globus vorstoßen zu können. Google Maps machte es schließlich sogar möglich, abstrakte Landkarten und Stadtpläne per Mausklick in reale Luftaufnahmen zu verwandeln, die die Orientierung erleichtern und ein getreues Abbild der örtlichen Gegebenheiten aus der Vogelperspektive liefern. Erst seit sich das Raumschiff zwecks Erkundungstouren sozusagen zur Landung in den Straßenschluchten unserer Städte anschickt, regt sich Widerstand.

Sehenswürdigkeiten wie das Kolosseum in Rom virtuell in 3D zu erkunden oder in 360-Grad-Ansichten zu prüfen, ob die Landschaft um das gebuchte Hotel auch hält, was der Katalog verspricht, ist ja auch eine feine Sache. Doch bei der Vorstellung, demnächst den Blick über den Gartenzaun womöglich auf das traute familiäre Kaffeekränzchen auf der Terrasse als Teil eines Panoramafotos im Internet zu finden, hört bei vielen der Spaß auf. Angesichts der relativ problemlosen Einführung von Street View in 20 Ländern der Welt – neun davon in Europa – zeigt sich einmal mehr, dass die Deutschen nach den historischen Erfahrungen mit zwei Überwachungsstaaten außergewöhnlich sensibel reagieren, wenn es um möglich Eingriffe in ihre Privatsphäre geht.

Internetaktivisten schlagen zurück

Screenshotausschnitt aus der iphone-app Gelbe SeitenUm der Hamburger Bundesratsinitiative für eine Lex Google den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat sich die Firma bereit erklärt, auf Antrag der Eigentümer Immobilien in den Street-View-Panoramen unkenntlich zu machen. Diese vermeintliche Kapitulation hat sogleich eine Handvoll Internetaktivisten um den selbst ernannten Sprecher der Digitalen Armee Fraktion Jens Best auf den Plan gerufen.

„Verschollene Häuser – We bring the public back to digital Germany“ lautet das Motto, mit dem die Aktivisten die verpixelten Lücken im virtuellen Straßenbild durch selbstgemachte Fotografien schließen wollen, die sie bei Google Maps einzustellen beabsichtigen. Sie berufen sich dabei unter anderem auf die „Panoramafreiheit“ im Urheberrechtsgesetz, die es gestattet, „Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden“ mit „Mitteln der Malerei oder Grafik, durch Lichtbild oder durch Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben“.

Unterdessen sieht man sich bei den Informatikern an der LMU mehr denn je in der Pflicht, Instrumente zu entwickeln, mit denen der Benutzer Herr seiner ortsbezogenen Daten bleibt. Die Möglichkeiten zur Konfiguration der Privatsphäre-Einstellungen hält Ruppel dabei für ausgereizt: „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei zu komplexen Optionen sehr schnell ein Punkt erreicht ist, an dem die Leute gar nichts mehr auswählen.“ Am sinnvollsten erscheint ihm ein einfacher Knopf am Handy, mit dem man sämtliche Geodatensignale unterbrechen kann.

Roland Detsch
arbeitet als Freier Redakteur, Journalist und Autor in München und Landshut.

Copyright: Goethe-Institut e. V., Online-Redaktion
Oktober 2010

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