Gegen Internetzensur

Foto: Lenka Švecová
Im Januar 2012 hat die Tschechische Republik gemeinsam mit weiteren europäischen Ländern das internationale Abkommen ACTA unterschrieben. Was steht darin und warum löste es eine Welle von Massendemonstrationen aus? Droht uns wirklich eine Internetzensur? Wie sehen junge Internetnutzer diese Problematik und wie stehen ihr wiederum junge Künstler gegenüber?

Foto: Lenka Švecová

Sagt Nein zu ACTA, Sagt Ja zur Freiheit

Trotz der Eiseskälte der vorhergehenden Tage füllte sich der Platz der Freiheit in Brno am Nachmittag des 11. Februar 2012 mit Horden junger Leute. An eben diesem Tag erreichten die Massenemontrationen für ein freies Internet ihren Höhepunkt. Der Tag wurde sogar offiziell zum Internationalen Tag des Protestes gegen das Abkommen ACTA ausgerufen. Es wurde also auf der ganzen Welt demonstriert. In Tschechien waren in über 15 Städten Demonstrationen angemeldet, darunter auch im erwähnten Brno.

Einige Demonstranten erschienen maskiert oder in Piratenkostümen, andere wiederum nahmen sich der Situation mit großer Ernsthaftigkeit an. Wer sein Protestschild zu Hause vergessen hatte, konnte sich vor Ort ein neues machen oder seine Meinung mit Kreide auf dem Asphalt hinterlassen. Die größte Aufmerksamkeit galt jedoch dem Podium, vor allem wegen der Petition, die dort zur Unterschrift auslag, und die dazu aufrief das umstrittene Abkommen ACTA (kurz für Anti-Counterfeiting Trade Agreement, auf Deutsch etwa Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) nicht zu ratifizieren. Ziel von ACTA ist den Handel mit gefälschten beziehungsweise autorenrechtlich geschützten Werken einzuschränken.

Wir wollen keine Zensur

Einige der Protestierenden stimmen zwar mit der Idee der Vereinbarung, also der Einschränkung von Produktfälschungen, überein. Die Passagen, die das Internet betreffen, erscheinen ihnen jedoch inakzeptabel: „Ich sehe ein, dass gegen Piraterie stärker als bislang vorgegangen werden muss. Aber ich denke, das Abkommen hätte wesentlich besser geschrieben werden können, damit die perönliche Freiheit der User nicht so sehr verletzt wird“, sagt die 24-jährige Pavla. Der 26-jährige Vladimír erklärt, was seiner Meinung nach geschehen würde, falls die umstrittene Norm tatsächlich in Kraft tritt: „Sowohl für Wikipedia als auch für Google wäre das zum Beispiel nicht umzusetzen. Google etwa könnte für Suchanfragen nicht mehr den gesamten Inhalt von Internetseiten indexieren, da dabei auch der illegale Inhalt der Seiten aufgenommen würde, und das wäre dann ein Problem. Das würde also die Suchfunktion enorm beeinträchtigen. Man könnte sie überhaupt nicht mehr so verwenden wie bisher. Und Wikipedia wiederum hätte Probleme bei der freien Speicherung von Inhalten, weil jemand auch etwas Illegales schreiben könnte. Die freie Nutzung des Internets würde also eingeschränkt.“

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Einige Demonstranten erschienen maskiert.

Die Gründe solcher Befürchtungen liegen besonders in der Kontrollpflicht, was der User mit Daten aus dem Internet anstellt, die ihm nicht gehören und die autorenrechtlich geschützt sind. Denn die Staaten, die ACTA ratifizieren, müssten Druck auf die Internetdienstleister ausüben, um die Verbreitung und den Missbrauch autorenrechtlich geschützter Inhalte zu verhindern. Mit anderen Worten: Damit die Internetdienstleister selbst nicht als Komplizen bei der Verletzung von Autorenrechten belangt werden könnten, müssten sie die Inhalte, auf die Nutzer zugreifen können, filtern, damit sie nicht „missbraucht“ werden. Ein Beispiel: Jemand möchte ein Foto seines Lieblingssängers als Facebook-Profilfoto verwenden. Wenn es sich bei dem Bild um eine illegale Kopie handelt, müssten sowohl der User selbst als auch Facebook und die Suchmaschine bestraft werden. Der User für die Verwendung, die anderen dafür, dass sie diese Straftat ermöglichen.

Damit käme es laut den ACTA-Gegnern zu einer Einschränkung der persönlichen Freiheit und zu einem Eingriff in das freie Internet. Und genau das ist es, was die Leute auf die Straße getrieben hat. Auch in Brno halten die meisten Befragten das Abkommen für ein Kontrollinstrument und eine bestimmte Form von Zensur: „ACTA halte ich für das Bemühen supranationaler Kooperationen ein Instrument zu erlangen, das der Kontrolle dient, beziehungsweise der Machtausübung. Wenn ihnen das gelingen sollte würden sie das bisher freie Medium Internet lenken und beherrschen. Gleichzeitig hätten sie Zugang zu Informationen, die im Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt missbraucht werden könnten. Damit hätten sie de facto auch die Kontrolle über die Weltpolitik“, beschreibt der 17-jährige Peter seine Befürchtungen.

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„Wir wollen keine Zensur.“

Die Frage, ob sie bereit wären für den Download von Daten aus dem Internet zu bezahlen, bejahen die meisten jungen Leute. Allerdings, so fügen sie hinzu, müssten entsprechende Dienste dann auch gut funktionieren und finanziell erschwinglich sein. Der Download von Filmen und Serien ist ihrer Meinung nach vor allem deshalb so beliebt, weil die genannten Werke in der Originalfassung und ohne Reklame verfügbar sind. Darüber hinaus wurden einige Serien in Tschechien bisher nicht ausgestrahlt. Dies ist zum Beispiel bei vielen beliebten japanischen Mangaserien der Fall. „Die Leute suchen nach den Filmen und Serien in der Originalversion und sie haben dann die Möglichkeit sie anzuschauen, wenn sie die Zeit haben“, benennt Pavla die Vorteile. „Bevor der Sender Prima COOL begann sie auszustrahlen, hatten viele Serien keine Chance uns zu erreichen, weil die etablierten Fernsehsender eher Mainstream zeigen. Ich schaue mir Serien auch lieber im Original an, da ich dadurch zumindest den Kontakt zur englischen Sprache halte. Oft kann man so neue Redewendungen lernen“, unterstreicht Vladimír.

Nach etwa einer Stunde machten sich die frierenden Demonstranten auf den Protestmarsch durch die Straßen des Zentrums von Brno. Sie beendeten die Aktion wieder am ursprünglichen Treffpunkt, dort, wo sie massenhaft die Petition gegen ACTA unterschrieben hatten.

Ein Konzertbesuch ist mehr wert

Wie aber positionieren sich die Vertreter der jungen Kunstszene zu dem kontroversen Abkommen? Schließlich leben sie gerade vom Verkauf ihrer „Kunst“. „Zwar ist es traurig, dass Produktionsfirmen und Verlegern (und natürlich auch Bands und Schauspielern) dadurch Gelder verloren gehen, aber es gibt heute schon so viele Internetshops, zum Beispiel für Musik (Amazon, iTunes), wo man Lieder für einen Euro herunterladen kann oder direkt das ganze Album. Das wird von vielen Leuten genutzt, und dass daneben auch Datenportale existieren, die Musik oder Filme illegal verbreiten, hat zwar Nachteile, aber auch Vorteile. Dank dieser Portale werden viele auf bestimmte Werke überhaupt erst aufmerksam. Ein Album, das sie sich niemals gekauft hätten, hören sie sich dann zumindest an. An ihnen verdient der Künstler vielleicht erst dann, wenn sie zu seinem Konzert kommen. Ich glaube auch, dass sie sich eine CD, die ihnen schon eine Weile im Ohr klingt, ohnehin früher oder später kaufen. Sie wollen das Original haben und so auch die Band unterstützen. Das gleiche gilt für Filme. Eine Zensur des Internets grenzt tatsächlich an die Einschränkung der Freiheit. Das Internet ist ein ‚freier Raum‘, also lasst uns diesen Status auch in Zukunft aufrecht erhalten“, so ein Mitglied einer beliebten Band aus České Budějovice. Er möchte allerdings lieber anonym bleiben.

Foto: Lenka Švecová

Mitglieder der tschechischen Piratenpartei auf der Demonstration in Brno

Nach den massenhaften Protesten wurde die Ratifizierung von ACTA in vielen Ländern der EU, darunter auch in Tschechien, erst einmal ausgesetzt. Die Europäische Kommission hat sogar in der zweiten Februarhälfte den Europäischen Gerichtshof um eine Untersuchung des ACTA-Vertragswerkes angerufen. Eines ist jedoch vollkommen klar: Wenn es zur Ausarbeitung eines neuen internationalen Abkommens gegen Produktpiraterie und für den Schutz von Autorenrechten kommen sollte, darf der einzelne Internetnutzer nicht vergessen werden. Im gegenwärtigen Wortlaut von ACTA wurde er völlig vernachlässigt. Es bleibt aber die Frage, ob sich das Netz dem Recht anpasst oder das Recht dem Netz.

Lenka Švecová
Übersetzung: Patrick Hamouz

Copyright: Goethe-Institut Prag
Februar 2012

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