Bloß nicht den Traumpartner zurechtbasteln!

Foto: Janika Rehak

Ein Paar erzählt über Internetliebe

Unter normalen Umständen wären sich Sabrina (23) aus München und Benjamin (21) aus Berlin vielleicht nie über den Weg gelaufen. Immerhin trennen sie beinahe 600 Kilometer. Per Zufall lernten sie sich im Internet kennen - und lieben. Inzwischen sind sie seit zwei Jahren ein Paar und leben mit Tochter Isabel (3 Monate) in Berlin. Wie ist das, wenn sich zwei Menschen im Internet begegnen? Was ist anders als beim klassischen Kennenlernen an der Supermarktkasse oder in einer Bar?

Foto: Janika Rehak

„Beim Kennenlernen via Internet steht erst mal die reine Kommunikation im Vordergrund.“

Als sich Sabrina und Benjamin zum ersten Mal über den Weg liefen, nannten sie sich „Kailyn“ und „Ashiitaka“ und waren in der virtuellen Welt von „Fiesta Online“ unterwegs. Das Spiel funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie der Rollenspielklassiker „World of Warcraft“: Man erstellt einen Charakter, stattet ihn mit bestimmten Fähigkeiten aus, und kann sich dann ins Abenteuer stürzen. Benjamin und Sabrina stellten schnell fest, dass sie nicht nur als Team im Spiel prima harmonierten, sondern sich auch sonst eine Menge zu sagen hatten. „Die Gespräche über den Spiele-Chat waren von Anfang an sehr privat“, erzählt Sabrina. Schon bald trafen die zwei sich auch außerhalb der Spielwelt im Netz, chatteten viel und entdeckten dabei immer mehr Gemeinsamkeiten. Der nächste Schritt war das Telefon: „Wir haben uns stundenlang unterhalten, Tag und Nacht, fast ohne Pause“, schwärmt Sabrina.

Verlieben über das Internet, wenn man die Person nur über den Chat und vielleicht über Fotos kennt? Geht das? „Das klingt ziemlich unlogisch“, gibt Sabrina zu. „Eigentlich kann man ja niemanden lieben, den man noch nie getroffen hat.“ Ein Treffen in der „wirklichen“ Welt hat sie aber aus genau diesem Grund auch lange hinausgezögert. „Ich hatte die Befürchtung, dass ich ihm nicht mehr gefalle, wenn er mich als reale Person sieht. Das passiert schnell, weil man sich im Kopf eine Art Traumpartner zusammengebastelt hat, dem der echte Mensch dann überhaupt nicht entspricht. Besser gesagt: Dem er auch gar nicht entsprechen kann!“

Anhand von Fotos und gefilterten Infos, gepaart mit den eigenen Wunschträumen wird der Chatpartner also mitunter zum geheimnisvollen Fremden ohne Fehler verklärt. Manch einer neigt dazu, sich in diese Fantasie hinein zu steigern, was dann in der Realität zum sprichwörtlichen „bösen Erwachen“ führen kann. Für Sabrina und Benjamin ein Nachteil bei Netzbekanntschaften: „Es ist einfach viel zu leicht, sich als jemand auszugeben, der man gar nicht ist. Und manchmal will man auch einfach nicht wahrhaben, dass das Gegenüber ein Mensch aus Fleisch und Blut ist, der nicht nur aus seinen Chattexten besteht, sondern auch Fehler hat. Und dann gibt es noch das Phänomen, dass manche Rollenspielfans sich selbst und auch andere sehr stark über ihre Spielfigur definieren, und dann zwischen dieser Figur und dem Menschen dahinter nicht mehr trennen.“

Einen klaren Vorteil sehen die zwei allerdings darin, dass beim Kennenlernen via Internet erst mal die reine Kommunikation im Vordergrund steht: „Beim realen Treffen wird dagegen gleich die Optik ausgecheckt, weil es das Erste ist, was man wahrnimmt“, so Sabrinas Eindruck. „Und ob man sich weiter mit diesem Menschen befassen möchte, hängt vom Ergebnis dieses Optik-Checks ab. So sieben wir bewusst oder unbewusst viele Menschen aus, und verpassen dabei vielleicht ganz wunderbare Chancen! Die Feinheiten eines Charakters offenbaren sich ja meist erst später.“

Von reinen Dating-Portalen hält das Paar allerdings nicht so viel. Dort herrscht ihnen zu viel Erwartungsdruck: „Wenn man das Gefühl hat, jeder auf dieser Website ist zwanghaft auf der Suche nach einer Beziehung, dann hemmt einen das eher“, glauben die beiden. Dennoch betrachten die zwei das Kennenlernen und auch das Verlieben per Internet als etwas ganz Normales. Allein in ihrem Bekanntenkreis gibt es einige Paare, die auch über „Fiesta Online“ zusammengefunden haben.

Gibt es noch ein paar Tipps und Tricks, wie man am besten an einen Internetflirt herangeht? Und was sollte man unbedingt vermeiden? „Bei der Wahrheit bleiben!“, empfiehlt das junge Paar. „Ein bisschen Aufschneiden geht in Ordnung. Aber Dinge komplett zu erfinden, um gut dazustehen, kann furchtbar schief gehen. Wer eine ernsthafte Beziehung will, der sollte ehrlich sein!“


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März2012

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