Das Land der grenzenlosen Gegensätze

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Blick auf Durban vom WM-Stadion aus: Ein buntes Vergnügungsparadies liegt dem Betrachter genauso zu Füßen wie die Hochhäuser mit den eingeschlagenen Fensterscheiben am South Beach. Foto: © Kristina Staab

Endlose Sandstrände, warmes Meer, beeindruckende Landschaft und gigantische Artenvielfalt: Südafrika ist ein Traum; auf den ersten Blick. Der Reisende sammelt Eindrücke, die nicht vergehen. Manchmal kann man nicht aufhören zu staunen… oder zu schaudern. Denn das Land der Sonne ist reich an Kontrasten.

Das WM-Stadion ist in etwa so hoch wie ein Haus mit 46 Stockwerken. Von einer Aussichtsplattform auf dem Dach kann man weit über Durban sehen. Das bunte Vergnügungsparadies „Suncoast Casino & Entertainment World“ liegt dem Betrachter genauso zu Füßen wie die Hochhäuser mit den eingeschlagenen Fensterscheiben am South Beach. Die Häuser mit den eingeschlagenen Fensterscheiben sind von bewaffneten Kriminellen besetzt. Und sie bleiben besetzt, denn der Polizei ist es zu gefährlich gegen die großen Banden vorzugehen.

Bauprojekte brauchen Zeit und in Südafrika noch etwas länger

Seit der Fußball-WM 2010 hat sich in Durban viel verändert. Nicht nur die Sportstätten wurden luxuriöser. Besonders eine Gegend hat vom Aufschwung profitiert: Ushaka Beach – gelegen auf einer Landzunge vor der Hafenbucht. Vor etwa zwei Jahren war das Gebiet genauso unsicher wie South Beach. Dann wurden großflächig Häuser abgerissen und neue Wohnkomplexe errichtet. Empfangsbereiche und Sicherheitsdienste machen nun die „Point Waterfront“ zum sichersten Teil Durbans.

Eine nahe gelegene Einkaufspassage mit Restaurants und die angrenzende „Ushaka Marine & Water World” ziehen massenweise Besucher an. Denn der Wasserpark lockt mit Riesenrutschen, mit Delphin- und Seelöwenshows. Am South Beach wurden große öffentliche Pools für die ärmere Bevölkerung installiert. An der Strandpromenade des benachbarten Addington Beach stehen allerdings noch immer verfallene Häuser. Die vielen Bauprojekte brauchen Zeit und in Südafrika noch etwas länger.

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Verfallene Häuser in Durban: Viele sind besetzt von bewaffneten Kriminellen. Foto: © Kristina Staab

Ein Spaziergang am Addington Beach ist tagsüber kein Problem. Die Strandpromenade gilt als sicher, die Straße dahinter sollte man aber meiden. Sie ist bekannt für gewalttätige Überfälle. Drei Kilometer südlich patrouillieren die Sicherheitsdienste des „Point”.

Es ist Ostersonntag. Gleichzeitig feiern Inder das Ratha Yarhna Festival of Chariots. Ein Fest zu Ehren des beliebtesten indischen Gottes Krishna. Die Teilnehmer ziehen große bunte Wagen in einer Prozession an der Strandpromenade des Addington und South Beach entlang und singen Lieder. Inder machen einen relativ großen und sehr gebildeten Teil der Bevölkerung Durbans aus. Die Polizei begleitet den Umzug. Eine Möglichkeit die Kamera zu zücken. Ein besonderer Moment, da nicht immer die Chance besteht hier ohne Gefahr zu fotografieren.

Ein Stück weiter drängen sich Marktstände am Straßenrand dicht aneinander. Sie werden von Zulus betrieben, den Ureinwohnern der Provinz KwaZulu-Natal. Allerlei Krimskrams vom Handtuch über Strandschuhe bis hin zu hölzernen Figuren werden verkauft. Ein hölzerner Elefant kostet umgerechnet zwei Euro, Strandschuhe fünf Euro, ein Handtuch mit einem breit grinsenden Garfield sechs Euro. Doch die Verkäufer sehen nicht glücklich aus.

„Vergangene Woche wurden zwei unserer Mietwagen entführt“

„Warum sind Sie so spät?“, fragt der etwas rundliche dunkelhäutige Mann an der Rezeption der Autovermietung in Durban. Eine ungewöhnliche Frage in Südafrika. Hier ticken die Uhren wesentlich langsamer als in Deutschland. Auf seinen Coffee to go muss man schon mal eine halbe Stunde warten. Es scheint, als hätten die Südafrikaner die Zeit gespeichert, die uns schon lange verloren ging.

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Das Ratha Yarhna Festival of Chariots zu Ehren des indischen Gottes Krishna. Inder machen einen großen und sehr gebildeten Teil der Bevölkerung Durbans aus. Foto: © Kristina Staab

Selten blickt jemand nervös auf seine Armbanduhr, wie es der Mann im blauen Overall gerade macht. Seine Augenlieder und Mundwinkel zucken manchmal. „Es ist schon Viertel vor sechs, bald ist es dunkel“, sagt er mit einem vorwurfsvoll-besorgten Blick.

„Vergangene Woche wurden zwei unserer Mietwagen direkt vor unserer Tür entführt“, erklärt der Verleiher. Man stelle sich die entsetzten Touristen vor, die mit einer Waffe am Kopf um ein paar Straßenecken fahren müssen. Mit etwas Glück überleben sie. Wir aber werden nicht überfallen. Wir bekommen das Auto innerhalb von zehn Minuten.

Wir wollen nur noch weg. Raus aus der Stadt. Rein ins Land, wo sich weniger Kriminelle herumtreiben. Wo nicht auf jeder Kreuzung Bettler mit starken Entstellungen stehen. Dafür werden wir mörderische Fahrstile erleben, auf 3000 Meter hohe Berge steigen und inmitten wilder Tiere nächtigen.

Kristina Staab

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juli 2013

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