Hiddensee: Insel der Entschleunigung

Foto: © Ina HartmannFoto: © Ina Hartmann
Foto: © Ina Hartmann

Wenn Süddeutsche an den Norden denken, dann fällt vielen meist Hamburg, Sylt, Fischbrötchen und Klaus Störtebecker ein. Und die gängigen Klischees: (zu) häufigen Regentage, kalte Temperaturen im Sommer und im Winter und die nicht gerade redselige Art der Norddeutschen. Dennoch ist Norddeutschland durch seine zwei Meere – Nord- und Ostsee – ein sehr beliebtes Reiseziel. Ausgedehnte Fahrradtouren mit Meerblick, sonnige Badetage an langen Sandstränden, im Zelt unter freiem Himmel mit Meeresrauschen im Ohr einschlafen: Das lockt jung wie alt an die Küste und auf die Inseln. Eine kleine Insel in der Ostsee hat in den letzten Jahren besonders an Aufmerksamkeit gewonnen: Hiddensee.

Auch im Nordosten Deutschlands hat man als Tourist die Qual der Wahl: Usedom, Rügen oder doch lieber Darß-Fischland? Der Gedanke an überfüllte Strände und Promenaden, ausgebuchte Ferienhäuser und vor allem an endlose Autoschlangen auf den Straßen, vermiest vielen bereits vor Urlaubsbeginn die Stimmung. Als Student/in einer kleinen norddeutschen Universitätsstadt ist es ratsam Ausflüge in den Sommermonaten lieber in einer anderen Region Deutschlands zu unternehmen, wenn man nicht noch gestresster als vorher zurückkehren möchte. Oder aber man weiß einen Weg, um den großen Touristentrubel zu umgehen. Ich hatte genau einen Tag in der Woche, um mich zu erholen und neue Energie für die bevorstehende Prüfungszeit zu tanken. Das Ausflugsziel war ohne Zweifel Hiddensee und das aus mehreren Gründen.

Zwei Stunden Meeresbrise in den Haaren

Es ist ein sommerlicher Samstag in Greifswald und die frühe Morgenstunde lässt mich noch ein wenig müde aus den Augen blicken. Der Zug bringt meine Freundin und mich innerhalb von einer halben Stunde nach Stralsund. Vorbei an hanseatischen Backsteinbauten rollen unsere Fahrräder langsam den kleinen Fährhafen an, an dem sich bereits andere Reisende eingefunden haben. Die Schlange am Kartenschalter ist jedoch überschaubar und innerhalb von wenigen Minuten halten wir die Tickets für uns und unsere Fährräder in der Hand. Am Horizont können wir schon die Fähre erkennen, die uns in unser Stück Urlaub bringen wird. Beim Beladen der Fähre heißt es Geduld bewahren – systematisch werden die Fahrräder je nach Zielort aneinander gereiht. Und schon legt die Fähre ab und wir genießen die einmalige Aussicht und die Meeresbrise in den Haaren.


Vorbei an Rügen und zahlreichen Segelbooten, betreten wir nach knapp zwei Stunden die Insel Hiddensee. Von unserem Anlegepunkt Neuendorf geht es weiter in den Norden der Insel. Aber bloß kein Stress, ungefähr fünf Stunden bleiben bis zur Abfahrt der letzten Fähre und laden uns ein die schönen Details Hiddensees zu entdecken. Und davon gibt es reichlich. Man hat den Eindruck, dass die Einwohner sich nicht den Touristen anbiedern, sondern ihre Insel liebevoll gestaltet haben, um dort zu leben. Keine billigen Souvenirläden oder überteuerte Restaurants und Cafés wollen den Urlaubern die Geldbeutel leeren. Stattdessen sind frisch gebackener Kuchen, einheimische Töpfer- und Nähkunst und natürlich reichhaltige Fischbrötchen und -gerichte aus eigenem, regionalem Fischfang im Angebot der Insel. Natur und Siedlungsgebiete stehen in einem harmonischen Einklang zu einander und das ist es was Hiddensee besonders macht: die Insel wirkt trotz hoher Besucherzahlen authentisch.

Auto- und abgasfrei

Hiddensees Besucher sind vielfältig. Von der Kleinfamilie über Jugend- und Seniorengruppen bis hin zum allein reisenden Mittzwanziger, lockt die Insel zu allen Jahreszeiten Besucher an. Tendenz steigend. Und das ist wenig verwunderlich. In Zeiten, in denen von „Energiewende“ und „Nachhaltigkeit“ fast täglich in den Medien berichtet wird, scheint Hiddensee genau in das Lebensmodell einer neuen, bewussteren Generation zu passen. Alles ist im Wandel begriffen, aber die Insel wirkt wie ein Flecken Erde, der sich nicht verändern muss, da hier zu jeder Zeit der „grüne“ Lebensstil vorherrschte. Und das wird sich auch in den nächsten Jahrzehnten nicht ändern. Diese Beständigkeit strahlt etwas sehr Beruhigendes auf seine Besucher aus.

Foto: © Ina Hartmann
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Das Beste an der kleinen Ostseeinsel blieb bis jetzt jedoch unerwähnt. Hiddensee ist größtenteils auto- und somit abgasfrei. Ein Zustand, den ich schon nach wenigen Minuten zu schätzen wusste und vor allem riechen konnte. Entspannt schlängeln sich die gut ausgebauten Fahrrad- und Deichwege zwischen den Siedlungen entlang. Weder laute Motorrad- noch rasende Autofahrer behindern die eigene Fahrt. Dafür begegnen uns vereinzelt Pferdekutschen und vor allem Wanderer und andere Fahrradfahrer. Auch wenn sich die Besucher auf der Insel gut verteilen, trifft man sich doch an einem bestimmten Punkt der Insel wieder: der Leuchtturm Dornbusch im Norden der Insel muss gesehen und wahlweise erklimmt werden.

Ein Blick auf die Uhr lässt uns wehmütig an die Heimfahrt denken. Ohne einen abschließenden Sprung in die Ostsee ist der Miniurlaubstag jedoch nicht vorstellbar. Das Wasser ist wärmer als gedacht und schaukelnd zwischen den Meereswellen lassen sich die Eindrücke des Inseltages sammeln. Erholt und erschöpft zugleich schieben wir unsere Fahrräder auf das Schiff. Ein Blick in die Gesichter der anderen Passagiere verrät, dass es ihnen ähnlich geht. Schön war es, Hiddensee. Wir kommen auf jeden Fall wieder!

Ina Hartmann

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juli 2013

    Hiddensee

    Die Insel Hiddensee ist die größte Insel des Nationalparkes Vorpommersche Boddenlandschaft und liegt westlich von der Insel Rügen in der Ostsee. Sie gehört zum Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Die Form der Insel erinnert an ein Seepferd, das auch das Wappen der Gemeinde Insel Hiddensee ziert.

    Auf der rund 17 km langen Insel leben rund 1000 Einwohner, die größtenteils vom Tourismus leben. Neben dem Fischfang, ist die Produktion aus den Beeren des Sanddorns eine weitere regionale Besonderheit. Die Fähre steuert mehrmals täglich die drei größeren Siedlungsgebiete der Insel an: den im Süden befindliche Hafen Neuendorf, den zentralen Inselhafen Vitte und den nördlichsten Hafen Kloster.

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