Im Reich der Khmer, dem Expat-Paradies
Ein nicht enden wollender Strom von Motorrädern und Autorikschas drängelt sich Tag und Nacht durch die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh. Jeden Tag kämpft sich auch Veronika Jemelíková auf ihrem roten Fahrrad durch die Stadt. Sie fährt in das Büro der UNO, wo sie als eine von etwa 20 ausländischen Freiwilligen dabei hilft, die Arbeit der im Lande aktiven NGOs zu koordinieren. Sie fühlt sich hier pudelwohl. Und das obwohl Kambodscha nicht nur das Land reizender grünen Reisfelder und herrlicher Tempel ist, sondern man auf Schritt und Tritt auch hungernden Bettlern und verstümmelten Minenopfer begegnet. „Jeder Ort ist anders, die Leute haben eine andere Mentalität und andere Prioritäten. Wer aber die Dinge so annimmt wie sie sind, kann überall leben“, sagt Veronika.
Seit Februar 2013 ist Veronika für die UN Volunteers tätig. Sie sammelt die Geschichten von kambodschanischen Freiwilligen, die die jungen Menschen zur Zusammenarbeit mit den hiesigen gemeinnützigen Organisationen motivieren sollen. Für die Dachorganisation VolCom hat sie die Internetseiten gestaltet. Jetzt bereitet sie einen regionalen Newsletter vor und organisiert einen Fotowettbewerb zum Tag der Jugend
Zu ihrer Arbeit gehören auch zahlreiche diplomatische Verhandlungen. Veronika erläutert die schwierige Position der UNO, die stets zwischen der offiziellen Regierung und dem NGO-Sektor steht: „Man muss dabei immer neutral bleiben, und das ist für die NGO-Leute oft schwer. Auf der anderen Seit bereichert es mich sehr, wenn man von Profis lernen kann, die sich schon seit Jahren mit Diplomatie beschäftigen.“
Als Freiwillige für die UNO zu arbeiten war Veronikas lang gehegter Traum. Als sich dann schließlich die Möglichkeit ergab, griff sie sofort zu. „Ich beobachte die Menschen gerne dabei, wie sie sich bemühen, ihr eigenes Land voranzubringen, und es macht mir Spaß, sie dabei zu unterstützen“, erklärt sie den Hauptbeweggrund, warum sie gerade hierhin gekommen ist. Neben der Arbeit, die sie als sinnvoll erlebt und die sie persönlich weiterbringt, wurde ihr in Kambodscha auch klar, dass man einige Dinge, die in Europa selbstverständlich sind, auch ganz anders betrachten kann.
Schwitzen wie ein SchweinDurch die verschwitzten Straßen von Phnom Penh laufen die Menschen mit langen Hosen und langärmligen Hemden, um ihre Haut vor der Sonne zu schützen. Während Europäer Geld fürs Solarium ausgeben, kaufen sich die Kambodschaner Aufhellcreme. Man bekommt hier auch Mittel, die die Brustwarzen rosa färben. „Zuerst habe ich das als eine Art Schattenseite der Globalisierung betrachtet. Aber dann habe ich festgestellt, dass es sich um eine jahrhundertealte Tradition handelt. Die Feldarbeiter, die einen niedrigeren gesellschaftlichen Status hatten, waren natürlich gebräunter“ erklärt Veronika die Wurzeln der südasiatischen Sehnsucht nach heller Haut.
Vor ihrer Reise nach Kambodscha hat sie sich Sorgen gemacht, wie lange sie brauchen würde, um sich an das Land zu gewöhnen. „Ich kam kurz vor Beginn der heißesten Jahreszeit an. Im Geiste dankte ich Gott für alle Stunden, die ich in der Sauna und mit Hot-Yoga-Übungen verbracht habe. Nachdem ich mich geistig damit abgefunden hatte, dass ich den Rest des Jahres wie ein Schwein schwitzen würde, habe ich mein Make-up weggeschmissen. So etwas verliert bei solchem Wetter total seinen Sinn.“
Nur nicht den Kopf berührenBasisinformationen über die Gewohnheiten und Traditionen eines Landes kann man sich zuhause aneignen, meint Veronika. Die Feuertaufe findet dann allerdings erst vor Ort statt. Sie hatte sich von selbst entschlossen die Grundlagen von Khmer, der Amtssprache Kambodschas, zu lernen. Dadurch wollte sie sich die Kommunikation mit den Einheimischen erleichtern – ganz nach dem Motto „when in Rome, do what the Romans do“. Diese Herangehensweise hatte sie noch nie enttäuscht, und auch in diesem Fall konnte sie dadurch die Lebensweise der Kambodschaner besser und näher kennenlernen.
Im Leben der Khmer [, die mit etwa 86 Prozent die größte Ethnie des Landes stellen, Anm. d Red.], spielt die Religion eine zentrale Rolle. Es überwiegt der Buddhismus, der sich auf unterschiedliche Art und Weise mit anderen geistigen Strömungen vermischt. Fast vor oder in jedem Haus gibt es einen Opfertempel, eine kleine hölzerne Pagode. In der Regel opfern die Menschen Brot oder Obst. „Laut der Einheimischen mag Gott allerdings am liebsten Alkohol, also steht auf diesen Pagoden ein Schnaps neben dem anderen“, sagt Veronika und erzählt von ihrem kleinen religiösen Fauxpas: „Ich habe erfahren, dass die Kopfoberseite eines Menschen für die Khmer einen heiligen Ort darstellt und sie deshalb von niemandem berührt werden sollte. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass man Kinder nicht über den Kopf streicheln darf. Allerdings gehören Khmer-Kinder zu den reizendsten Geschöpfen, die ich je gesehen habe, und es ist mir dann schon ein paar Mal passiert, dass ich diese Regel vergessen hatte und den Kindern einfach über die Haare strich.“
Die Dinge nehmen wie sie sindLaut Veronika gehören die Kambodschaner zu den freundlichsten Menschen der Welt. Allerdings trägt auch dieses Land die Last einer blutigen Vergangenheit mit sich. Von Zeit zu Zeit zeigt sich nämlich, dass die „Zeit der Roten Khmer noch alle tief in sich tragen. Jeder hat entweder einen Nächsten verloren oder kannte auf der anderen Seite einen Menschen, der zu den Roten Khmer gehörte. Hinter dem freundlichen Lächeln versteckt jeder die dunkle Seite der Geschichte seines Landes.“ Allerdings ist das in Kambodscha keineswegs die einzige Sache, die man versteckt.
Dieses Land ist nämlich ein Paradies für Expats, Menschen, die vorübergehend oder dauerhaft außerhalb ihres Heimatlandes leben. Es gibt in Kambodscha derart viele solcher Leute, dass es in Phnom Penh mittlerweile nur so wimmelt vor Bars, wie man sie aus europäischen oder amerikanischen Städten kennt. Diese „Zugezogenen“ haben geradezu ganze Stadtviertel in Beschlag genommen. Das ist Veronika nicht ganz geheuer. Für sie ist der Schlüssel für die erfolgreiche Integration in eine völlig fremde Kultur das Motto „when in Rome, do what the Romans do“. Die Dinge ganz einfach so anzunehmen, wie sie sind und ihnen entgegenzugehen.