Für den unbekannten Hund

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Dreiteiler, Hut und Stecken: Ein Wandergeselle, der am Straßenrand den Daumen raushält, dürfte vielen Autofahrern bekannt sein. Doch vermutlich haben nur wenige je einen solchen Tramper mitgenommen. Und noch weniger haben von ihrem Mitfahrer viel über dessen Alltag erfahren. Auch die Medien und vor allem die Unterhaltungsbranche behandelten das Thema bislang eher stiefmütterlich. Der Film „Für den unbekannten Hund“ (2007) von Dominik und Benjamin Reding bietet die Möglichkeit, in die Welt der Wandergesellen einzutauchen.

Ohne Handy, ohne Haargel, aber immer schön zünftig

Betonbauer Bastian (Lukas Steltner) ist gerade zwanzig Jahre alt und frisch aus dem Knast entlassen, da entschließt er sich – scheinbar – aus heiterem Himmel, als Wandergeselle durch die Lande zu ziehen. So richtig verstehen kann das niemand, denn eigentlich ist Bastian überhaupt nicht für dieses Leben geschaffen und für die strengen Regeln und Traditionen schon gar nicht: Normalerweise würde er ohne Handy und Haargel nicht einmal die Wohnung verlassen. Klar, dass er in Gesellenkreisen mehr als skeptisch aufgenommen wird. Vor allem Festus (stark: Sascha Reimann aka „Ferris MC“) glaubt, dass das „geschniegelte Tausendschönchen“ auf der Straße völlig fehl am Platze ist.

Diese Zweifel sind nicht unberechtigt, denn Bastians Gründe für die Walz liegen nicht etwa in der bloßen Überzeugung: Bastian hat einen Menschen getötet. Das weiß aber niemand außer seinem „Kumpel“ Maik. Und dieser nutzt sein Wissen prompt aus, um damit Geld zu erpressen. Die Wanderschaft ist also vor allem ein Vorwand, um Maik zu entkommen.

Aller Einsprüche zum Trotz nimmt der erfahrene Geselle Samarit (Puja Behboud) den Neuzugang unter seine Fittiche. Mit schlimmen Folgen: Bereits bei ihrem ersten Auftrag wird Samarit durch Bastians Unachtsamkeit schwer verletzt und landet im künstlichen Koma.

Von zweiten Chancen

Bastians Weg könnte nun beendet sein, noch bevor er richtig angefangen hat. Doch stattdessen nimmt sich Festus des jungen Mannes an. Denn der weiß am allerbesten, dass jeder mal einen Fehler machen kann. Und manche davon wiegen eben besonders schwer. Festus hat nämlich selbst am Tod eines Menschen zu knabbern: Er trennte sich im Streit von seinem Gesellenbruder Schmiege (Gunnar Melchers), der kurz darauf erschlagen wurde.

So ziehen nun zwei Menschen durch die Lande, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, teilen dieselben Erfahrungen und erleben sie doch auf völlig verschiedene Weise: Da ist zum Beispiel die kesse Inke (Katharina Lorenz), die Bastian gleich zu sich und ihrem Freund ins Bett holen möchte. Oder Leila (Zarah Löwenthal), heimgekehrte Steinmetz-Rockerbraut, mit der Festus eine Vergangenheit, aber keine Zukunft hat. Und überall ist der tote Schmiege präsent, der Bastian und Festus, gleich einem Geist aus der Vergangenheit, voneinander trennt und zugleich immer mehr verbindet.

Das Fremde kennen lernen

Die Wanderschaft als Methode, einem engen und aussichtslosen Alltag zu entkommen: Zweifelsohne eine unkonventionelle Lösung, sowohl für den gerade mal dem Teenageralter entwachsenen Protagonisten, als auch für einen Film, der besonders zu Beginn eher das klassische Coming-of-Age-Szenario zeigt. Spätestens nach dem ersten Auftritt der Wandergesellen wird dem Zuschauer jedoch klar, dass er es hier keineswegs mit einer Geschichte zu tun bekommt, wie er sie in dieser oder ähnlicher Form schon tausendfach gesehen hat. Die Walz als Ausgangsbasis für ein Roadmovie überzeugt nicht nur durch Innovation, sondern bietet auch spannende Einblicke in das Leben der Wandergesellen. Der Hauptcharakter muss sich in einem Milieu zurecht finden, das ihm völlig fremd ist – eine Situation, die er mit den meisten Zuschauern teilen dürfte. Doch genau deswegen hat der Zuschauer die Möglichkeit, gemeinsam mit dem Hauptdarsteller eine unbekannte Welt zu entdecken.

Ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist dabei bisweilen die Sprache. Die Dialoge der Gesellen finden häufig auf Rotwelsch statt, der historischen Geheimsprache der Bettler und Wandergesellen. Das erschwert das Verständnis insgesamt aber nicht, sondern sorgt eher für atmosphärische Dichte. Auch handwerklich kann der Streifen sich sehen lassen: Der Soundtrack ist ein interessanter Mix aus zeitgenössischen, harten Beats und Themen mit barockem Anklang. Außerdem verleiht das Spiel mit Beleuchtung, ungewöhnlichen Farben und Slow-Motion einigen Szenen eine surreale Komponente.

Fazit: Das Anschauen wert!

Für den unbekannten Hund hat im Jahr 2007 einiges an Preisen abgeräumt, darunter den Publikumspreis auf dem Festival des deutschen Films Mannheim-Heidelberg, den Darstellerpreis für Sascha Reimann auf dem Internationalen Jugendfilmfestival Wien, den Otto Sprenger Preis aus dem Internationalen Filmfest in Oldenburg sowie den Hauptpreis Goldener Bieber auf dem Filmfest Biberach sowie das Prädikat „besonders wertvoll“ der Filmbewertungsstelle.

Verdiente Preise, auch wenn einige Handlungsstränge etwas konstruiert wirken und die einzige weibliche Wandergesellin Leila eher als Objekt der Begierde denn als zupackende Handwerkerin in Erscheinung tritt.

Doch insgesamt ist den Reding-Brüdern ein kleines Meisterwerk gelungen, ein Film mit angenehm unverbrauchten Schauspielern, über eine wenig beachtete Subkultur, über Schuld und Sühne, über Schicksal und Chancen, über Rache und Verzeihen und den Versuch der Wiedergutmachung.

Nach Aussage der Regisseure war übrigens auch jeder echte Wandergeselle, der in ihrem Berliner Büro übernachtet hat, überzeugt.

Für den unbekannten Hund ist auf jeden Fall ein Film, der – genau wie der trampende Wandergeselle am Straßenrand – mehr als einen flüchtigen Blick verdient.


Copyright: Goethe-Institut Prag
September 2013

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