Ich bin ein Hula-Hoop-Girl!

Foto: © Anna The Hulagan | HulaFitFoto: © HulaFit
Hula-Hoop-Kurs bei HulaFit in London, Foto: © HulaFit | hulafit.com

Die Londonerin Gill hat es nicht so mit Sport. Nicht nur, weil sie sich scheut, ihre „unerlaubt wellenden Körperteile“ zu zeigen. Sport macht ihr einfach keinen Spaß. Trotzdem traute sie sich auf einen Hula-Hoop-Kurs. Wie das wohl ausgegangen ist?

Freizeit, das ist für mich ein gemütlicher Sessel und gute Gesellschaft, aber bestimmt kein Lycra-Anzug. Allein der Gedanke an jegliche Art von Aerobic-Übung weckt in mir den Wunsch, mich auf einer Couch auszuruhen. Kann Bewegung noch zu etwas Anderem gut sein als zur Leistungssteigerung der Lungen und zur Verkleinerung des Hinterns, zum Beispiel zum Vergnügen?

Voga, Roller skiing und Ultimate Frisbee

In meinem Fall geht es nicht bloß um die tief verwurzelte Furcht davor, die Öffentlichkeit mit meinen sich unerlaubt wellenden Körperteilen zu überfluten. Jegliche Art von organisiertem Sport kam mir schon immer monoton, dumm und hochgradig abstoßend vor. Und es sieht so aus, als wäre ich da nicht die einzige. Viele Menschen sind auf der Suche nach weniger traditionellen Alternativen zu traditionellen Sportarten, und so entstehen viele neue Möglichkeiten, sich zu bewegen. Da gibt es zum Beispiel Voga: eine scheinbar unmögliche Kombination von klassischem Yoga und Vogue, dem Tanzstil, der vom Posieren bei Modeshootings inspiriert ist, und der von Madonna populär gemacht wurde. Wer von verschneiten Skipisten träumt, aber von der Hand des Schicksals erbarmungslos im Beton-Dschungel festgehalten wird, für den gibt es einen Kompromiss auf Rollen, das Roller Skiing. Und allen Adrenalin-Junkies kann mit einer Fahrt auf einem Mountainbike und dem sogenannten Urban Mountain Biking geholfen werden.

In diesem Überangebot an farbenprächtigen Fitnesstrends findet sich bestimmt auch etwas für eine kleine Londonerin, die an einer Phobie vor öffentlichen Sportübungen leidet. „Bike Polo“ oder „Ultimate Frisbee“ sind es schon mal nicht, denn als richtige Britin habe ich große Angst davor, dass ich meine Mitspieler enttäuschen könnte. Außerdem hat mich im Alter von 14 Jahren der missglückte Versuch, Badminton zu spielen, fürs Leben gezeichnet. Ich war einfach unfähig, den Ball zu treffen! Alles, was nach Akrobatik riecht, wie zum Beispiel „Pole Dancing“ oder „Trapeze Class“, kommt auch nicht in Frage. Das einzige, was mich verlocken kann, ist eine dynamische Solo-Aktivität, die für Einzelpersonen jeder Fitnessklasse bewältigbar ist. Die Lösung kam mir beim Surfen im Internet entgegen geschwappt und mein ganzer Körper erahnte sofort das Versprechen eines kardiovaskulären Erlebnisses. Hula-Hoop!

„I would be a hula girl!”

In London gibt es ein großes Angebot an Hula-Hoop-Sportarten, meine Wahl fiel auf HulaFit. Die Besitzer dieses Fitness-Studios sind Anna und Rob Byrne. Sie sind begeisterte Vertreter aller sportlichen Reifen-Aktivitäten und haben mehrere Zweigstellen in der ganzen Stadt. Durch das Training mit dem Reifen kann man angeblich den Bauch in Form bringen, die Kondition verbessern und die so verhassten Kalorien verbrennen. Am meisten hat mir aber gefallen, was die Byrnes auf ihrer Website versprechen, nämlich dass „das eigentliche Ziel, das wir erreichen wollen, der Spaß bei der Sache ist“! Also war klar: heute versuch ich’s als Hula Girl! Vielleicht schlummert in mir ja ein verborgenes Talent zur amazonenhaften Hula-Tänzerin, das endlich ans Tageslicht will. Es genügten ein paar Klicks, sieben britische Pfund und schon war ich voller Hoffnung, Vorfreude und mit Sportschuhen an den Füßen auf dem Weg nach Vauxhall.

Na gut, vielleicht übertreibe ich ein bisschen, denn außer begeistert war ich auch noch verdammt nervös. Was, wenn ich den Rhythmus nicht finde? Was, wenn man mich auslacht? Was, wenn ich die einzige Riesin zwischen lauter Fitness-Nymphen bin? Und der größte Horror von allen: Was, wenn ich das mit dem Reifen nicht hinkriege?! Trotz all der Fragezeichen überwog aber der gute Wille, dem Hula-Hoop eine Chance zu geben und es einfach zu genießen. Und es hat sich gelohnt!

Hula-Hoop-Schnellkurs mit Anna the Hulagan

Ich muss wirklich sagen, dass mich der Anblick einer Horde von vierzig hulahoopenden Individuen wirklich fasziniert hat. Es hatte eher was von einem feierlichen Betriebsausflug der Duracell-Hasen. Die Atmosphäre im Fitness-Raum war angenehm und locker, und zu meiner Erleichterung trug niemand einen Gymnastikanzug aus Lycra. Unter den Kursteilnehmern waren alle möglichen Altersgruppen vertreten – von Unter-Zwanzigjährigen bis zu fast Fünfzigjährigen. Einige Hooper waren bereits sichtbar vom Sport gestählt und die Reifen kreisten nur so um ihre Taille wie ein Armreif um einen Bleistift. Ich bemerkte aber auch ein erhöhtes Vorkommen rundlicherer Frauen und sogar ein paar vollschlanke, bei denen der Reifen seine Kreise auf keinen Fall um eine Wespen-Taille zog.

Mit einem Lkw-Reifen um die Taille

Die Stunde wurde von Anna geleitet, der Mitbegründerin von HulaFit. Nach einer freundlichen Begrüßung forderte sie uns zügig dazu auf, den Reifen zu ergreifen. Sie gab uns den Tipp, dass man sich als Anfänger möglichst den größten und schwersten Reifen aussuchen solle. Meiner hatte einen Durchmesser von einem Meter und wog 1,3 Kilo. Als ich den durch den Raum trug, hatte ich das Gefühl den Reifen eines Lkws zu transportieren.

Bevor wir mit dem Hula-Hoopen anfingen, erklärte uns Anna, wie man mit dem Reifen umgeht. Sie empfahl uns, aufrecht zu stehen, den Reifen schnell loszulassen, ihn gleichzeitig zu drehen und ihn durch gleichmäßige Vorwärts-und Rückwärtsbewegungen der Taille oben zu halten. Wenn der Reifen tiefer rutsche, müsse man nur ein bißchen in den Knie gehen, das Tempo steigern und ihn mit der stark beschleunigten Hüfte auffangen. Die Hula-Hoop-Stunde kann beginnen!

Unter beständigem Kreisen begannen wir mit einer Reihe von Dehnungsübungen für die Beine, der Stärkung der Arme und mit Kniebeugen. Man muss dabei ständig darauf achten, dass man den Rücken gerade hält und den Bauch anspannt, sonst sinkt der Hula-Hoop Richtung Boden. Die Muskelarbeit erinnerte mich stark an Pilates, bei dem man sich auch auf die Bauchmitte konzentriert. Aus den Boxen heulte Beyoncé und wir bemühten uns um elegante Bewegungen einer Amazonas-Anakonda – mehr oder weniger erfolgreich. Übrigens war die Playlist, zu der wir trainierten, genremäßig unausgewogen: viel Lady Gaga, aber auch Retro-Burner wie Rhytm is a Dancer von Snap! oder Michael Jacksons Beat It.

Über den Respekt zum Reifen

Einige Übungen kannte ich, aber wenn einem dabei ein Ring um den Körper oszilliert, bekommen sie ein ganz neues Ausmaß. Ein Hip-Hop-Hit dröhnte durch den Raum, als Anna uns dazu aufforderte, den Reifen fallen zu lassen (Erleichterung!) und uns auf den Boden zu legen. Sit-ups, Liegestützen und Übungen für die Waden. Als wir wieder auf den Beinen standen, forderte uns Anna dazu auf, den Reifen um die Hüfte statt um den Rumpf kreisen zu lassen, um die Oberschenkelmuskulatur zu trainieren. Wenn man bedenkt, dass es sich hier um eine Übung mit einem Kinderspielzeug handelte, machte es einem doch sehr zu schaffen. Besonders der Teil, wenn man den Reifen in der Kniebeuge um das Gesäß kreisen lässt und einem die Muskeln der Oberschenkel dabei in Höllenfeuer aufgehen. Auf jeden Fall spreche ich heute mit größerem Respekt über den Hula-Hoop-Reifen.

So ein Reifen ist ein unglaublich raffiniertes Sport-Gerät: wir haben ihn nicht nur zum Kreisen um die Taille benutzt, sondern sind auch durchgesprungen, haben uns über ihn gebeugt, haben mit ihm die Arme gestärkt und ihn als Stütze bei Sit-ups benutzt. Am wichtigsten war aber trotzdem, dass er so lange wie möglich um den Körper rotierte, was mir trotz aller hysterischen Drehungen, Schwingungen der Hüfte und In-die-Knie-gehen nicht so richtig gelingen wollte. So fiel der mehr als ein Kilo wiegende Reifen oft lautstark zu Boden, wobei er jedes Mal schmerzhaft meine Wade attackierte. Bis heute habe ich an der Stelle ein Andenken an dieses ausgelassene Erlebnis. Ich muss aber sagen, dass es anders war, als mit 14 beim Badminton wie ein Hund zu leiden. Dieses Mal hatte ich mich entschieden, die Stunde zu genießen, und ich komme zu dem überraschenden Ergebnis, dass mir das am Ende auch gelungen ist.

Foto: © Gill Fisher
Gills Andenken an ihre erste Hula-Hoop-Stunde, Foto: © Gill Fisher

Ein Drittel der Stunde habe ich zwar damit verbracht, den „Lkw-Reifen“ vom Boden aufzuheben, aber die Atmosphäre war freundschaftlich und ein paar Leute haben mir mitfühlend zugelächelt. Über die Musik kann man sich streiten, aber für diese Art von Sport war sie genau das Richtige. Und das Beste war, dass sich die Übungen häufig abwechselten, sodass man gar keine Zeit hatte, eine bestimmte nicht zu mögen oder sich zu ärgern, dass man sie nicht hinbekommt. Ständig passierte etwas Neues. Meine Unfähigkeit entging Anna nicht. Als sie mich nach Ende der Stunde fragte, wie mir das Training gefallen habe, beschwerte ich mich, dass mir der Reifen dauernd heruntergefallen war. Und da gestand mir diese Hula-Göttin, dass sie selbst eine Woche Training gebraucht hatte, bevor sie herausfand, wie das geht.

Den richtigen Dreh finden

Heute, also elf Jahre danach, unterrichtet Anna Hula-Hoop hauptberuflich. In ihrer Freizeit tritt sie auf Geburtstagen und bei Firmenfeiern als professionelle Hooperin auf, mit brennenden Reifen und unter dem Künstlername Anna the Hulagan. Zum Abschied gab sie mir den Rat, einen Reifen zu kaufen und zu üben. Angeblich muss man nur den richtigen Dreh herausfinden. Ich ging nach Hause und, oh Wunder, genau das habe ich gemacht! Ich habe mir tatsächlich einen Reifen bestellt und warte schon gespannt darauf, dass er ankommt. Fast mein gesamtes Erwachsenenleben habe ich damit verbracht, jede Form von organisierten sportlichen Aktivitäten zu sabotieren, also war die Hula-Hoop-Stunde eine wesentliche Entdeckung.

Entscheidend war auch das Gefühl, dass wir einfach so vor uns hin spielen, und nicht, dass wir uns in einem Fitness-Studio quälen. Aber weil nicht alle Menschen gleich sind, wird Hula-Hoop auch nicht jedem gefallen. Auf jeden Fall ist es angenehm, dass es heute so viele Alternativen zu nach Schweiß stinkenden Folterkammern gibt, die es sich lohnt auszuprobieren. Vor mir liegt noch ein langer, steiniger Weg, bevor ich der Welt meine graziösen Hula-Hoop-Bewegungen in einem BH aus Kokosnüssen vorführe. Ich freue mich aber, dass ich eine Sportart gefunden habe, die mir Spaß macht.

Gill Fisher
Übersetzung aus dem Tschechischen: Hanna Sedláček

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
Mai 2016
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