Bis die Räder quietschen!

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Wolfgang Mayer während der Paralympics 2008 auf der Chinesischen Mauer, Foto: © privat

Wolfgang Mayer ist seit einem Motorradunfall in den 80er-Jahren querschnittsgelähmt. Trotzdem wurde er Leistungssportler und spielte zehn Jahre für die deutsche Nationalmannschaft im Rollstuhlrugby – bis ihn ein Schlaganfall zwang aufzuhören und wieder von vorne anzufangen.

Wolfgang ist jemand, den man wohl als „Stehaufmännchen“ bezeichnen kann. Zweimal forderte das Schicksal von ihm einen Neubeginn. Mit 23 Jahren zog er sich bei einem Motorradunfall einen Wirbelsäulenquerschnitt zu. „Ich kann mich nicht mehr so gut erinnern, es ist schon so viele Jahre her. Aber klar war es damals ein Schock. Erschwerend kam hinzu, dass sich meine Hüfte versteift hatte und deshalb noch weitere Operationen notwendig wurden. Trotzdem gewöhnte ich mich schnell an den Rollstuhl. Es bleibt auch nichts anderes übrig, als die Situation zu akzeptieren.“

Nicht nur seine große Leidenschaft, das Motorradfahren, musste Wolfgang aufgeben. „Bei der Bundeswehr hatte ich mit dem Laufen begonnen. Während ich vor dem Unfall jeden Tag im Wald joggen ging, war auch damit Schluss.“ Auch beruflich musste sich der heute 51-jährige Wolfgangneu orientieren. Vor dem Unfall war er Maschinenschlosser gewesen; danach machte er eine Umschulung zum Technischen Zeichner.

300 Kilometer zum Mannschaftstraining

„Manchmal war ich monatelang in der Klinik“, erinnert sich Wolfgang. „Da kann sich die Zeit schon in die Länge ziehen.“ Abwechslung versprach jedoch das Sportangebot der Klinik. „Bei einem Reha-Aufenthalt 1996 lernte ich zum ersten Mal Rollstuhlrugby kennen. Vorher hatte ich mit Sport, außer dem Laufen, fast überhaupt nichts am Hut, aber die Schnelligkeit des Rollstuhlrugby und die Möglichkeit, Abwechslung und Balance zu meinem Handicap zu schaffen, faszinierte mich.“

Wieder zu Hause hatte er das Rugby trotzdem schon fast wieder vergessen. In der Nähe seines Wohnortes Speinshart in der Oberpfalz gab es ohnehin keinen Verein. Dann aber bekam Wolfgang das Angebot, jeweils am Wochenende bei den Ulmer Donauhaien mitzuspielen. Mit einem Freund aus Herrieden, den er im Krankenhaus kennen gelernt hatte, machte er sich nun jedes zweite oder dritte Wochenende auf den Weg zum Training im beinahe 300 Kilometer entfernten Ulm: „Während der Meisterschaftsphasen absolvierten wir vormittags meistens mehrere Stunden individuelle Übungen und Krafttraining, nachmittags widmeten wir uns verschiedenen Spielsituationen und unserer Kondition“, erzählt Wolfgang.

Auch unabhängig vom Mannschaftstraining am Wochenende trainierte Wolfgang viel und machte rasche Fortschritte. Der Lohn war schon bald die Berufung in die deutsche Nationalmannschaft.

Mit der Nationalmannschaft um die Welt

Mit der Nationalmannschaft erkundete Wolfgang Länder, die er ohne den Sport wahrscheinlich nie gesehen hätte. „Ich habe unglaublich viel erlebt“, sagt er. Turniere führten ihn mit der Nationalmannschaft nach Kanada, Amerika, China, Australien, Singapur, Griechenland und auch in viele weitere europäische Länder. An insgesamt drei Paralympischen Spielen nahm Wolfgang teil: 2000 in Sydney, 2004 in Athen und 2008 in Peking. Bei den Weltmeisterschaften in Neuseeland und Schweden gehörte Wolfgang zum Kader. Auch nach Tschechien verschlug es ihn dank des Sports regelmäßig: Einmal jährlich besuchte Wolfgang mit seinem Team die Rugbymania im mittelböhmischen Nymburk.

Auf seinen Reisen durfte Wolfgang nicht nur sportliche Erfahrungen machen. Begeistert berichtet er von Schnorcheln in einer Australischen Bucht, von Empfängen in luxuriösen Hotels oder von Ausflügen zur Chinesischen Mauer und anderen berühmten Sehenswürdigkeiten. „Ohne den Sport hätte ich nie die Chance bekommen, solche Erlebnisse zu machen.“

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Wolfgang Mayer während der Eröffnungsfeier der Paralympics 2008 in Peking, Foto: © privat

„Der Schlaganfall war schlimmer als der Querschnitt“

Gerade als Wolfgang plante, seine Karriere als Leistungssportler im früher oder später an den Nagel zu hängen, erlitt er bei einer Routine-OP im Jahr 2009 einen Schlaganfall: „Der Schlaganfall war schlimmer als der Querschnitt damals, ich musste wieder ganz von vorne anfangen.“

Fünf Wochen lag Wolfgang im Koma. Das Aufwachen war ernüchternd. „Die Ärzte diagnostizierten eine rechtsseitige Körperlähmung. Ich musste alles neu lernen, meinen Job musste ich aufgeben, auch den Sport konnte ich nicht mehr ausüben. Auch Auto fahren konnte ich nichts mehr. Das fiel mir besonders schwer, da auch meine sozialen Kontakte darunter litten.“ Doch Wolfgang gab nicht auf. Er trainierte seine Beweglichkeit und sein Sprachvermögen. Langsam, Schritt für Schritt, kam er zurück ins Leben.

Mittlerweile kann er wieder leichten Sport betreiben. „So wie zuvor wird es aber nicht mehr. Eigentlich ist der Sport jetzt kein richtiger Sport im Vergleich zu dem, den ich vorher ausgeübt habe. Es ist aber trotzdem wichtig für meinen Kreislauf, mich regelmäßig zu bewegen, und ich bin froh, wieder nach draußen zu können.“ Mit seinem extra angefertigten Fahrrad fährt er oft die Strecke, auf der er damals als aktiver Rollstuhlrugby-Spieler regelmäßig trainierte: „Jeden Berg schaffe ich zwar nicht mehr, aber dafür habe ich einen Akku dabei, der anspringt, wenn ich außer Puste bin.“ Zu Hause sitzt Wolfgang täglich eine halbe Stunde auf seinem Hometrainer. „Meine Motivation ist ganz einfach: entweder ich bleibe stehen oder es geht weiter. Und es muss einfach weiter gehen.“


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Juni 2016

    Rollstuhl-Rugby

    Rollstuhl-Rugby ist eine Mannschaftssportart für Sportler, die Einschränkungen an mindestens drei Gliedmaßen vorweisen können. Gespielt wird auf einem Basketballfeld in der Halle. Dabei kann es ganz schön zur Sache gehen, denn zwei Mannschaften zu je vier Spielern kämpfen darum, den Ball über die gegnerische Torlinie zu fahren. Gespielt wird in vier Leistungsklassen: Champions League (international),1. und 2. Bundesliga und Regionalliga. Rollstuhlrugby ist seit dem Jahr 2000 auch eine paralympische Disziplin. International dominieren die Teams aus den USA, Kanada, Australien und Neuseeland.

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