Zum Outdoor-Sport einen Cappuccino

Foto (Ausschnitt): Michael Pollak, CC BY 2.0Foto (Ausschnitt): Michael Pollak, CC BY 2.0
Foto (Ausschnitt): Michael Pollak, CC BY 2.0

Berlin liegt weit entfernt von den Bergen. Trotzdem gehen immer mehr Berliner klettern – in Hallen, die in allen Stadtteilen wie aus dem Boden sprießen. Ist der Trendsport auf dem Weg zum Mainstream-Sport? Ja, sagen Norbert Ebel (31) und Leo Méndez Lenk (33). Und finden das auch gut so: Das Klettern mache eine ähnliche Entwicklung durch wie einst das Schwimmen – und passe sich den Bedürfnissen der Stadtmenschen an. Ein Interview mit den Klettersportlern, die bald ihre eigene Boulderhalle eröffnen.

Der Stadtmensch, der weit entfernt von der Natur Klettersport betreibt – hat das noch viel mit dem ursprünglichen Sport zu tun?

Norbert: Es ist schon etwas anderes, aber wir machen es hier, damit wir später am Naturfels schöne Routen klettern können. Also als Training für draußen. Aber gleichzeitig ist es eine eigene Sache für sich. Wir klappern auch hier die Hallen nacheinander ab und freuen uns über neugeschraubte Boulder. Aber draußen ist es immer noch am schönsten.

Leo: Und es ist vor allem so, dass bei uns die Community an die Hallen gebunden ist. Das ist schon ein großer Unterschied zu den Leuten, die in Felsgebieten groß werden, denn die treffen sich natürlich am Fels. Die Entwicklung der letzten fünf, sechs Jahre ist, dass es so viele Hallen gibt, dass in jeder Halle eine eigene Community entsteht. Das ist so in allen Großstädten, die weit entfernt sind vom Fels, folgt aber demselben Prinzip wie in den Outdoor-Gebieten.

Entsteht da gerade ein neuer Typus des Klettersportlers?

Norbert: Ja, da gibt es zwei Charaktere. Es gibt diejenigen, die das so ein bisschen als Fitnessstudio sehen, und dann die anderen, für die der Hallensport auch die Vorbereitung auf das Rausgehen ist. Wir waren jetzt am Wochenende in Tschechien klettern, und das ist schon was anderes als der Hallensport. Das macht dann nicht nur Spaß. Das schmerzt in den Fingern, es ist nicht so komfortabel. Man schläft draußen – muss man nicht, gehört aber irgendwie auch dazu. Das ist ein anderer Menschenschlag als der Fitnesstyp. Ein Typ, der mir noch nicht begegnet ist, ist der, der die Kletterhalle als Fitnessstudio ansieht und dann am Wochenende in ein Hotel fährt, um im Freien zu bouldern. Also die Outdoor-Kletterer sind meistens allgemein naturverbundener, und bouldern dann im Freien nicht nur, sondern gehen da auch anderen Outdoor-Aktivitäten nach.

Leo: Darauf spielen wir auch ein bisschen mit unserer Namensgebung an. Bouldergarten – das steht auch dafür, dass wir da einen domestizierten Outdoor-Sport betreiben. Da kannst du halt gesichert und in behüteter Atmosphäre bei einem Cappuccino deinem Outdoor-Sport nachgehen.

Foto (Ausschnitt): afpitch, CC BY-SA 2.0
Foto (Ausschnitt): afpitch, CC BY-SA 2.0

Ist Klettern ein Trendsport, der in Berlin fast schon zum Lifestyle gehört?

Leo: Da würde ich ganz klar trennen zwischen Fels und Plastik. Beim Plastik ist es ganz klar ein Trend, der Teil des ganzen Individualisierungswahns ist, etwas Spezielles, etwas Anderes zu machen. Das wird irgendwann abebben, weil die Entwicklung gerade hin zum Mainstream-Sport geht. Lifestyle bedeutet für mich: Wie groß ist deine Bereitschaft, deine Lebenszeit nach einem Hobby auszurichten. Und da ist das Felsklettern ganz klar ein Lifestylesport. Du musst immer extrem viel Zeit aufwenden, um irgendwohin zu fahren. Das bedeutet, du kaufst dir irgendwann ein entsprechendes Auto, du passt die Sachen, die du dir kaufst – dein Auto, deine Klamotten – deinem Hobby an. Du richtest deine Urlaube danach aus, deine Wochenenden, deine sozialen Kontakte.

Ist es bei euch so?

Norbert: Ja.

Leo: Tja, ich hab mir irgendwann einen Bus gekauft.

Muss man eigentlich so oft trainieren wie ihr es tut, um einen Erfolg zu haben?

Leo: Nein, ganz und gar nicht. Du kannst den Erfolg schon beim ersten Mal haben. Das ist das Reizvolle am Bouldern, gerade im Vergleich zu anderen Trendsportarten. Snowboarden, Surfen: Das ist alles so kompliziert und sehr ans Outdoor gebunden. Das fällt beim Bouldern weg. Man ist auch in Bezug auf die eigene Körpergröße extrem variabel. Egal, was du physisch mitbringst, du hast überall Vor- und Nachteile. Und du kannst es auch mit Köpfchen machen. Es ist eine der wenigen Sportarten, in denen Männer und Frauen fast gleich stark vertreten sind.

Norbert: Und ein Sport, in dem Frauen, die oft technischer an die Probleme herangehen, Männern vormachen können, wie es geht.

Leo: Du kannst bei jedem Problem – eine Route wird ja immer Problem genannt – verschiedenste Lösungen finden. Es gibt nicht die eine richtige Lösung. Ich glaube, das ist etwas, was unsere Generation insgesamt ziemlich ansprechend findet. Man kann seine eigene Lösung umsetzen, die nur man selbst entwickelt hat. Das ist etwas sehr Schönes.

Du hast gesagt, dass die Begeisterung für den Sport abebben wird, wenn der Sport zum Mainstream wird…

Leo: Ich meinte diese Trendmarke Klettersport. Da wird es irgendwann einen kleinen Rücklauf geben von diesen ganzen Trendsettern, die dann sagen: „Ach, Klettern, das ist jetzt Mainstream, hab ich keinen Bock mehr drauf. Ich such mir das nächste.“ Aber ganz viele werden dabei bleiben, weil der Sport so vielfältig ist. Es kann dich daran eben das Reisen und Erkunden ansprechen…

Norbert: …oder auch der soziale Aspekt. Gerade im Bouldern kommt man wahnsinnig schnell in Kontakt mit anderen. Man kann den Sport zwar für sich alleine machen, aber wenn man es will, kommt man auch sehr schnell in Kontakt. Äußerst kommunikativ.

Leo: Äußerst. Partys kannst du sein lassen, wenn du bouldern gehst.

Foto (Ausschnitt): Michael Pollak, CC BY 2.0
Foto (Ausschnitt): Michael Pollak, CC BY 2.0

Stichwort sozial: Ist nicht gerade Klettern ein Sport, der nur in sehr begrenzter Weise sozial ist, nämlich nur für diejenigen, die sich den Eintritt in die Kletterhallen auch leisten können?

Leo: Es ist schon ein teurer Sport. Aber: Was kostet ein Kinoeintritt, was ein Eintritt ins Schwimmbad? Da geht es allgemein um die Frage, was du bereit bist, für deine Freizeitgestaltung auszugeben. Es gibt Zehnerkarten, es gibt Ermäßigungen. Wir wollen in unserer Kletterhalle auch mit dem Quartiersmanagement im Kiez zusammenarbeiten und Sozialtarife anbieten. Ganz wichtig ist uns außerdem, die Halle auch für Schulklassen zu öffnen. Ich glaube, dass Klettern ein Riesenpotential hat, weil die Zugangsbarriere so gering ist, weil es so vielfältig ist.

Norbert: Es gibt ja auch Leute, die einfach nur draußen an den Boulderblöcken in den Parks klettern gehen, weil sie es sich nicht leisten können, immer den Eintritt zu zahlen. Da gibt es schon Möglichkeiten.

Leo: Ich glaube, dass das Klettern eine ähnliche Entwicklung durchmachen wird wie das Schwimmen. Schwimmen war ja auch mal ein Outdoor-Sport. Wenn man sich ansieht, wo das Schwimmen jetzt ist, dann sieht man ein bisschen, wo das Klettern in 30 oder 40 Jahren sein wird. Es wird einfach normal. Jeder wird sein Eichhörnchen-Abzeichen in der ersten Klasse machen.

Ihr sagt ja selbst: Kletterhallen sprießen regelrecht aus dem Boden, gleichzeitig geht der Trend vielleicht zurück. Wenn man damit jetzt aber Geld verdienen will, so wie ihr – wie stellt man da sicher, dass das auch profitabel ist?

Leo: Es gibt nur zwei Hallen in Berlin, die einen Außenbereich haben. Unser Ziel war es deshalb, den Bouldergarten zu eröffnen – eben als Garten. Jetzt kriegen wir eine Halle, bei der wir auch einen Außenbereich machen können. Drinnen wollen wir außerdem therapeutische Ansätze in das Klettern integrieren. Dafür braucht man in der Halle Sonderbereiche, also therapeutische Wände. Man braucht auch geschultes Fachpersonal. Die Forschung hat jetzt erst begonnen, sich mit der Wirkung von Klettern zu beschäftigen. Die Uni Erlangen hat zum Beispiel vor kurzem eine Studie durchgeführt, bei der sich gezeigt hat, dass Klettern bei Depressionen helfen kann. Also Klettern macht einfach glücklich. Wir wussten das natürlich schon vorher.

Bouldern ist Klettersport ohne Seil, der an Felsen oder künstlichen Kletterwänden in Absprunghöhe stattfindet. Die Plastikgriffe an Wänden in Kletterhallen heißen Boulder. Um Klettersport am Fels oder in der Halle zu unterscheiden, sprechen Klettersportler auch von Natur und „Plastik“.
Das Interview führte Isabelle Daniel.

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
Juni 2016

    Bouldergarten

    Leo Méndez Lenk (33) und Norbert Ebel (31) klettern seit mehr als zehn Jahren – und lernten sich in Berlins erster Seilkletterhalle kennen. An deren Standort eröffnen die beiden Freunde, die Biologie bzw. Geologie studiert haben, im Herbst 2016 ihre eigene Boulderhalle. Im Bouldergarten soll die städtische Kletterkultur gelebt werden und sich ebenso an Outdoor-Sportler richten, die die Natur vermissen wie an Stadtmenschen, denen Plastik lieber ist als Sandstein.

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