Gefrorene Hoffnung

Foto: Rob Dammers, CC BY 2.0
Kalt! Aber für die Kryostase längst nicht kalt genug. Foto (Ausschnitt): Rob Dammers, CC BY 2.0

Eingefrorene Leichen, die in Tanks auf ihre Wiederbelebung warten. Das ist keine Science-Fiction. Immer mehr Menschen wollen dem Tod ein Schnippchen schlagen.

Großbritannien 2016: Krebstod mit 14 – dieses Schicksal will ein junges Mädchen nicht hinnehmen. „JS“ setzt auf die Zukunft. Wenn die heutige Medizin sie nicht retten kann, dann vielleicht Verfahren, die in 10, 50, vielleicht auch in 500 Jahren entwickelt werden. JS erstreitet sich vor Gericht das Recht, ihren Körper per Kryokonservierung erhalten zu lassen. Einfach ausgedrückt: Sie hat sich einfrieren lassen. Ziel dieses Verfahrens ist, den Körper in der Zukunft wieder zum Leben zu erwecken und Krankheiten mit neuen Techniken zu heilen.

Hoffnung für Schwerstkranke, Traum vom ewigen Leben oder Science-Fiction? Zwar ist das Verfahren noch längst nicht ausgereift, geschweige denn ein Toter wieder ins Leben zurückgekehrt. Trotzdem zeigen auch in Deutschland immer mehr Menschen Interesse an einer kryonischen Konservierung nach ihrem Tod. Hauptansprechpartner ist hierbei Deutsche Gesellschaft für Angewandte Biostase (DGAB).

Der Vorstandsvorsitzende Dirk Nemitz berichtet von „monatlichen Anfragen“. Wenn Dokus oder namhafte Zeitschriften das Thema Kryonik oder Kryostase größer herausbringen, seien es phasenweise noch mehr. „Es sind eher rationale Typen“, beschreibt Nemitz die Interessenten. „Das ist einmal der sehr lebensfrohe Typ, der aktiv ist und das Leben genießt.“ Es kämen aber auch solche, „die Angst haben, eines Tages nicht mehr zu sein.“ Beiden scheinbar konträren Motivationen liegt zugrunde, die Endlichkeit des Lebens nicht akzeptieren zu wollen. Grundsätzlich kann jeder die entsprechenden Vorkehrungen für sich treffen, vorausgesetzt, er kann es sich leisten.

Eine medizinische Notfallmaßnahme?

Die komplette Prozedur ist in Deutschland derzeit nicht möglich, vor allem aus rechtlichen Gründen. Zulässig ist aber, den eigenen Körper als Spende für das Langzeitexperiment zur Verfügung zu stellen. Die ersten Schritte des Verfahrens werden in Deutschland eingeleitet. Zuerst wird das Blut des Klienten mit einer Lösung ausgetauscht. Anschließend wird der Körper langsam auf minus 80 Grad heruntergekühlt. Anschließend wird er in die USA überführt, wo der Rest der Prozedur stattfindet und die Leiche schließlich bei minus 196 Grad in einem Tank gelagert wird. Der Fokus wird auf den Erhalt des Gehirns gelegt. Jedes andere Organ gilt als ersetzbar. Das Ganze kostet zwischen 30.000 und 210.000 US-Dollar, ab Ankunft in den USA.

Es ist von Vorteil, wenn der Körper so gut wie möglich erhalten ist und der Prozess so früh wie möglich nach dem Todeseintritt beginnen kann. Wann aber ist der Mensch wirklich tot? „Vor 100 Jahren war ein Herzstillstand eine endgültige Sache, heute gibt es Möglichkeiten, Menschen wiederzubeleben“, sagt Nemitz. Die Kryonik-Forschung versteht den Übergang vom Leben zum Tod eher als einen Prozess. „Aber natürlich gibt es eine rechtliche Definition des Todes“, erklärt Nemitz, „die ist bindend.“

Bevor ein Arzt den physischen Tod nicht festgestellt hat, darf das Kryo-Verfahren nicht beginnen. Das Einverständnis des nunmehr toten Patienten vorausgesetzt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Behandlung einer 2-jährigen Thailänderin, deren Geschichte Nemitz „besonders berührend“ fand. Die Eltern entschieden, den Körper ihrer Tochter durch das Kryostase-Verfahren zu erhalten. Kann eine Zweijährige ihr Einverständnis zu so einem Schritt geben? „So kleine Kinder verstehen das sicher nicht“, räumt Nemitz, der selbst einen Sohn im gleichen Alter hat, ein. Greifen Eltern damit zu sehr ein? Das sei eine Frage der Perspektive. Man könne das Kryostase-Verfahren auch als eine Art medizinische Notfallmaßnahme verstehen, sagt Nemitz: „Wäre es ein zu großer Eingriff, einen Rettungswagen zu rufen?“

Eine Wette auf die Zukunft

Abgesehen von ethischen Fragen, sehen sich Kryoniker aber auch ganz praktischen Einwänden gegenüber. Angenommen ein Mensch erwacht – wieder kerngesund – aus dem Kälteschlaf, um keinen Tag gealtert und er hat sämtliche Verwandte und Freunde überlebt. Dann kennt er doch niemanden mehr? „Wenn sich immer mehr Menschen dem Kryostase-Verfahren unterziehen“, glaubt Nemitz, „dann stellt sich diese Frage gar nicht.“ Im Umfeld von Menschen, die sich dem Kälteschlaf unterziehen wollen, beobachtet er eine generelle Offenheit für die Thematik. Freunde und Verwandte entwickelten ebenfalls Interesse. Menschen lernen sich über die DGAB kennen, Freundschaften entstehen. Durch so ein Netzwerk „stehen die Chancen gut, nach dem Aufwachen nicht allein zu sein.“

Und was ist mit Umwelt und Technik? Verlieren die Menschen nicht hoffnungslos den Anschluss? Auch diesen Aspekt habe die Kryostase-Forschung im Blick: „Niemand wird die Menschen aufwecken und direkt auf die Straße schicken“, versichert Nemitz. Angedacht seien Rehabilitationskliniken, in denen die „Aufgetauten“ lernen, was sie für ihr neues Leben wissen müssen. Die Ideen sind allerdings noch vage: „Derzeit liegt der Forschungsschwerpunkt auf dem medizinischen Aspekt“, so Nemitz. Und die Medizin ist noch weit davon entfernt, den Kryonik-Kunden Garantien geben zu können.

„Es ist eine Wette auf die Zukunft“, so Nemitz. “ Eine Investition in das Prinzip Hoffnung.

von altgriechisch kryos: Eis, Frost

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März 2017

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