Lasst uns nicht über Politik reden

© Občanská demokratická strana 1991 - 2013Foto: © Martin Nejezchleba
Mit Berlinern und vollmundigen Versprechen: Milliardär Andrej Babiš auf Wählerfang für seine Bewegung ANO. Foto: © Martin Nejezchleba

Tschechien steht vor vorgezogenen Neuwahlen. Der Wahlkampf bringt dabei eine Reihe Neuigkeiten: positive Slogans, mehr Populismus, weniger Inhalt und Angriffe auf die Politik als solche.

9 Uhr morgens, Rushhour in Prag. Die Rolltreppe spuckt einen Menschenschwall nach dem anderen vom Bahnsteig in die Eingangshalle der Metro-Station. Dort wartet Andrej Babiš. Der grau melierte Milliardär trägt einen schwarzen Rollkragenpullover und macht Wahlkampf für seine politische Bewegung ANO. Babiš verteilt Berliner.

Die Menschen reißen ihm die Tüten mit dem fettigen Gebäck aus der Hand. Babiš spricht die Passanten wahlweise mit „schönes Fräulein“, „Omi“ oder „Chef“ an. Sie bedanken sich. Das Wahlprogramm interessiert kaum jemanden. Viele wollen ein Foto mit dem Selfmademan, der scheinbar aus dem Nichts ein gigantisches Lebensmittel- und Medienimperium aus dem Boden gestampft hat. Nach den vorgezogenen Neuwahlen am 25. und 26. Oktober könnte seine 2012 gegründete politische Bewegung Umfragen zufolge mit bis zu 16 Prozent ins Parlament einziehen.

Fettiges Gebäck vom Selfmademan

Babišs Protestbewegung ist links und rechts – je nach Bedarf. Das Wahlmotto ist ein Versprechen: „ANO, bude líp“. Das Kürzel ANO steht dabei für „Aktion unzufriedener Bürger“, der Slogan lässt sich ins Deutsche mit den Worten „Ja, bessere Zeiten werden kommen“ übersetzen. Möchte man von Babiš wissen, wie er das anstellen möchte, dann sagt er: „Indem wir anfangen. Wir sind zwanzig Jahre in die falsche Richtung gelaufen, wir müssen anfangen, das zu ändern“. Konkreter wird Babiš selten. Warum auch? „Wir sind keine Politiker, wir arbeiten“, steht auf den Wahlplakaten von ANO.

Babiš scheint nicht nur der Überflieger dieser Wahlen zu werden. Sein Erfolg steht auch stellvertretend für das, was diesen Wahlkampf ausmacht: Fast alle Parteien meiden Inhalte, flüchten sich in leere Phrasen oder gar in die völlige Inhaltslosigkeit.

Beispiel TOP 09. 33 Sekunden zählt der offizielle Wahlspot der konservativ-liberalen Partei. Der Vorsitzende Karel Schwarzenberg – von den Wahlkampfstrategen zum Agent TOP 009, „im Dienste unserer Republik“, karikiert – knattert darin auf einem Chopper über die Nachwendegeschichte des Landes nur um dann zu sagen: „Dieser Kampf hört nie auf“, und „geht zu den Wahlen, wählt TOP 09“.

Wahlspot der konservativ-liberalen Partei TOP 09: Karel Schwarzenberg auf einem Chopper.

Der Vorsitzende der Sozialdemokraten (ČSSD) Bohuslav Sobotka hingegen wandert durch die Hügellandschaft des böhmischen Mittelgebirges und sagt: „Ich möchte einen Staat“. Wie dieser aussehen soll, steht in großen weißen Lettern im herbstlichen Tal, in das Sobotka blickt. Was da steht ist weder konkret noch besonders überraschend: Er soll die Bürger schützen und ihnen ein würdiges Leben im Alter ermöglichen. Und: Er soll funktionieren, der Staat.

Ein weiteres Merkmal der diesjährigen Wahlkampagnen: Sie sind überwiegend positiv. Dem Kampf für den funktionierenden Staat verschreiben sich die Sozialdemokraten auch auf ihren orangen Wahlplakaten. Noch vor drei Jahren war die ČSSD auf den riesigen Werbetafeln an den Autobahnen und Häuserfassaden des Landes vor allem dagegen: gegen höhere Strompreise, gegen weniger Mutterschaftsgeld.

Positive Kampagnen statt dagegen sein

Allgegenwärtig waren auch Plakate, die sich als Wahlwerbung des politischen Gegners ausgaben und ihn ins Lächerliche zogen. So ließ die ČSSD den damaligen Chef der Bürgerdemokraten Petr Nečas verkünden: „Wir pfeifen auf die einfachen Leute“. Solche Negativ-Kampagnen sind 2013 zur Seltenheit geworden.

Wahlspot der tschechischen Sozialdemokraten: Weder konkret noch überraschend.

Heute versprechen die Christdemokraten (KDU-ČSL) vor einem Meer von Sonnenblumen: „Wir bringen das Land in Ordnung“, die Kommunisten (KSČM) haben „eine andere Lösung“, Babišs ANO will, dass „auch unsere Kinder hier leben möchten“.

Ausnahmen gibt es dennoch: Die politische Bewegung „Úsvit přímé demokracie“ („Die Morgendämmerung der direkten Demokratie“) von Populist Tomio Okamura verspricht „Schluss mit dem Saustall“ zu machen. Damit meint der Unternehmer und Senator die Politik, wie sie die Tschechen bislang kennen. Mit dem Versprechen der direkten Bürgerbeteiligung und fremden- und romafeindlichen Sprüchen schaffte es Okamura in einer Umfrage der Meinungsforscher von STEM zum beliebtesten Parteichef dieser Wahlen. Er hat eine reelle Chance, ins Parlament einzuziehen.

Auch SPOZ, Die Partei der Bürgerrechte – Zemans Leute, vermeldet wenig Positives. Die sozialdemokratische Alternative des Präsidenten schmückt sich mit dem Slogan „Wir haben Kalousek gestoppt“. Der Ex-Finanzminister gilt als Strippenzieher in Schwarzenbergs TOP 09, schon im Präsidentschaftswahlkampf konnte Zeman mit der Antikampagne gegen den unbeliebten Vize-Vorsitzenden seinen eigentlichen Kontrahenten, Karel Schwarzenberg schwächen. Nun soll der Kampf gegen Kalousek auch in der Vergangenheitsform wirken.

Zemans Leute

Von anderen Plakaten guckt der derzeitige Interimsinnenminister Martin Pecina, neben ihm der direktive Wahlslogan „Wählt Zemans Leute“. Die Kampagne der Zeman-Partei gilt als Reinfall und auch in den Umfragen bleibt SPOZ hinter den Erwartungen zurück – sie könnten an der Fünfprozenthürde scheitern. Und das, obwohl ganze fünf Minister der „Beamtenregierung“ auf die SPOZ-Wahlliste gewandert sind. Das und der Einsatz Zemans garantieren Medienpräsenz – obgleich der Präsident gemäß seiner überparteilichen Stellung im Vorfeld ausgeschlossen hatte, sich in den Wahlkampf einzumischen.

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Die ODS (Demokratische Bürgerpartei) setzt auf das Twitter-Hashtag #Volím_pravici („Ich wähle Rechts“). Dazu wird gereimt bis zum Zungenkrampf. © Občanská demokratická strana 1991 - 2013

SPOZ und ANO sind am sichtbarsten, und das seit dem Startschuss für den Wahlkampf. Ihre Budgets, auch wenn die beiden neuen Parteien die tatsächliche Höhe ihrer Ausgaben verschleiern, sind um ein vielfaches höher als die ihrer Kontrahenten. Die ODS etwa gibt mit knapp 50 Millionen Kronen (umgerechnet etwa 2 Millionen Euro) rund ein Drittel im Vergleich zu den vergangenen Wahlen ins Abgeordnetenhaus aus. Auch der Wahlfavorit ČSSD muss sparen. Der Wahlkampf kam früh und unerwartet und die Sozialdemokraten sind noch dabei, ihre Schulden von 2010 zu begleichen.

Gespart wird an den klassischen Formen des Wahlkampfes – sprich an großen Werbetafeln und pompösen Wahlveranstaltungen. Die Parteien suchen alternative Wege zu den Bürgern; im Internet etwa.

Die ODS setzt auf das in Tschechien wenig verbreitete Soziale Netzwerk Twitter. Das Hashtag „#Volím_pravici“ („Ich wähle Rechts“) soll die konservative Wählerschaft zum zwitschern bringen. Auf Wahlplakaten haben die Bürgerdemokraten ihr Parteilogo, die Friedenstaube, gegen das Twitter-Vögelchen eingetauscht und machen es vor: Es wird gereimt bis zum Zungenkrampf. „Chci stát mladým fandící, proto #Volím_pravici“ – „Ich möchte einen Staat, der die Jungen unterstützt, deshalb wähle ich rechts“.

Reimen bis zum Zungenkrampf

Etwas unverkrampfter wirkt die TOP 09 in den sozialen Netzwerken. Seit Jahren setzen auch die Grünen auf Facebook und Youtube – das hat nicht nur strategische Gründe. Nachdem die „Strana zelených“ (SZ) vor drei Jahren unter drei Prozent blieb, ist der staatliche Zuschuss für die Partei gestrichen. Ein Video, in dem Grünen-Chef Ondřej Liška über die Farbe der Wählerstimme rappt, brachte den Grünen in nur vier Tagen mehr als 150.000 Aufrufe ein. „Unsere Kampagne seid ihr“, sagen die Grünen und spannen Freiwillige in den Wahlkampf im Netz und auf der Straße ein. Die SZ verweist auf ihre weiße Weste – für eine ehemalige Regierungspartei ist das in Tschechien alles andere als selbstverständlich – und sprüht mit Hochdruckreinigern ihr Logo auf dreckige Wände. Neben der Korruptionsbekämpfung schreiben sie sich die grünen Themen wie Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt oder die Einführung von Sozialwohnungen und der Prinzipien der Green Economy auf die Fahnen.

Grünen-Chef Ondřej Liška rappt: „Meine Stimme ist grün.“

Auch suchen die Kandidaten vermehrt den direkten Kontakt zum Volk: die Grünen treten in die Pedale und kutschieren die Wählerinnen und Wähler mit Rikschas durch die Städte. TOP 09 setzt auf das Bewährte „Bier mit Karel“. Andrej Babiš verschenkt Berliner aus einer seiner Großbäckereien. Dabei wird er nicht müde zu betonen, er sei kein Politiker, er werde den Staat wie eine Firma führen.

Gerade die Abgrenzung von der Politik als solche ist nicht nur laut dem Politologen Jiří Pehe die besorgniserregendste Neuigkeit im Wahlkampf 2013: „Auch wegen der Skandale der gestürzten Regierung sind heute solche Bewegungen und Parteien gestärkt, die offen zum Angriff gegen das politische System blasen. Ergebnis ist ein ungekannter Vormarsch der Antipolitik.“

Martin Nejezchleba

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.boell.de. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Heinrich-Böll-Stiftung.

23. Okotber 2013

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