Die Tscheka als 007
Ein privates Prager Museum verkauft die Geschichte der sowjetischen Geheimpolizei wie einen Agentenfilm.
Wussten Sie, dass Feliks Dzierżyński sein Koks aus den Beinen eines speziell dafür angefertigten Metallkrebses schniefte? Der Chef der ersten sowjetischen Geheimpolizei und seine Komplizen waren krasse Typen. Das habe ich letztes Jahr in Prag im KGB-Museum gelernt. Es liegt am Fuß des Hradschins in unmittelbarer Nähe der Deutschen Botschaft. „Just facts!“ verheißt die Schaufensterwerbung.
Auf dem touristischen Bewertungsportal TripAdvisor liegt das KGB-Museum auf Platz 1 der beliebtesten Museen Tschechiens. Besucher berichten von einer „tollen Erfahrung“. In der Prager Innenstadt werben Plakate mit Hammer und Sichel für das Privatmuseum in der Vlašská-Straße 13. Auf der Fläche einer Zweizimmer-Wohnung bekommt man die Geschichte des sowjetischen Geheimdienstes vorgeführt als wäre sie ein Agenten- oder Gangsterfilm.
Der Inhaber ist ein kleiner, durchtrainierter Mann, der sich als Andrej vorstellt und „aus Leningrad“ kommt, sagt er. Die anwesende Gruppe besteht außer mir überwiegend aus Amerikanern. Er kassiert satte 300 Kronen Eintritt (knapp 11 Euro) pro Person und los geht eine engagierte Live-Performance auf Englisch, das wie Russisch klingt.
Posieren mit Kalaschnikow
Andrej ist ein talentierter Erzähler am Objekt. Was bekamen hochrangige KGB-Offiziere geschenkt? Andrej zieht eine Spieluhr auf, in der sich ein Revolver dreht. Er klappt ein Büchlein auf, das sich als Zigarettendose entpuppt. Er öffnet eine silberne Schatulle, in der sich Parfümfläschchen verbergen. Er zeigt die Ausstattung der Tschekisten, Fotoapparate, Bücher, die eigentlich Waffenverstecke sind, gefälschte Stempel von Nazi-Organisationen, die für Sabotage-Akte im Zweiten Weltkrieg verwendet wurden. Wie ein Samurai führt Andrej einen Dolch vor. Viele Waffen hat er gesammelt. Er reicht Revolver und Kalaschnikows herum und bringt den überraschten Besuchern bei, wie man damit fürs Foto posiert. Die Besucher spielen mit.
Andrej will Geheimnisse lüften. Aber das Überraschende ist eigentlich, dass man das Gefühl bekommt, man kennt diese Exponate – nehmen wir an, sie sind echt – als Requisiten aus Filmen. Aber was war die Mission des KGB? Dazu wird er gleich kommen, hoffe ich, und schiele auf eine große Karte der Sowjetunion an der Wand, auf denen Gulags eingezeichnet sind. Daneben hängen Fotos freundlicher KGB-Offiziere, die auf Prager Straßen gemacht wurden. Aber darüber sagt Andrej nichts.
Der KGB, erklärt er als wir unter der Karte stehen, hatte viele Namen: Tscheka, GPU, NKWD. Es sei alles dasselbe gewesen. Warum benannte sich diese geheimnisvolle Organisation so häufig um? Darüber verliert er kein Wort. „GU-Lag“, buchstabiert Andrej, bedeute nichts anderes als „Lager-Hauptverwaltung“ („Glavnoe Upravlenie Lagerei“). „Das waren normale Arbeitslager“, sagt er. Er zeigt Stiefel, aus Filz oder aus Korb geflochten, die die Häftlinge bei sibirischer Kälte zu tragen hatten. Sie hatten an Brücken, Straßen, Tunneln und Mega-Projekten wie dem Weißmeerkanal zu arbeiten, berichtet er. Wieder präsentiert Andrej ein Rätsel: Warum ließen sich Gefangene im Lager das Abbild Stalins auf die Brust tätowieren – war er es doch, in dessen Namen sie einsaßen? Antwort: Um es ihren Henkern entgegenzuhalten, die auf Stalin nicht schießen würden. Vergeblich. Wer waren die Gefangenen, fragt ein Besucher (nicht ich). Andrej: „Kriminelle. – Politische Gefangene? Nein, die gab es kaum.“
Der Eindruck, den die Besucher mitnehmen sollen: Die KGB-Typen waren gewieft, mit allen Wassern gewaschen. Fielen nicht auf die Tricks der schweren Jungs rein. Es fehlt jede historische Einordnung, die wird sogar offensiv verschwiegen: Kein Wort über die Entstehung des KGB, die Verfolgung sogenannter Klassenfeinde, die Massenexekutionen und den stalinistischen Terror von 1937 und während des Zweiten Weltkriegs. – Was sagt uns das?
Stille Lenin-Anbetung
Ausgerechnet im liberalen Prag, wo Anti-Kommunismus zum guten Ton gehört, bedient ein geschäftstüchtiger Sowjetnostalgiker das Interesse der oft im Westen aufgewachsenen Touristen nach den Geheimnissen des Ostblocks. Andrej hat eine Lücke gefunden. Es gibt in der Stadt kein öffentliches Museum, das sich seriös mit Kommunismus und dem Terror der Geheimdienste auseinandersetzt. Nur die Ausstellung auf dem Vítkov-Hügel zur Geschichte der Tschechoslowakei ab 1918 berührt teilweise das Thema.
Zum Ausklang der Performance werden die Besucher zur stillen Anbetung in die untere Etage zu einer Art Lenin-Schrein geschickt. Dort tritt man an den mit einer Sowjetflagge bedeckten Glassarg mit Lenins Büste heran. An den Wänden rund um den Sarg hängen Porträts von KGB-Offizieren. Der junge W. Putin ist dabei.
Die Besucher bedanken sich begeistert bei Andrej, als sie das Museum verlassen. Bevor ich gehe, berichte ich ihm, was ich über den KGB und seine Verbrechen weiß. Da ist er schnell verstimmt. Das sei alles Propaganda des Westens. Andrej outet sich als Anhänger des „Imperiums“ und glaubt an seine Wiedergeburt. „Jeder Staat braucht einen Geheimdienst“, sagt er. Und der KGB sei eben eine besonders professionelle Organisation gewesen. – Just facts?